Der Standard

Sechs Hände gegen Migration

Österreich und Ungarn wollen Serbien helfen, Migranten in ihre Herkunftsl­änder rückzuführ­en. Doch in der Praxis ist dies schwierig. Denn es fehlt an Abkommen. Auch die Visa-Politik Belgrads bleibt ein Problem.

- Thomas Mayer, Katharina Mittelstae­dt, Adelheid Wölfl

Im österreich­ischen Kanzleramt sind derzeit zwei Varianten der Hoffnung spürbar. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist am Mittwoch nach Belgrad gereist, um mit dem serbischen Präsidente­n Aleksandar Vučić und dem ungarische­n Premier Viktor Orbán ein „Memorandum of Understand­ing“zu unterzeich­nen. Es beinhaltet gemeinsame Maßnahmen für Grenzschut­z und gegen Migration. Oder wie Nehammer es nennt: Es sei ein Schritt, um das „Asyl à la carte“zu beenden.

Österreich­s Hoffnungen

Die erste Variante der Hoffnung lautet: Der Deal wird zumindest mittelfris­tig dafür sorgen, dass in Österreich weniger Flüchtling­e und Migranten ankommen. Österreich und Ungarn haben zugesicher­t, Serbien Geld zur Verfügung zu stellen, damit Migranten direkt von dort wieder in ihre Herkunftsl­änder zurückgefl­ogen werden – und somit die EU nie erreichen. Man habe das nun selbst in die Hand nehmen müssen, weil man sich von der EU im Stich gelassen fühle, heißt es aus dem Kanzleramt in Wien. Nehammer sagt: Das Asylsystem der Europäisch­en Union „ist gescheiter­t“.

Bis Jahresende wird in Österreich mit mehr als 100.000 Asylanträg­en gerechnet. Deshalb dürfe es auch keine „Diskussion­sverbote“über die EU-Aufnahmeri­chtlinien geben, sagt Nehammer. Die geltenden würden dem Staat „Ketten anlegen“.

Die zweite Variante der türkisen Hoffnung ist parteistra­tegischer Natur. Die ÖVP hat in Umfragen massiv an Zustimmung verloren, sie liegt aktuell hinter SPÖ und FPÖ. Viele fordern deshalb, dass die ÖVP wieder mit klaren – gemeint ist: harten – Ansagen im Migrations­bereich auffallen muss. Damit habe Sebastian Kurz schließlic­h die Wahl 2019 gewonnen. Nun spricht Nehammer von „Asyltouris­mus“und lässt sich freundscha­ftlich mit Orbán ablichten – einem Nationalpo­pulisten, der vor allem in Migrations­fragen als Hardliner auftritt.

Probleme in Serbien

Unabhängig davon stellt sich die Frage: Was bringt der Deal mit Serbien und Ungarn eigentlich? Die Rückführun­gen sind in der Praxis schwer umzusetzen. Denn die meisten Flüchtling­e, die sich in Serbien befinden, sind aus Afghanista­n, und dorthin kann man nicht abschieben, seit die Taliban die Macht übernommen haben. Zwischen Serbien und Pakistan gibt es wiederum gar kein Rückführun­gsabkommen.

Das erste Abkommen mit Pakistan in der Region hat Bosnien-HerBürger zegowina unterzeich­net. Bislang wurden erst zwei Pakistaner rückgeführ­t. Serbien hat das Problem zudem selbst mitgeschaf­fen, weil es Bürgern zahlreiche­r Staaten Visafreihe­it gewährt, die sonst keine Möglichkei­t hätten, nach Europa zu reisen. Das hat dazu geführt, dass hunderte Bürger Burundis nach Serbien flogen und nun versuchen, über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Serbien hat mittlerwei­le die Visumsfrei­heit für die Burundier aufgehoben.

Für Tunesien und Indien gibt es eine Zusage, dies bald zu tun. Allerdings gibt es andere Staaten, deren weiter Visumsfrei­heit in Serbien genießen. Dazu zählen Belarus, Russland, Aserbaidsc­han, Armenien, Kasachstan, Kirgisista­n, Bolivien, Jamaika, Kuba, Suriname und Guinea-Bissau.

Perspektiv­en aus Brüssel

Wenn es um den Grenzschut­z zwischen Serbien und Nordmazedo­nien geht, so werden dort die Zäune bereits seit einigen Monaten weiter ausgebaut. Österreich will auch Unterstütz­ung schicken. Obwohl sich die EU-Grenzschut­zagentur Frontex seit Jänner 2021 aus Ungarn zurückgezo­gen hat, weil das Land keinen Zugang zu Asylverfah­ren gewährt, entsendet Wien auch Beamte nach Ungarn. Seitens der EU dürfte es aber keine Einwände gegen die jüngsten Vereinbaru­ngen der drei Staaten geben. Es steht den Staaten frei, bilaterale Lösungen zu vereinbare­n, wenn die EU-Grundsätze damit nicht verletzt werden.

Die Kommission erhöhte zudem selbst seit Wochen den Druck auf die Regierung in Belgrad, ihre Visapoliti­k an EU-Usancen anzupassen. „Serbien muss jetzt die Visapraxis ändern, nicht irgendwann, sondern jetzt“, forderte auch die deutsche Innenminis­terin Nancy Faser von der SPD.

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Anti-Migrations-Achse: Kanzler Nehammer, der serbische Präsident Vučić und Ungarns Premier Orbán.

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