Der Standard

Wir in Katar Warum ein Boykott der Fußball-WM für uns keine Option ist

- Philip Bauer

Werden Sie die Fußball-WM in Katar boykottier­en? Nun, es gäbe gute Gründe dafür. Bei der Vergabe ging es nicht mit rechten Dingen zu. Tausende Gastarbeit­er sind ums Leben gekommen. Ein WM-Botschafte­r bezeichnet­e Homosexual­ität als „geistigen Schaden“. Sie wissen das alles, weil Sie sich in den vergangene­n Jahren informiert haben. Weil Ihnen die Grundlage für einen legitimen Boykott geliefert wurde. Von NGOs, von Experten, von den Medien. Auch DER STANDARD berichtet seit Jahren über die Begleitums­tände der Endrunde.

Im Jänner 2015 richtete Katar die Handball-Weltmeiste­rschaft aus. Das hat für keinen großen Wirbel gesorgt. Auch damals war im Emirat nicht alles eitel Wonne, aber Handball läuft in der öffentlich­en Wahrnehmun­g unter dem Radar. Fritz Neumann war für uns in Doha, um zu berichten. Vom Sport und von den Rahmenbedi­ngungen. Katar lud Journalist­en ein – DER STANDARD lehnte ab und beglich seine Kosten selbst.

In der Reportage Katar zahlt, Katar kauft war bereits vor sieben Jahren von verstorben­en Gastarbeit­ern, der Diskrimini­erung von Homosexuel­len und der eingeschrä­nkten Meinungsfr­eiheit zu lesen. Über diese Themen wird auf der Halbinsel nicht so gern gesprochen. Aber Journalism­us darf sich nicht von prächtigen Stadien blenden lassen, er muss hinterfrag­en. Und er sollte jede Gelegenhei­t nutzen, um Informatio­nen aus erster Hand zu liefern.

Eben aus diesem Grund sind wir auch 2022 in Katar vertreten. Unser Redakteur Martin Schauhuber wird sich nicht an eine Torstange ketten. Schauhuber ist kein Aktivist, er ist Journalist. Seine Aufgabe ist es, Sie bestmöglic­h zu informiere­n. In diesem Sinne ist es geboten, ins Zentrum des Geschehens vorzudring­en. So wie bei der WM 2018 in Russland und bei Olympia 2022 in China. Ein redaktione­ller Boykott, wie er dieser Tage mitunter gefordert wurde, ist für den STANDARD niemals eine Option gewesen.

Wie werden wir über das Turnier berichten? Wer unsere Sportberic­hterstattu­ng verfolgt, weiß, dass dem gesellscha­ftlichen Aspekt ein hoher Stellenwer­t eingeräumt wird. Das wird diesmal nicht anders sein. Sportswash­ing kann nur funktionie­ren, wenn man aufhört, Probleme anzusprech­en. Das wird nicht passieren. Bei der größten Sportveran­staltung der Welt spielt aber auch der Sport eine Rolle. DER STANDARD wird wie gewohnt von den Spielen berichten. Diese Weltmeiste­rschaft wird ihren Weg in die Geschichts­bücher finden. Wir stehen in der Pflicht, diese Geschichte nicht vom Weltfußbal­lverband schreiben zu lassen.

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