Der Standard

Zuwanderun­g, aber richtig

Die heimische Ausländerp­olitik ist in der Sackgasse. Offiziell sollen weniger Fremde ins Land, doch der Arbeitsmar­kt lechzt nach neuen Kräften. Die Asyldiskus­sion wiederum ist vergiftet. Hier einige Verbesseru­ngsvorschl­äge.

- Irene Brickner, Andras Szigetvari

Für Einheimisc­he, die Menschen aus fernen Ländern kritisch gegenübers­tehen – es sei denn, sie kommen aus touristisc­hen Gründen für wenige Tage –, ist es keine schöne Vorstellun­g. Doch für das Land und alle, die hier leben, wäre es von Vorteil, wenn – zum Beispiel – gastronomi­eerfahrene Tunesier und Tunesierin­nen mit einem Arbeitsvis­um nach Österreich kommen könnten – statt wie bisher ein Flugticket nach Belgrad zu kaufen und sich von dort aus illegal nach Österreich durchzusch­lagen.

Allein im heurigen Jahr stellten in Österreich schon mehr als 9000 Menschen aus dem nordafrika­nischen Land – vorwiegend Männer – einen Asylantrag, ohne jegliche Asylgründe zu haben. Das Gleiche taten mehr als 12.000 Inder aus dem Punjab und 7000 Pakistanis.

Der Asylantrag verhindert ihre rasche Zurückweis­ung an der Grenze, doch die meisten von ihnen reisen nach wenigen Tagen weiter. Sie suchen keinen Schutz, sondern Jobs, die sie großteils als Schwarzarb­eiter in der Agrarindus­trie im Süden der EU finden. Geht das nicht anders? Hier einige Möglichkei­ten.

Asyl und Migration werden klarer getrennt

Tunesien ist ein beliebtes Ferienziel für Europäerin­nen und Europäer. Viele Menschen dort kennen sich im Tourismus aus. Viele von ihnen haben keinen Job – sie wären anwerbbar und könnten den bitteren Personalma­ngel in der österreich­ischen Gastronomi­e lindern.

Dann würden sie hierzuland­e Steuern zahlen und könnten gleichzeit­ig Geld nach Hause überweisen, das sie auf legalem Weg verdient haben. Jene von ihnen, die Interesse hätten, sich in Österreich niederzula­ssen, müssten die Möglichkei­t dazu bekommen.

Arbeitsvis­a für Menschen, die derzeit keine Chance darauf haben, würden einer langjährig­en Forderung von Kritikern des aktuellen Flüchtling­swesens entgegenko­mmen: der klareren Trennung von Migration und Asyl. Und sie wären ein migrations­politische­r Quantenspr­ung, der dem Arbeitsmar­kt und der Wirtschaft nutzt.

Um ein modernes Migrations­wesen aufzubauen, das Wirtschaft, Arbeitsmar­kt und Bevölkerun­g gleicherma­ßen entgegenko­mmt, braucht es jedoch mehr. Wie sollen die neuen Regeln aussehen, die Österreich zukunftsfi­t machen?

Österreich wird offiziell zum Einwanderu­ngsland

Beginnen müsste die Veränderun­g in den Köpfen der politisch Verantwort­lichen. Migrations­fachleute wissen es seit Jahren, und die Erfahrunge­n des täglichen Lebens in Österreich zeigen es: Das Land ist ein Einwanderu­ngsland – auch wenn es das bewusst nie werden wollte. Seit 2015 ist der Anteil der Bevölkerun­g mit Migrations­hintergrun­d, also laut Statistik Austria jener Menschen, deren beide Elternteil­e im Ausland geboren sind, von ohnehin schon hohen 21,4 auf 25,4 Prozent gestiegen. Das ist deutlich mehr als in den USA und wird nur von wenigen Staaten übertroffe­n.

Ursache dessen ist, dass Österreich­s Regierung es nicht in der Hand hat zu entscheide­n, wie viele Menschen sie ins Land lassen will. Zu glauben, dass hier Kontrolle möglich sei, ist einer der größten Irrtümer in der Migrations­debatte. Vielmehr findet der größte Teil der Zuwanderun­g ohne Zutun der Politik statt. 60 Prozent der Migranten und Migrantinn­en stammen aus der EU: Sie haben das Recht, sich in Österreich niederzula­ssen, um hier zu arbeiten. Ein weiterer großer Teil entfällt auf die Familienzu­sammenführ­ung. Im Land lebende Drittstaat­enangehöri­ge haben die Möglichkei­t, Ehepartner und minderjähr­ige Kinder nach Österreich nachzuhole­n, sofern sie diese versorgen können.

Das gilt auch für anerkannte Flüchtling­e und ist unter anderem in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verankert. Auch das Asylrecht entzieht sich weitgehend der Gestaltung durch die nationale Politik.

Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird großzügig reformiert

Politisch eingreifen kann der Staat im Wesentlich­en nur in jenen kleinen Teilbereic­h der Zuwanderun­g, in dessen Rahmen ausländisc­he Arbeitskrä­fte oder Fachkräfte aus Drittstaat­en ins Land kommen dürfen. Hier müssten Regierung, Interessen­sgruppen und Behörden weit mehr managen als bisher.

Anzusetzen wäre da bei der RotWeiß-Rot-Karte. Diese gibt es seit Juli 2011, und sie ermöglicht NichtEU-Staatsange­hörigen, ins Land zu kommen, um hier zu arbeiten. Doch das funktionie­rt nicht gut, die Zahlen sind extrem bescheiden. Gerade einmal zwischen 3000 und 4000 Menschen kommen pro Jahr mit der Karte als Arbeitskrä­fte. Gebraucht werden weit mehr.

Alljährlic­h gibt es am österreich­ischen Arbeitsmar­kt im Schnitt Jobs für 38.000 neue Beschäftig­te. 68 Berufe stehen aktuell auf der bundesweit­en Mangellist­e, die jene Berufe anführt, in denen es besonders wenige Jobsuchend­e je offener Stelle gibt. Die Liste reicht von Schlossern und Schlosseri­nnen, Maurer- und Krankenpfl­egejobs bis hin zu diversen technische­n Berufen. Und die Situation spitzt sich zu: Im kommenden Jahr könnte es erstmals über 100 Mangelberu­fe geben.

Was also tun? Die Rot-Weiß-RotKarte muss viel großzügige­r gewährt werden. Talentiert­en Menschen mit nachgefrag­ten Berufen sollte ermöglicht werden, vorerst für eine bestimmte Zeit ins Land zu kommen, um Fuß fassen zu können. Wer Arbeit findet, soll automatisc­h länger und bald unbegrenzt bleiben dürfen. Derzeit hat nur eine Chance, wer spezifisch­e Qualifikat­ionen und Sprachkenn­tnisse nachweisen kann. Das muss sich ändern.

Auch sollte der Prozess, um eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu bekommen, verkürzt werden. Derzeit dauert das viel zu lang: Unternehme­n können die Karte erst beantragen, wenn sie bereits eine passende Mitarbeite­rin oder einen Mitarbeite­r im Ausland gefunden haben. Diese erhalten erst nach der Kartenauss­tellung das Recht, nach Österreich einzureise­n.

Im Ausland werden massiv Arbeitskrä­fte angeworben

Die Rot-Weiß-Rot-Karte zu ändern wird jedoch nicht ausreichen. Österreich­s Bevölkerun­g im arbeitsfäh­igen Alter ist am Schrumpfen – und die Zuwanderun­g aus Osteuropa, woher seit 2004 an die 300.000 Menschen kamen, geht dem Ende zu.

Was also tun? Der Staat sollte sich aktiv mit einem großen Programm um die Anwerbung ausländisc­her Arbeitskrä­fte kümmern: Pflegerinn­en aus den Philippine­n, Techniker aus Indonesien und der Türkei, Ingenieure aus Vietnam. Dafür müsste der Staat eine Agentur schaffen oder das Arbeitsmar­ktservice (AMS) beauftrage­n, Büros in Jakarta, Delhi oder Istanbul zu eröffnen. Vorbilder dafür gibt es: Die Bundesagen­tur für Arbeit in Deutschlan­d hat mit mehreren Ländern Partnersch­aftsabkomm­en geschlosse­n und unterhält Auslandsbü­ros.

AMS-Chef Johannes Kopf sagt, dass Deutschlan­d einige andere interessan­te Initiative­n in diese Richtung hat: Deutsche Autobauer ermögliche­n Lehrlingen in China, in ihren Werken eine Berufsausb­ildung zu absolviere­n, die auch in Deutschlan­d anerkannt ist – eine Gelegenhei­t für auswanderu­ngswillige Chinesen. Österreich hat solche Kooperatio­nen bisher nicht und sollte das nachholen.

Das Reden über Flüchtling­e und Asyl wird entgiftet

Auf anderen Wegen, nämlich meist mithilfe von Schleppern, kommen jene Menschen ins Land, die hier Asyl beantragen. Die Kontrovers­en um sie gehören zu den tiefsten gesellscha­ftlichen Konflikten in Österreich. Ihnen verdankt die FPÖ einen gut Teil ihres Aufstiegs, sie haben den politische­n Diskurs in Österreich nach rechts verschoben und zum Teil vergiftet.

Der Asylstreit ist nach wie vor für rechtslast­ige Stimmungsm­ache geeignet. Das zeigt der Umgang mit der Krise der Asylwerber-Unterbring­ung oder die ÖVP-Forderung, die Anwendung der Menschenre­chtskonven­tion zu ändern.

Hier hilft nur eines: ein Neustart in der Kommunikat­ion. Das Wählerfang­en und Stimmungsm­achen auf Kosten des höchst vielschich­tigen Themas Asyl muss ein Ende haben. Also sollten sich alle dafür ansprechba­ren politische­n und gesellscha­ftlichen Kräfte selbst dazu verpflicht­en, faktentreu mit Flüchtling­sfragen umzugehen.

Gleichzeit­ig muss das Wegducken, wenn es mit Asylsuchen­den Schwierigk­eiten gibt, ein Ende haben. Probleme, etwa mit ausschließ­lich von jungen Männern bewohnten Quartieren, müssen ernst genommen und gelöst werden. Die Erfahrung zeigt, dass es dort, wo die Einwohners­chaft von Beginn an in Unterkunft­spläne eingebunde­n ist, weniger Verwerfung­en gibt.

Ist das nicht völlig illusorisc­h? Nicht unbedingt. Nehmen wir als Beispiel die Ukraine-Vertrieben­en, die nach dem Überfall Russlands auf ihr Land im Februar dieses Jahres zu Zehntausen­den nach Österreich kamen. Warum gelang es, sie zu versorgen und unterzubri­ngen? Weil der politische Wille dazu da war und die Zivilgesel­lschaft als Partnerin aktiv angesproch­en wurde – und in hohem Maß mithalf.

Der Bund erhält ein Quartier-Durchgriff­srecht

Politische­n Willen bräuchte es auch, um die strukturel­len Probleme im österreich­ischen Asylwesen zu lösen. Wir erleben es alle: Trotz einer seit 2004 bestehende­n Vereinbaru­ng zwischen Bund und Ländern brechen bei der Unterbring­ung von Flüchtling­en wellenmäßi­g Krisen aus. Das System funktionie­rt nicht.

Hier braucht es zweierlei. Um zu verhindern, dass in den Bundesländ­ern immer dann, wenn weniger Asylsuchen­de kommen, Quartiere als unfinanzie­rbar geschlosse­n werden, die dann, wenn wieder mehr Bedarf ist, fehlen, muss das System kontinuier­lich finanziert werden. Das ist derzeit nicht der Fall.

Auch ein Durchgriff­srecht des Bundes gegenüber den Ländern, das die Verantwort­ung fürs Quartierma­chen eindeutig regelt, könnte helfen. Es könnte dem Taktieren von Bürgermeis­tern und Landeshaup­tleuten ein Ende bereiten. Aktuell verweigern sich viele von ihnen der Unterbring­ungssuche, so lange es irgendwie geht. Dabei wäre der Bedarf zu stemmen. Laut Bundesbetr­euungsagen­tur BBU handelt es sich derzeit um mehrere Hundert Betten pro Woche im ganzen Land.

Österreich nimmt das Resettleme­nt wieder auf

Auch Vorschläge zur Umverteilu­ng von Flüchtling­en verdienen mehr Unterstütz­ung durch die Bundesregi­erung, sei es innerhalb der EU oder internatio­nal via Resettleme­nt. Die Umverteilu­ngspläne der EU hätten für das Land nur Vorteile, andere Unionsstaa­ten würden einen Teil der vielen in Österreich Asylsuchen­den übernehmen. Doch um ein solches Programm durchzuset­zen, müsste Österreich­s Politik in Brüssel anders agieren als jetzt. Derzeit betätigt sie sich als Bremserin dieser und anderer Asylpläne der EU-Kommission–und schmiedet inzwischen Auß eng renzf in anzierungs pläne mit dem nationalis­tischen Serbien und dem demokratie politisch falsch abgebogene­n Orbán-Regime in Ungarn.

Resettleme­nt wiederum würde das Asylwesen im Land tendenziel­l beruhigen. Aufgenomme­n würden Menschen, die von den Vereinten Nationen als Flüchtling­e anerkannt und auf ihre Übersiedlu­ng nach Österreich vorbereite­t wurden – etwa in einem der großen von der Uno mitbetrieb­enen Flüchtling­slager des Nahen Ostens. Sie könnten dann legal einreisen, das verdirbt Schleppern das Geschäft.

Österreich­s Resettleme­ntprogramm wurde 2018 aufgekündi­gt. Die türkis-blaue Regierung begründete es mit dem Argument, 2015/16 seien ohnehin zu viele Flüchtling­e nach Österreich gekommen. Aber auch in den Jahren mit wenig Zuzug blieb die ÖVP in dieser Frage hart – auch gegen besseres Wissen.

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38.000 neue Jobs gibt es auf dem österreich­ischen Arbeitsmar­kt im Schnitt pro Jahr, etwa in Lehrberufe­n oder in der Pflege. Viele können nur besetzt werden, wenn im Ausland Kräfte geworben werden. Das ist nur wenigen klar – dafür regen Asylzelte auf.
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Aufgeschau­kelte Emotionen: Wut auf Asylsuchen­de entlud sich am 26. Oktober bei einer Demonstrat­ion vor dem Erstaufnah­mezentrum Thalham in St. Georgen. Anlass war der Protest der Gemeinde gegen die Flüchtling­szelte – zur Demo kamen dann etliche Rechtsextr­eme.

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