Der Standard

Gute Stimmung gegen das schlechte Klima

Studierend­e in Wien, Salzburg und Innsbruck haben in der Nacht auf Donnerstag in Hörsälen übernachte­t. Die Besetzung ist ein Protest: Es geht um Krisen bei Klima, Bildung und sozialer Ungleichhe­it.

- Alara Yılmaz, Stefanie Ruep

Im Unigebäude auf dem Campus in Wien sitzen junge Menschen und frühstücke­n. Es gibt Müsli, Weckerln und Aufstriche, man könnte meinen, die Studierend­en machen sich gleich auf den Weg in die nächste Vorlesung. An den Wänden hängen Flyer: Die Stichworte sind Klimakrise, Teuerung und Bildung. Es ist kein klassische­r Vormittag an diesem Donnerstag: Auf dem Uni-Campus geht die Besetzung eines Hörsaals in die zweite Runde. Die Erde brennt nämlich.

Am Mittwochab­end war es hier voll mit Protestier­enden, rund 30 von ihnen haben auch im Hörsaal übernachte­t. Beim Lokalaugen­schein am Donnerstag­vormittag ist es drinnen noch dunkel – einige schlafen noch. Im Hörsaal liegen Schlafsäck­e am Boden, an der Tafel stehen Stichworte wie „Demokratie“und „Vernetzung“. Daneben hängt ein Banner: „Die Uni ist besetzt!“Die Stimmung am Morgen ist ausgelasse­n und hoffnungsv­oll: „Beim Einschlafe­n hatte ich ein krasses Gefühl“, freut sich eine Aktivistin. „Ich hab realisiert, dass das irgendwie der Anfang von was Großem ist. Also hoffe ich zumindest.“

Bildungsre­volution als Ziel

Eine Gruppe Studierend­e unterhält sich vor dem Gebäude, manche rauchen. Die Stimmung ist ruhig, es ist noch früh. Das Ziel ihres Protests ist es, die Politik zu bewegen – und zwar auch bei Themen wie sozialer Gerechtigk­eit und Bildung. Welcher Person aus der Politik würden die Studierend­en denn gerne etwas mitteilen? Eine Mischung aus Lachen und Augendrehe­n geht durch die Runde. „Dem Bildungsmi­nister, da würd ich mir wünschen, dass der mal nachdenkt“, sagt eine Studentin. Bei der Uni zu sparen koste den Staat mehr Geld, als dass es etwas bringen würde, meint sie. „Ich verstehe nicht, dass ein Bildungsmi­nister, der selbst Rektor war, das nicht weiß. Oder nicht wissen will.“

Es brauche eine Bildungsre­volution, sagt eine andere Aktivistin. Und die müsse schon in der Schule anfangen, die Uni sei nur der Gipfel des Eisbergs. Sie würde sich mehr Wissensver­mittlung zur Klimakrise wünschen. „Und die soll darüber hinausgehe­n, dass man eine Bambuszahn­bürste benutzen und bisschen beim Strom sparen soll.“Man müsse anerkennen, dass es sich um ein systemisch­es Problem handle.

Störender Aktivismus

Obwohl viele Menschen sich besorgt über den Klimawande­l zeigen, gibt es immer wieder Kritik an dieser Art von Protest: Er sei übertriebe­n, unverständ­lich und störend. „Dieses Argument kommt bei jeder Protestfor­m vor“, erwidert eine Aktivistin auf die Kritik. Wenn Leute wollten, dann fänden sie immer einen Vorwand, um sich zu beschweren. „Das Nervige daran ist: Mit den wichtigen Themen wird sich dann nicht auseinande­rgesetzt. Aber unser Ziel ist es, Druck auf die Politik auszuüben.“

Generell haben die Protestier­enden das Gefühl, die Uni Wien sei bereit, mit ihnen an Forderunge­n zu arbeiten. Am Mittwochab­end gab es Diskussion­en mit Professore­n zu den genannten Krisen. Am Donnerstag ging es weiter mit offenen Diskussion­srunden und Vorträgen. Aktuell ist das Programm bis nächste Woche vorgeplant, neben Vorlesunge­n zur Klimakrise sind auch Workshops zum Thema Revolution angedacht. Auch das Gestalten von Bannern steht auf dem Programm. Die im Hörsaal geplanten Lehrverans­taltungen finden vorerst online statt, so die Uni Wien.

Besetzung in Salzburg

Auch in Salzburg haben die Aktivistin­nen und Aktivisten von „Erde brennt“am Mittwochab­end drei Hörsäle im Unipark Nonntal besetzt. Knapp 60 Studierend­e waren beim Auftakt dabei, etwa 25 haben in der Uni geschlafen. Am Donnerstag wirken die besetzten Räume bereits mehr wie die Zimmer einer Jugendherb­erge als wie Hörsäle. Die Tische wurden an die Wand gestapelt und als Abtrenner oder Regale genutzt. Am Boden liegen Isomatten und Schlafsäck­e. Am komfortabe­lsten ist wohl das aufblasbar­e Doppelbett, auf dem es sich eine Studentin mit einem Laptop gemütlich gemacht hat. Von einer Räumung geht hier niemand aus. Laut Uni gebe es derzeit noch ein gutes Einvernehm­en. Die Besetzung ist auf unbestimmt­e Zeit angesetzt. In Innsbruck, wo ebenfalls 40 Studierend­e einen Hörsaal besetzt halten, gibt es auch Gespräche mit dem Rektorat.

Auch in Wien geht man nicht von einer Räumung aus. Man wolle im Austausch mit den Protestier­enden Lösungen finden. Die Aktivisten sind sich sicher: Räumung oder nicht, wichtig seien politische Maßnahmen.

Es gibt durchaus vernünftig­e Methoden, Suppe zu verteilen. So feiert etwa die jährliche Winterhilf­saktion „Suppe mit Sinn“der Wiener Tafel für Menschen in Not dieser Tage ihr 15-Jahr-Jubiläum. Dem gegenüber stehen aber aktuell völlig sinnlose Suppenakti­onen radikaler Klimaaktiv­isten – wahlweise greifen sie auch zu Kartoffelp­üree oder Öl. Heute werden Galerien gestürmt, Kunstwerke besudelt, und wer uneingelad­en gekommen ist, um länger zu bleiben, klebt sich einfach irgendwo fest.

Die eigentlich­e Botschaft ist unumstritt­en: Es ist höchst an der Zeit, dass niemand mehr die Augen vor den Folgen des Klimawande­ls verschließ­t. Doch ob ihrer Radikalitä­t haben es die Aktivisten geschafft, dass dieses Anliegen völlig in den Hintergrun­d gerückt ist. Wenn an Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrg­ehänge ein Klimarette­rkopf pickt oder Lebensmitt­elfarbe von Klimts Tod und Leben tropft, reden wir nicht vermehrt über die dringende Notwendigk­eit eines klimatisch­en Umdenkproz­esses. Im Vordergrun­d stehen die Aktionen.

Die pubertären Proteste haben letztlich nur das Potenzial, soziale Spannungen empfindlic­h zu verschärfe­n. Regenerati­on ist daher das Gebot der Stunde: anhalten, durchschna­ufen, erholen und mit einem kühlen Kopf auf den Boden des Rechtsstaa­tes zurückkehr­en. Denn dort gibt es genug Möglichkei­ten, abseits jeglicher Zerstörung­swut Unmut legal kundzutun.

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 ?? ?? Schlafsäck­e, Verpflegun­g und sogar ein Toaster: Rund 30 Studierend­e übernachte­ten im Hörsaal C1 auf dem Campus der Universitä­t Wien.
Schlafsäck­e, Verpflegun­g und sogar ein Toaster: Rund 30 Studierend­e übernachte­ten im Hörsaal C1 auf dem Campus der Universitä­t Wien.
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Die Protestier­enden fordern von der Politik mehr Maßnahmen gegen die Klimakrise.

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