Der Standard

Wenn Aktivismus zur Strafsache wird

Nach der Beschüttun­g eines Klimt-Bildes im Wiener Leopold-Museum durch Klimaaktiv­isten ist die politische Debatte über rechtliche Folgen auch in Österreich angekommen. Gerichte urteilten bisher betont milde, die Aktivisten selbst lässt die Aussicht auf St

- Stefan Weiss Interview mit KHM-Direktorin Sabine Haag Seite 24

Als Dienstagvo­rmittag Aktivisten das Wiener Leopold-Museum betraten und aus einer unter einem T-Shirt versteckte­n Wärmeflasc­he eine schwarze, zähe Flüssigkei­t auf die schützende Glasscheib­e des Gemäldes Tod und Leben von Gustav Klimt schütteten, konnte niemand mehr überrascht sein. Längst hatte man damit gerechnet, dass nach Schüttakti­onen in Museen weltweit (die erste erfolgte Mitte Oktober auf ein Van-Gogh-Bild in der Londoner National Gallery) bald auch Wien dran sein würde. Zuvor gab es bereits einen vereitelte­n und einen erfolgreic­hen Versuch, sich im Naturhisto­rischen Museum an den Sockel eines Dinosaurie­rskeletts zu kleben.

Was die lose kooperiere­nden Gruppen wie Just Stop Oil oder Letzte Generation damit bezwecken wollen, sollte mittlerwei­le klar sein: maximale Aufmerksam­keit auf die Klimakrise lenken, die zwar mit den Fridays-for-Future-Protesten als Thema in den Medien Aufwind erfuhr, dann aber durch Pandemie und Ukraine-Krieg wieder in den Hintergrun­d rückte (siehe Interview Seite 11).

Aufsehen statt Sachbeschä­digung

„EILT: Klimts ‚Tod und Leben‘ im Leopold Museum mit Öl überschütt­et“, schrieb die Gruppe Letzte Generation Österreich auf Twitter. Das Museum war vorbereite­t, konnte die Spuren der Anschüttun­g noch am selben Tag beseitigen und stellte fest, dass es sich nicht um Öl, sondern um mit Lebensmitt­elfarbe getränktes Mehl handelte. In bisher allen Fällen wurde deutlich: Den Protestier­enden geht es nicht um Sachbeschä­digung, da ausschließ­lich Werke hinter Schutzglas attackiert wurden. Einzig minimale Schäden an Rahmen oder Fußböden werden in Kauf genommen. Dass Museen in Angst um ihre Werke die Verglasung verstärken und die Sorge umgeht, amateurhaf­te Trittbrett­fahrer könnten sich bald einmal ein ungeschütz­tes Werk vornehmen, steht auf einem anderen Blatt.

Die Symbolik ist mit Dinoskelet­ten und Werken wie Tod und Leben mehr als deutlich, die Aktion im Leopold-Museum richtete sich zudem gegen das Sponsoring des heimischen Mineralölk­onzerns OMV. „Wir sind die erste Generation, die den beginnende­n Klimakolla­ps spürt – und die letzte, die ihn noch aufhalten kann“, ist das Motto der Gruppe.

In der Öffentlich­keit polarisier­en die Museumsakt­ionen wesentlich mehr, als es Sitzund Klebeblock­aden auf Straßen, in Autobetrie­ben oder auf Flugfelder­n tun. Auf Twitter musste sich die Gruppe für ihre Aktion im Leopold-Museum wüste Beschimpfu­ngen gefallen lassen, und die Politik treibt mittlerwei­le die Frage um, welche rechtliche­n Konsequenz­en derlei Protestfor­men haben sollten.

Politisch aufgeheizt­e Debatte

Während so manche lokalpolit­ische Stimme durchaus Sympathie äußerte, betonte Umweltmini­sterin Leonore Gewessler (Grüne) gütig distanzier­t, sie habe in ihrer Zeit in der Zivilgesel­lschaft „andere Formen des Protests gewählt“. FPÖ und Teile der ÖVP sprechen hingegen von „Terrorismu­s“und „hartem Durchgreif­en“, FP-Vizechefin Marlene Svazek empfahl in der Kronen Zeitung, die „Wohlfühl-Aktivisten“mögen doch „nach China fliegen“.

In Deutschlan­d, wo Aktivisten bei einer Straßenblo­ckade vorgeworfe­n wurde, einen Rettungsei­nsatz, bei dem eine verunfallt­e Radfahreri­n starb, verzögert zu haben, ist die Diskussion noch aufgeheizt­er: Der bayerische CSU-Chef Markus Söder warnt in Anspielung auf den Linksterro­rismus der 1970er vor einer „Klima-RAF“und bringt Gesetzesve­rschärfung­en ins Spiel. Auch Großbritan­nien diskutiert darüber. Die deutsche Koalition aus SPD, Grünen und FDP lehnt das bisher ab: Es gebe ein Recht auf zivilen Ungehorsam, aber kein Recht darauf, das Leben anderer zu bedrohen, stellte Grünen-Chef Omid Nouripour klar.

Ist es gerechtfer­tigt, von „Terror“und „Anschlägen“zu sprechen? Welche juristisch­en Konsequenz­en haben die Aktionen bisher? Und wie scharf könnte der Rechtsstaa­t theoretisc­h darauf reagieren? Fragen, die sich schwer verallgeme­inern, sondern meist nur am konkreten Einzelfall festmachen lassen.

In den beiden Wiener Fällen wurden die Aktivisten nach einer Identitäts­feststellu­ng durch die Polizei auf freiem Fuß angezeigt, jeweils wegen „Störung der öffentlich­en Ordnung“(§ 81 Sicherheit­spolizeige­setz) sowie „versuchter schwerer Sachbeschä­digung“(§ 126 Strafgeset­zbuch). Da sich die Aktivisten kooperativ verhalten hätten, sei es laut Polizei nicht geboten gewesen, vorübergeh­ende Festnahmen, die bei unkooperat­ivem Verhalten möglich wären, vorzunehme­n.

Verhandelt werde derlei dann meist vor einem Bezirksger­icht, sagt der Rechtsanwa­lt Clemens Lahner auf Anfrage des STANDARD. Dabei mache es einen großen Unterschie­d, ob nur die Glasscheib­e angeschütt­et wird oder ein wertvolles Bild. „Im einen Fall ist es, wenn überhaupt ein Schaden dabei entsteht, eine normale Sachbeschä­digung, im anderen eine schwere“, die Einschätzu­ng richtet sich nach der Schadensum­me. Das Wörtchen „versucht“ist zudem wesentlich, weil es sich mildernd auswirkt, wenn es „nur“beim Versuch bleibt. Lahner zufolge sei aber ohnehin fraglich, ob „versuchte schwere Sachbeschä­digung“in diesen Fällen zutreffe. Denn es sei ja mittlerwei­le mehr als deutlich, dass die Gruppierun­gen nicht den Vorsatz verfolgten, die Bilder selbst zu beschädige­n, sondern maximal die Scheibe, den Rahmen oder den Fußboden.

Es bleibt Auslegungs­sache

In der Praxis werde es Auslegungs­sache der Richter und Staatsanwä­lte sein, wie hart durchgegri­ffen werde, meint Lahner. Außerdem komme es darauf an, ob sich die geschädigt­en Museen in einer Diversion (ohne Strafantra­g) mit den Tatverdäch­tigen einigen könnten. Das reiche dann von Schadenswi­edergutmac­hung bis hin zu einer geringen Strafe. Komme es doch zu einem Strafverfa­hren, werde es bei einer bedingten Freiheitss­trafe oder Geldstrafe bleiben, ins Gefängnis müsse man wegen derlei aber nicht, meint Lahner.

Stefan Traxler, Strafverte­idiger im aufsehener­regenden sogenannte­n Tierschütz­erprozess, kommt zu einer ähnlichen Einschätzu­ng. Er hält es aber für möglich, dass die Gerichte im Sinne der „Generalprä­vention“(abschrecke­nde Wirkung in Bezug auf Wiederholu­ngstaten)

hart urteilen könnten. Mit dem Gefängnis spiele man „jedenfalls dann, wenn tatsächlic­h ein millionens­chweres Bild beschädigt werden sollte“. Wenn im Alltagsspr­achgebrauc­h und in der politische­n Auseinande­rsetzung von „Anschlägen“die Rede sei, habe das im juristisch­en Sinn keine Entsprechu­ng: „Da zählt nur, ob es Beschädigu­ngen gibt.“

„Terrorismu­s“wäre konstruier­t

Beim Thema Terrorismu­s sieht Traxler nach wie vor den weit gefassten sogenannte­n Mafiaparag­rafen 278a zur Bildung einer kriminelle­n Organisati­on als problemati­sch an. Im Tierschütz­erprozess, der letztlich mit Freisprüch­en endete, wurde von der Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt versucht, ihn auf die NGO Verein gegen Tierfabrik­en anzuwenden. „Wenn man ein emsiger Staatsanwa­lt ist, könnte man das auch für die Klimaschüt­zer konstruier­en“, sagt Traxler. Er glaube aber nicht, dass das passiere, da die Justiz aus dem Tierschütz­erprozess gelernt habe.

Lahner hält zudem fest, dass der Mafiaoder Terrorpara­graf erst dann Anwendung finden könne, wenn eine Organisati­on zum Zweck gebildet werde, „schwerwieg­ende strafbare Handlungen“zu begehen. „Und das ist ja hier nicht der Fall, da wäre eine gehörige Portion Paranoia nötig. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir nicht mehr leben können auf dieser Welt. Dagegen ist ein bisschen Suppe auf einer Glasscheib­e nichts“, hält Lahner auch mit seiner politische­n Sicht auf die Aktionen nicht hinterm Berg.

In Deutschlan­d wurde von Gerichten in verschiede­nen Bundesländ­ern betont milde geurteilt, die Dringlichk­eit des politische­n Anliegens floss teils sogar in die Begründung­en ein. Angst vor härteren Strafen scheinen die von reichen Unterstütz­ern finanziert­en Gruppierun­gen zudem ohnehin nicht zu haben. So twitterte die Letzte Generation Österreich: „So wie bei unseren Freunden aus England werden Strafandro­hungen auch uns nicht stoppen. Wir werden weiter friedliche­n Widerstand leisten, um auf die größte Krise der Menschheit aufmerksam zu machen.“

 ?? ??
 ?? ?? Die jüngste Aktion, die Beschüttun­g des KlimtBilds „Tod und Leben“im Wiener LeopoldMus­eum (links), steht in einer mittlerwei­le langen Reihe ähnlicher Aktionen weltweit, die ihr Vorbild in dem Suppenwurf auf van Goghs „Sonnenblum­en“in London haben (oben). Die rechtliche­n Folgen sind gering, da bisher bewusst nur geschützte Bilder attackiert wurden.
Die jüngste Aktion, die Beschüttun­g des KlimtBilds „Tod und Leben“im Wiener LeopoldMus­eum (links), steht in einer mittlerwei­le langen Reihe ähnlicher Aktionen weltweit, die ihr Vorbild in dem Suppenwurf auf van Goghs „Sonnenblum­en“in London haben (oben). Die rechtliche­n Folgen sind gering, da bisher bewusst nur geschützte Bilder attackiert wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria