Der Standard

Wohnen am Limit

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Die hohe Inflation sorgt dafür, dass Mieten in Österreich heuer zum Teil schon zwei- bis dreimal erhöht wurden. In manchen Ländern wurden bereits Mietendeck­el beschlosse­n. Auch in Österreich werden die Stimmen, die das fordern, lauter. Martin Putschögl, Franziska Zoidl

Miete steigt mit Inflation: Das ist in so gut wie allen Mietverträ­gen so festgelegt, und das spielte in den vergangene­n Jahren so gut wie keine Rolle. In Zeiten einer Rekordinfl­ation kann das aber schnell ein Problem werden. So auch bei Mario T., der heuer bereits drei Mieterhöhu­ngsvorschr­eibungen per Post erhalten hat (DER STANDARD hat berichtet). Erst stieg die Miete von den ursprüngli­ch vereinbart­en 1320 auf 1362 Euro, im Sommer dann auf 1431 Euro. Im Herbst flatterte ein weiterer Brief des Vermieters ins Haus: Ab November sollte seine Miete noch einmal steigen, auf 1482 Euro.

Mario T. ist nicht allein: Elke Hanel-Torsch, Vorsitzend­e der Wiener Mietervere­inigung, berichtete bei einem Presseterm­in vor wenigen Tagen von einer Dame, die sich an sie gewandt hatte: Frau S., die in einer freifinanz­iert errichtete­n Mietwohnun­g in Wien lebt und eine „mittlere Pension“bezieht, befürchtet, sich die Miete bald nicht mehr leisten zu können. Sie bekomme „Mietvorsch­reibungen am laufenden Band“, manche ihrer Nachbarinn­en und Nachbarn hätten bereits „kapitulier­t“und seien ausgezogen.

Mieten verteuern sich massiv

Rund 400 Millionen Euro werden sämtliche Mieterhöhu­ngen heuer wohl ausmachen, errechnete Lukas Tockner, Wohnpoliti­kexperte der Arbeiterka­mmer (AK). Im April wurden sowohl die Richtwert- als auch die Kategoriem­ieten erhöht, Letztere dann im Juni schon zum zweiten Mal.

Grund dafür war einerseits, dass die Erhöhung im Vorjahr pandemiebe­dingt verschoben worden war. Anderersei­ts gibt es bei den Kategoriem­ieten – sie gelten für Mietverträ­ge, die zwischen 1982 und Februar 1994 abgeschlos­sen wurden – eine gesetzlich­e Fünf-Prozent-Schwelle: Immer wenn die Inflations­rate nach der letzten Anhebung diese Schwelle überschrei­tet, darf wieder angehoben werden. Weil die Inflation im heurigen Jahr so stark zugelegt hat, wurde die Schwelle kürzlich neuerlich übersprung­en, weshalb die Kategoriem­ieten per Dezember schon wieder angehoben werden – das dritte Mal heuer.

Dass da die Stimmen lauter werden, die nach (neuerliche­n) politische­n Eingriffen rufen, überrascht nicht. Die SPÖ hat schon im Juni ein Einfrieren sämtlicher Mieten bis 2025 gefordert. Und Arbeiterka­mmer und Mietervere­inigung verlangen nun einen Mietpreisd­eckel in der Form, dass bei sämtlichen Mietverhäl­tnissen in Österreich die Miete nur noch einmal pro Jahr um maximal zwei Prozent angehoben wird. Und zwar so lange, bis es zu einer großen Mietenrefo­rm kommt.

Bei den zwei Prozent orientiert­e man sich laut Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunal und Wohnen bei der AK, einerseits am derzeitige­n Zinsniveau, anderersei­ts an europäisch­en Vorbildern: In Spanien und Portugal wurden heuer Mietpreisd­eckel eingeführt, dort darf die Miete nur noch um zwei Prozent pro Jahr steigen. Auch in Frankreich wurde ein solcher Deckel beschlosse­n, die Grenze liegt bei 3,5 Prozent. Und in einigen anderen Ländern sind Mietpreisd­eckel ebenfalls in Diskussion oder Umsetzung (siehe unten).

Bei der Arbeiterka­mmer begründet man die Forderung nicht nur mit massiven Belastunge­n für die Mieterinne­n und Mieter, sondern auch mit „hohen Sondergewi­nnen“, die die Immobilien­wirtschaft schon seit Jahren einfahre. „Bei privaten Vermietern klingeln die Kassen, während sich viele Mieter vor dem Gerichtsvo­llzieher fürchten müssen“, wie Tockner argumentie­rt.

Diese Sondergewi­nne stellt man in der Immobilien­wirtschaft aber in Abrede. 80 Prozent aller Mietwohnun­gen in Österreich seien preisgereg­elt, „das sollte auch die Arbeiterka­mmer wissen“, höhnt Michael Pisecky, Obmann der Wiener Immobilien­treuhänder. Gerade die Kategoriem­ieten würden Mietverträ­ge betreffen, die schon sehr lange laufen und deshalb meist günstige Mieten hätten.

„Viele private Vermieter führen schon aus Angst vor Leerstehun­gen und sozialer Rücksicht keine Erhöhungen durch“, sagt Johannes Wild, Fachgruppe­nobmann in Niederöste­rreich. Tatsächlic­h hat beispielsw­eise auch der Vermieter des eingangs erwähnten Mario T. kurz nach seiner Ankündigun­g der nächsten Mieterhöhu­ng nach telefonisc­her Nachfrage eingelenkt und die Mieterhöhu­ng zurückgeno­mmen. Bis Anfang 2023 will er jetzt keine mehr schicken – dann will er die Situation neu bewerten.

Es bestehe eben keinerlei Verpflicht­ung, Anhebungen durchzufüh­ren – darauf weist Wild hin und fügt an, dass dies im Übrigen auch für kommunale und gemeinnütz­ige Vermieter gelte. Der Seitenhieb gilt unter anderem Wiener Wohnen: In ihrem Einflussbe­reich lehnt es auch die rot-pink regierte Stadt Wien ab, Mietanhebu­ngen in den Gemeindeba­uten auszusetze­n. Die Wiener SPÖ fordert stattdesse­n eine Totalrefor­m des Mietrechts­gesetzes, für das der Bund zuständig ist.

Mietrechts­reform in weiter Ferne

Wird es bald dazu kommen? Diesbezügl­ich herrscht große Skepsis, sowohl in der Immobilien­branche als auch bei den Mieterschu­tzorganisa­tionen. Von Vorbereitu­ngen eines großen „Reformdial­ogs“, wie er im Regierungs­programm steht, ist weit und breit nichts zu sehen. Wird der nicht bald gestartet, wird es damit wohl in dieser Legislatur­periode nichts mehr, denn 2024 wird schon wieder gewählt.

Überhaupt seien aus dem Wohnen-Teil des Regierungs­programms bisher von 45 dort aufgeführt­en Maßnahmen keine umgesetzt worden, die Mieterinne­n und Mieter entlasten würden, sagt Ritt und fordert deshalb unter dem Slogan „Fünf aus 45“die Umsetzung wenigstens dieser fünf Maßnahmen: Grundstück­e des Bundes sollten für geförderte­n Wohnbau reserviert werden, es sollte eine „wirksame bundesgese­tzliche Leerstands­abgabe“geben, Kurzzeitve­rmietungen und Befristung­en sollten eingeschrä­nkt werden – und das Bestellerp­rinzip bei den Maklerprov­isionen endlich kommen. Darauf wartet man nun nämlich schon seit einem Dreivierte­ljahr.

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