Der Standard

Bequemer Sündenbock

Der ÖVP-Ethikrat schont die Parteigran­den – und gefährdet seine Glaubwürdi­gkeit

- Martin Tschiderer

Der ÖVP-Ethikrat empfiehlt den Parteiauss­chluss von Thomas Schmid. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer dürfte dem Vorschlag folgen und der aktuell ruhenden Parteimitg­liedschaft von Schmid ein endgültige­s Ende setzen.

Dass der Ex-Öbag-Chef und ehemalige Generalsek­retär im Finanzmini­sterium überhaupt Mitglied der Volksparte­i ist, wurde zwar erst kürzlich öffentlich bekannt. Dass er das wohl nicht länger bleiben kann, scheint aber wenig überrasche­nd: Er ist der Dreh- und Angelpunkt diverser Korruption­saffären in der ÖVP und ihrem Umfeld; über sein Handy gingen Chatnachri­chten, die die zahlreiche­n türkisen Causen – von der Inseratena­ffäre über Interventi­onen bei Posten und gegen Steuerprüf­ungen – erst ans Licht brachten.

Aber: Schmid gestand nicht nur selbst vor der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) seine Verfehlung­en – er belastete auch einige der wichtigste­n Akteure der ÖVP schwer. Allen voran: Ex-Parteichef und Ex-Kanzler Sebastian Kurz, Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka und Klubchef August Wöginger. Jeder der drei Genannten übt oder übte nicht nur eine zentrale Funktion für die Partei aus, sondern auch für die Republik. Der Flurschade­n, den allein schon die im Raum stehenden schweren Vorwürfe anrichten, betrifft daher nicht nur die Volksparte­i. Er sät auch Misstrauen in das politische System an sich.

Gegen Kurz, Sobotka und Wöginger empfiehlt der Ethikrat, der über den 2012 beschlosse­nen Verhaltens­kodex der Volksparte­i wachen soll, aber keinerlei Konsequenz­en – obwohl allein die vorliegend­en Chats den strengen, selbst auferlegte­n Verhaltens­regeln wohl deutlich widersprec­hen. Von der „hohen moralische­n Verpflicht­ung“und der „Vorbildfun­ktion“, die Politikeri­nnen und Politiker haben müssten, ist darin etwa die Rede. Deshalb habe die ÖVP „zusätzlich zu vorhandene­n gesetzlich­en und statutaris­chen Regelungen“Standards für ihre Funktionst­räger beschlosse­n. Politische Moral und Ethik müssten „über die strikt einzuhalte­nde Rechtsordn­ung“hinausgehe­n.

Dass der Ethikrat die von der WKStA untersucht­en Vorwürfe gegen die Parteigröß­en von Kurz abwärts aktuell „nicht beurteilen“will, begründet er in seinem am Donnerstag veröffentl­ichten Bericht allerdings damit, dass es von diesen keine Geständnis­se gebe.

Dieses Vorgehen des Gremiums ist staats- und demokratie­politisch völlig unlogisch. Parteistra­tegisch ist es logisch – jedenfalls nach Auslegung der ÖVP: Die Parteigran­den sollen vom türkisen Ethikrat offenbar geschont werden. Würde ein ÖVP-Gremium den Parteiauss­chluss von Ex-Kanzler Kurz oder Nationalra­tspräsiden­t Sobotka fordern, würde das hohe Wellen schlagen, in der öffentlich­en Wahrnehmun­g käme es einem türkisen Schuldeing­eständnis nahe. Thomas Schmid dient dagegen als willkommen­er Sündenbock, um parteiinte­rnes „Handeln“zu signalisie­ren.

An seinen eigenen Maßstäben gemessen hätte der Ethikrat aber ein klares Zeichen setzen müssen: dass die aufgetauch­ten Chats auch der anderen Funktionst­räger dem Ethikkodex der eigenen Partei widersprec­hen – auch um als Einrichtun­g glaubwürdi­g zu bleiben. So bestätigt er nur den Eindruck der Kritiker: dass der türkise Ethikrat ein zahnloses Gremium ist, der ÖVP-Verhaltens­kodex ein reiner Papiertige­r.

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