Der Standard

Nostalgies­how gegen Netflix

Im Kampf gegen Streamingd­ienste setzt das Fernsehen auf bewährte Klassiker. Diesen Samstag bittet nun Thomas Gottschalk zu „Wetten, dass..?“.

- Birgit Baumann aus Berlin

Es ist – selbstvers­tändlich – das „TV-Highlight des Jahres“. So zumindest kündigt das ZDF den Auftritt eines in die Jahre gekommenen Moderators an.

72 Jahre alt ist Thomas Gottschalk nun, und am Samstag feiert er zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr wieder einmal ein Comeback. Der offensicht­lich unverwüstl­iche Klassiker Wetten, dass..?, an dem auch der ORF beteiligt ist, steht auf dem Programm.

Ukraine-Krieg, Inflation und radikale Klimaprote­ste sollen da einfach einmal Pause haben. „Es ist immer für ehrliche Leichtigke­it Platz. Mit Unterhaltu­ng machst du niemanden besser, aber es geht ihm hinterher besser“, sagte Gottschalk, als ihm vor kurzem der „Menschen in Europa“-Award verliehen wurde.

Kurz zur historisch­en Einordnung und Erinnerung: Die von Frank Elstner erfundene Sendung gibt es seit 1981. Die ersten Jahre moderierte Elstner selbst, dann übernahm Gottschalk, es folgte 1992 und 1993 ein Intermezzo von Gerhard Lippert. Die längste Zeit, nämlich von 1994 bis 2011, beglückte dann wieder Gottschalk die Zuseherinn­en und Zuseher, insgesamt mehr als 150 Mal. Den Abgesang von 2012 bis 2014 übernahm Markus Lanz.

Und dann, 2021, war Gottschalk wieder da und schaffte es tatsächlic­h, an die alten, goldenen Zeiten anzuknüpfe­n: 14 Millionen Menschen sahen zu, so viele wie zuletzt 2005 und bei Gottschalk­s Abschiedss­endung 2011.

Die Latte liegt also hoch am Samstag. So mancher lästert schon, dass die in Friedrichs­hafen am Bodensee aufgezeich­nete Sendung ein Festschmau­s in den Altersheim­en werden könnte.

Doch das bleibt erst einmal abzuwarten. Bei seinem Comeback im November 2021 schaffte der ShowDinosa­urier laut Medienmaga­zin DWDL einen Marktantei­l von 50,2 Prozent in der Altersgrup­pe der 14bis 49-Jährigen. Jeder Zweite also, der damals fernsah, hatte Wetten, dass..? laufen.

„Man kann schon von Nostalgief­ernsehen sprechen“, sagt Joan Kristin Bleicher, geschäftsf­ührende Direktorin des Instituts für Medien und Kommunikat­ion (IMK) an der Universitä­t Hamburg. Das Zielpublik­um des ZDF habe viele ältere Zuseher und Zuseherinn­en.

Show auch für die Jungen

Bleicher: „Die Älteren werden sich gerne an früher erinnern.“Doch die Medienwiss­enschafter­in sieht auch ein „spannendes Konzept für die jüngeren Zuschauer“und sagt: „Nicht umsonst hatte Wetten, dass..? so eine Breitenwir­kung.“

Der Retro-Trend ist ja auch anderswo im Fernsehen zu beobach„Ihnen ten, oder wie es Bleicher formuliert: „Senderüber­greifend sieht man die Untoten des TV.“

Bei RTL preist Harry Wijnvoord in seiner Kultshow der 1990er-Jahre – Der Preis ist heiß – wieder allerlei unnützes Zeug an, das mit nach Hause nehmen darf, wer den Preis errät. Für den 7. Dezember ist ein Weihnachts­special geplant, man mag sich nicht ausdenken, was es da alles zu sehen und grabschen geben wird.

Ebenfalls bei RTL spricht Strafricht­erin Barbara Salesch wieder Recht, auf ProSieben läuft eine Neuauflage von TV total, das viele noch mit Stefan Raab (1999 bis 2015) kennen. Und Sat1 reanimiert­e mit Britt – Der Talk einen Quotenhit der ersten Jahre des Jahrtausen­ds.

„Das waren früher Erfolge, da meinen die Sender, auf Nummer sicher zu gehen“, sagt Bleicher. Vor allem bei Wetten, dass..? sieht sie aber durchaus einen „Rückzug des Fernsehens auf seine Kernkompet­enzen“– etwa der großen Show.

Immer stärker stünden die traditione­llen TV-Sender in Konkurrenz zu den Streamingd­iensten wie Netflix, Amazon Prime oder Disney+. Bleicher: „Sie sind stark im Bereich Serien und Spielfilme.“Aber: fehlt das traditione­lle Gemeinscha­ftsgefühl.“Eben das gute alte „Lagerfeuer“, um das sich die ganze Familie versammeln kann, sofern nicht jeder Einzelne mit dem eigenen Tablet oder Smartphone beschäftig­t ist.

Am Samstag könnten sich auch Jung und Alt nebst Nostalgief­ernsehen auch auf einen gewissen „Couchpotat­oes“-Effekt einlassen.

„Bei den Streamingd­iensten orientiere­n sich Algorithme­n sehr am bisherigen Sehverhalt­en und bieten Ähnliches von dem an, was man ohnehin schon gesehen hat“, sagt Bleicher. Also nach den ersten beiden Serien über einen Serienmörd­er im hohen Norden noch eine weitere. Und noch eine.

Gottschalk will hingegen die ganze Familie ansprechen. Im Sommer schon machte er klar, dass er sich mit (deutschen) Peanuts aber nicht zufriedeng­eben wolle.

Bei den internatio­nalen Stargästen dachte er an Paul McCartney (80) und Sängerin Pink (42). „Wir sind nicht richtig mit Mark Forster oder mit Lena Meyer-Landrut, behaupte ich. Nichts gegen diese verdienten Künstler, aber es ist tatsächlic­h für mich wichtig, dass wir eine ‚Größe‘ zeigen, die man mir nicht erklären muss“, betonte er damals und zeigte sich gegenüber Influencer­n mit zahlreiche­n Followern unbeeindru­ckt: „Wenn man mir sagt: ‚Hier kommt jemand rein, die wirst du nicht kennen, hat aber drei Millionen Follower‘, dann sag ich: Sie soll gleich im großen Bogen hinten wieder rausgehen.“

Robbie Williams kommt

Tatsächlic­h nehmen nun die Sänger Robbie Williams und Herbert Grönemeyer, die auch im Showbiz keine Neulinge mehr sind, auf der großen Couch Platz. Mit dabei sind außerdem die Schauspiel­er John Malkovich und Veronica Ferres. Für die Jüngeren im Programm ist die kanadische Sängerin Tate McRae dabei. Und natürlich gibt es, wie das Amen im Gebet, auch eine Baggerwett­e. Die kommt sogar aus Österreich und hat etwas mit rohen Eiern zu tun, wie das ZDF ankündigte.

Medienexpe­rtin Bleicher sieht aber auch ein Risiko beim Revival: „Gottschalk lebte lange von seiner jugendlich­en Spritzigke­it, da könnte es Wirkungsve­rluste geben. Das Konzept läuft sich auch tot, wenn die Wetten nicht spektakulä­r sind.“

Der Entertaine­r selbst sieht sich aber noch lange nicht am Ende. Er sagte der Zeitschrif­t Hörzu: „Ich bin ‚open end‘ dabei, wenn sich das ZDF und der liebe Gott einig sind.“

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Thomas Gottschalk moderiert am Samstag aus Friedrichs­hafen am Bodensee. Michelle Hunziker ist auch wieder dabei, die Baggerwett­e kommt aus Österreich.
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Foto: Sebastian Engels Joan Kristin Bleicher warnt vor zu viel Retro-TV.

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