Gute Stimmung gegen das schlechte Klima
Studierende in Wien, Salzburg und Innsbruck haben in der Nacht auf Donnerstag in Hörsälen übernachtet. Die Besetzung ist ein Protest: Es geht um Krisen bei Klima, Bildung und sozialer Ungleichheit.
Im Unigebäude auf dem Campus in Wien sitzen junge Menschen und frühstücken. Es gibt Müsli, Weckerln und Aufstriche, man könnte meinen, die Studierenden machen sich gleich auf den Weg in die nächste Vorlesung. An den Wänden hängen Flyer: Die Stichworte sind Klimakrise, Teuerung und Bildung. Es ist kein klassischer Vormittag an diesem Donnerstag: Auf dem Uni-Campus geht die Besetzung eines Hörsaals in die zweite Runde. Die Erde brennt nämlich.
Am Mittwochabend war es hier voll mit Protestierenden, rund 30 von ihnen haben auch im Hörsaal übernachtet. Beim Lokalaugenschein am Donnerstagvormittag ist es drinnen noch dunkel – einige schlafen noch. Im Hörsaal liegen Schlafsäcke am Boden, an der Tafel stehen Stichworte wie „Demokratie“und „Vernetzung“. Daneben hängt ein Banner: „Die Uni ist besetzt!“Die Stimmung am Morgen ist ausgelassen und hoffnungsvoll: „Beim Einschlafen hatte ich ein krasses Gefühl“, freut sich eine Aktivistin. „Ich hab realisiert, dass das irgendwie der Anfang von was Großem ist. Also hoffe ich zumindest.“
Bildungsrevolution als Ziel
Eine Gruppe Studierende unterhält sich vor dem Gebäude, manche rauchen. Die Stimmung ist ruhig, es ist noch früh. Das Ziel ihres Protests ist es, die Politik zu bewegen – und zwar auch bei Themen wie sozialer Gerechtigkeit und Bildung. Welcher Person aus der Politik würden die Studierenden denn gerne etwas mitteilen? Eine Mischung aus Lachen und Augendrehen geht durch die Runde. „Dem Bildungsminister, da würd ich mir wünschen, dass der mal nachdenkt“, sagt eine Studentin. Bei der Uni zu sparen koste den Staat mehr Geld, als dass es etwas bringen würde, meint sie. „Ich verstehe nicht, dass ein Bildungsminister, der selbst Rektor war, das nicht weiß. Oder nicht wissen will.“
Es brauche eine Bildungsrevolution, sagt eine andere Aktivistin. Und die müsse schon in der Schule anfangen, die Uni sei nur der Gipfel des Eisbergs. Sie würde sich mehr Wissensvermittlung zur Klimakrise wünschen. „Und die soll darüber hinausgehen, dass man eine Bambuszahnbürste benutzen und bisschen beim Strom sparen soll.“Man müsse anerkennen, dass es sich um ein systemisches Problem handle.
Störender Aktivismus
Obwohl viele Menschen sich besorgt über den Klimawandel zeigen, gibt es immer wieder Kritik an dieser Art von Protest: Er sei übertrieben, unverständlich und störend. „Dieses Argument kommt bei jeder Protestform vor“, erwidert eine Aktivistin auf die Kritik. Wenn Leute wollten, dann fänden sie immer einen Vorwand, um sich zu beschweren. „Das Nervige daran ist: Mit den wichtigen Themen wird sich dann nicht auseinandergesetzt. Aber unser Ziel ist es, Druck auf die Politik auszuüben.“
Generell haben die Protestierenden das Gefühl, die Uni Wien sei bereit, mit ihnen an Forderungen zu arbeiten. Am Mittwochabend gab es Diskussionen mit Professoren zu den genannten Krisen. Am Donnerstag ging es weiter mit offenen Diskussionsrunden und Vorträgen. Aktuell ist das Programm bis nächste Woche vorgeplant, neben Vorlesungen zur Klimakrise sind auch Workshops zum Thema Revolution angedacht. Auch das Gestalten von Bannern steht auf dem Programm. Die im Hörsaal geplanten Lehrveranstaltungen finden vorerst online statt, so die Uni Wien.
Besetzung in Salzburg
Auch in Salzburg haben die Aktivistinnen und Aktivisten von „Erde brennt“am Mittwochabend drei Hörsäle im Unipark Nonntal besetzt. Knapp 60 Studierende waren beim Auftakt dabei, etwa 25 haben in der Uni geschlafen. Am Donnerstag wirken die besetzten Räume bereits mehr wie die Zimmer einer Jugendherberge als wie Hörsäle. Die Tische wurden an die Wand gestapelt und als Abtrenner oder Regale genutzt. Am Boden liegen Isomatten und Schlafsäcke. Am komfortabelsten ist wohl das aufblasbare Doppelbett, auf dem es sich eine Studentin mit einem Laptop gemütlich gemacht hat. Von einer Räumung geht hier niemand aus. Laut Uni gebe es derzeit noch ein gutes Einvernehmen. Die Besetzung ist auf unbestimmte Zeit angesetzt. In Innsbruck, wo ebenfalls 40 Studierende einen Hörsaal besetzt halten, gibt es auch Gespräche mit dem Rektorat.
Auch in Wien geht man nicht von einer Räumung aus. Man wolle im Austausch mit den Protestierenden Lösungen finden. Die Aktivisten sind sich sicher: Räumung oder nicht, wichtig seien politische Maßnahmen.
Es gibt durchaus vernünftige Methoden, Suppe zu verteilen. So feiert etwa die jährliche Winterhilfsaktion „Suppe mit Sinn“der Wiener Tafel für Menschen in Not dieser Tage ihr 15-Jahr-Jubiläum. Dem gegenüber stehen aber aktuell völlig sinnlose Suppenaktionen radikaler Klimaaktivisten – wahlweise greifen sie auch zu Kartoffelpüree oder Öl. Heute werden Galerien gestürmt, Kunstwerke besudelt, und wer uneingeladen gekommen ist, um länger zu bleiben, klebt sich einfach irgendwo fest.
Die eigentliche Botschaft ist unumstritten: Es ist höchst an der Zeit, dass niemand mehr die Augen vor den Folgen des Klimawandels verschließt. Doch ob ihrer Radikalität haben es die Aktivisten geschafft, dass dieses Anliegen völlig in den Hintergrund gerückt ist. Wenn an Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrgehänge ein Klimaretterkopf pickt oder Lebensmittelfarbe von Klimts Tod und Leben tropft, reden wir nicht vermehrt über die dringende Notwendigkeit eines klimatischen Umdenkprozesses. Im Vordergrund stehen die Aktionen.
Die pubertären Proteste haben letztlich nur das Potenzial, soziale Spannungen empfindlich zu verschärfen. Regeneration ist daher das Gebot der Stunde: anhalten, durchschnaufen, erholen und mit einem kühlen Kopf auf den Boden des Rechtsstaates zurückkehren. Denn dort gibt es genug Möglichkeiten, abseits jeglicher Zerstörungswut Unmut legal kundzutun.