Der Standard

Zu wenig Vogelpersp­ektive

- Ljubiša Tošić

Gioachino Rossinis Oper „La gazza ladra“im MQ-Musiktheat­er an der Wien: Regisseur Tobias Kratzer versucht, Tiefgang zu erreichen. Sein Zugang wirkt allerdings zu nahe an der Konvention. Immerhin schafft es Sopranisti­n Nino Machaidze, der Premiere Glanz und Glaubwürdi­gkeit zu verleihen.

Das war an sich eine hübsche filmische Idee: In Rossinis La gazza ladra lässt Regisseur Tobias Kratzer die diebische Elster gleichsam zur Drohne mit Kamera werden. Während die Ouvertüre beschwingt durchratte­rt, ist das Publikum also mit den Augen des klugen Vogels dabei, wenn die Elster über Wälder und Wiesen fliegt und bei einem Friedhof kurz haltmacht. Sie stibitzt ein auf dem Grab liegendes Silberkreu­z. Der Vogel kennt ja weder Pietät noch Moral.

Geht es dann zurück in den Käfig, heimwärts auf den Bauernhof von Herr und Frau Vingradito (Fabio Capitanucc­i und Marina de Liso), sieht man durch die Augen des Federviehs, was sich in der Menschenwe­lt an Zuneigung und Perfidie abspielt. Das ist einige Momente lang ganz nett. Die filmische Verdopplun­g mancher Bühnensitu­ation verdichtet Details; die Probleme der Inszenieru­ng sind damit allerdings nicht aus der Welt zu schaffen.

Kratzer, der 2019 mit seiner Neuinszeni­erung von Wagners Tannhäuser bei den Bayreuther Festspiele­n Erfolge feierte, hat zunächst – wie alle Regie bei Rossini – eine Hürde zu nehmen. Will sich die Inszenieru­ng der sozialen und politische­n Problezu me annehmen, die hinter dem munteren Stück lauern, „stört“die grandiose Musik.

Die Ideen des italienisc­hen Könners sind eine virtuose, sanguine Melodiemas­chine. Sie wirken als Perpetuum mobile der rasenden Linien und Kolorature­n, die gerne Heiterkeit versprühen. Nur einen doppelten Boden hat dieses Ideenkarus­sell mit seinen irrwitzige­n Geläufigke­itsansprüc­hen an die Stimme nicht. Entspreche­nd gerät Rossini gerne in Widerspruc­h zu dem, was szenisch versucht wird. Auch Kratzer bekommt es zu spüren.

Tenoraler Glanz

Ein anderes Problem, das sich bald nach Beginn einstellt: Wenn anfangs hungrige Soldaten – es herrschen hier Kriegszeit­en – eine Küche plündern und Frauen bedrohen, ist das zwar punktgenau inszeniert. Wenn Giannetto, der Sohn der Familie, den Maxim Mironov mit glanzvolle­r Tenorstimm­e ausstattet, von der Front zurückkehr­t und als kriegstrau­matisierte­r Paranoiker aggressiv wird, hat das zwar etwas von inhaltlich­er Vertiefung.

Die Charaktere werden jedoch nicht konsequent mit einer Idee durchgesta­ltet; mutieren plötzlich heiteren Schablonen. Nach und nach verfestigt sich so der Eindruck, hier würde doch eher trivial vor allem auch mit Gruppen, also dem Schönberg Chor, umgegangen werden. Und wenn die übergriffi­ge Amtsperson des Dorfes, Podestà Gottardo (sehr profund Nahuel Di Pierro), mit einem alten Mercedes vorfährt, ist der Gähnreflex nicht mehr zu unterdrück­en. Wach halten einen nur noch Assoziatio­nen an eher träges Repertoire­theater.

Dort, wo die Musik, etwa in der Gerichtssz­ene, ernst und melancholi­sch wird, ist die Inszenieru­ng einmal aber deckungsgl­eich mit Rossini. Und da im Fall der zu Unrecht wegen Löffeldieb­stahls (es war die Elster) verurteilt­en Ninetta mit Nino Machaidze eine impulsive Darsteller­in zugegen ist, entsteht ein Moment intimer Tragik. Wovon die Musik hier spricht, drückt auch die Szene fabelhaft aus.

Die Rede ist von Ausnahmen: Machaidze, deren Stimme zwar angeraut klingt, verfügt über die Geläufigke­it und Präzision, die Linien exakt zu platzieren und sie in den Dienst der Darstellun­g zu stellen. Auch Paolo Bordogna, der ihren Vater Fernando gibt, schafft es, den Schönklang seiner Stimme nicht über die darzustell­enden Emotionen zu stellen. Selbst wenn er sich einmal in einer Hundehütte verstecken muss.

Also: Eine ohnedies schon sehr lange Oper gerät selten wirklich in Bewegung. Obwohl es die Möglichkei­t gab, durch mehrere Räume auf zwei Ebenen, zwischen Küche und Heuschober, mit simultanen Szenen so etwas wie theatrale Polyfonie zu erzeugen und die Schablonen der Musik zu beleben, zieht sich die Inszenieru­ng zurück auf Eindimensi­onalität und Routine (Bühne Rainer Sellmaier).

Wie ein Hammer

Eindimensi­onal kann man auch gewiss die Folgen des Dirigats von Antonino Fogliani nennen. Das ORF-RSO-Wien präsentier­t die Musik munter, manchmal wirken die Akzente wie Hammerschl­äge. Abseits solch derber Zuspitzung­en aber ließ man zwar der Musikmasch­ine freien Lauf, mehr klangliche Raffinesse und Leichtigke­it hätten jedoch nicht geschadet. Die Musik durch die Ohren der Elster zu hören war leider nicht möglich. Durch die Vogelaugen sah die Inszenieru­ng besser aus, als sie es war. Es gab aber Applaus. 18., 20., 23., 25. und 27. 11.

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Ein interessan­ter Moment: Ninettas Küchenszen­e (Nino Machaidze) wird per Kamera verdoppelt.

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