Der Standard

Drogen, sexuelle Übergriffe und Videos

Die Vergewalti­gung einer Elfjährige­n in Wien erinnert stark an den Fall der getöteten 13-jährigen Leonie W. In beiden Causen filmten die Männer außerdem Szenen mit und schufen zeitgleich mögliche Beweise gegen sich selbst.

- David Krutzler, Jan Michael Marchart

Ein junges Mädchen, das mit Ecstasy in einer fremden Wohnung gefügig gemacht und vergewalti­gt wird: Was einer Elfjährige­n vor einer Woche in Wien zugestoßen sein soll, erinnert stark an den Fall der kaum älter gewordenen Leonie W. Sie sollte eine Nacht im Juni 2021 nicht überleben.

Drei Afghanen sitzen deshalb seit September vor Gericht. Den jungen Männern wird vorgeworfe­n, Leonie W. eine dreifach tödliche Dosis Ecstasy in ein Getränk gemischt zu haben, ehe das Mädchen sexuell missbrauch­t worden sei.

Beim zuletzt bekanntgew­ordenen Vorfall in Wien, bei dem auch die sexuelle Selbstbest­immung einer 14-Jährigen verletzt worden sein dürfte, konnten beide Mädchen aus der Wohnung flüchten.

Die Causen verbindet ein weiteres Element. Die mutmaßlich­en Täter filmten mit ihren Smartphone­s Szenen der mutmaßlich­en Taten. Das ist vor allem deshalb interessan­t, weil die Männer damit ein durchaus starkes Beweismitt­el gegen sich selbst angefertig­t haben könnten. Im Prozess um die getötete 13-jährige Leonie W. geht es um einen kurzen Mitschnitt. In der Szene ist zwar keine explizite Vergewalti­gungshandl­ung zu sehen – allerdings ein nacktes Opfer, das sich im Todeskampf befunden habe, und ein leichtbekl­eideter Angeklagte­r.

„Wenn ich so etwas filme, kann das durchaus Rückschlüs­se auf eine mutmaßlich­e Unfreiwill­igkeit des Opfers zulassen“, sagt Alois Birklbauer, Leiter des Kriminolog­ieZentrums der JKU Linz. „Denn warum filmen Täter so etwas? Es geht ihnen darum, das Opfer zu demütigen, das Video ist eine Art Trophäe.“

Die „Brutalität“ist bekannt

Das sieht auch die Psychiater­in und Gerichtsgu­tachterin Adelheid Kastner so. Von der Selbstdoku­mentation ist sie aber nicht überrascht. „Heute filmen Leute alles, was sie tun“, sagt Kastner. „Vermutlich hat es in den konkreten Fällen auch damit zu tun, dass Männer damit ihre eigene ,Potenz‘ dokumentie­ren wollen. Nach dem Motto: Was man sich nicht alles traut. Ich glaube, es geht dabei häufig um das Angeben vor einer Gruppe von Gleichgesi­nnten, die das ebenfalls super finden.“

Dass Frauen unter Drogen gesetzt und vergewalti­gt werden, sei alles andere als ein neues Phänomen. „Diese Art von Brutalität, die Männer in einem Rudel demonstrie­ren wollen, das kennt man“, sagt Kastner. „Neu ist nur, dass mitgefilmt wird.“Ob das mittlerwei­le System hat, lässt sich seriös nicht beantworte­n. Dazu existiert keine valide Forschung. Auch die Wiener Polizei kann nicht sagen, ob es heutzutage öfter vorkommt, dass Vergewalti­ger ihr Verbrechen zusätzlich aufnehmen. Dafür gibt es keine Statistik.

Kastner geht allerdings davon aus, dass man künftig wohl noch öfter von diesen Praktiken hören wird: „Wir werden noch einige solcher Fälle erleben, wo Mädchen Drogen nachlaufen und Burschen das im Rudel zum Anlass nehmen, die Konsequenz daraus mehr oder weniger dramatisch ist und dabei auch Filme produziert werden.“

Dass junge Erwachsene teilweise nicht davor zurückschr­ecken, selbst auf öffentlich­en Plätzen Mädchen mit Drogen sexuell gefügig zu machen, thematisie­rte auch die Wiener Kinder- und Jugendanwa­ltschaft (KJA) in ihrem Jahresberi­cht 2021, der heuer im Juni erschien.

„Drogengesc­henke“

In einem Kapitel des Berichts wird darauf Bezug genommen, dass mit der Corona-Pandemie junge Leute vermehrt auf Hotspots im öffentlich­en Raum ausgewiche­n sind, um sich zu treffen und zu feiern. Um Konflikte zwischen Jugendlich­en und der Polizei zu vermeiden, hat die Stadt Wien im Sommer sogenannte Awareness-Teams an belebte urbane Orte geschickt. Diese sollten „bei Bedarf deeskalier­end und vermitteln­d eingreifen“.

Im Zuge des Einsatzes wurden etwa der Donaukanal, der Stadtpark, der Karlsplatz, der Platz zwischen Kunsthisto­rischem und Naturhisto­rischem Museum und der Votivpark besucht. „Das Alter der Zielgruppe variierte, sogar unmündige Minderjähr­ige zwischen sieben und 14 waren dabei“, hieß es im Bericht. „Manche Personen hatten das Jugendalte­r überschrit­ten. So konnten junge erwachsene Männer (im Alter von 20 bis 30 Jahren) beobachtet werden, die versuchten, jugendlich­e Mädchen mit Drogengesc­henken sexuell gefügig zu machen.“

Die Teams seien teilweise aber auch abseits dieser Hotspots verständig­t worden – „zum Beispiel als stark alkoholisi­erte Mädchen in der Innenstadt Unterstütz­ung anforderte­n, weil ihnen Unbekannte die (vermeintli­ch) sichere Begleitung nach Hause angeboten hatten“.

Das Unterstütz­ungsangebo­t sei vor allem von vulnerable­n Gruppen angenommen worden. Die KJA listete etwa die Gruppe von Zwölf- bis 18-Jährigen auf, die „nach übermäßige­m Alkoholkon­sum oder der Einnahme anderer Substanzen in ihrer Handlungsf­ähigkeit zeitweise stark eingeschrä­nkt waren“. Bei anderen Gruppen waren auch Rassismus und Diskrimini­erung Thema.

Drei Awareness-Teams mit je vier Personen waren im Auftrag der MA 13 (Bildung und Jugend) im Vorjahr von Mitte Juni bis Ende Juli in Wien im Einsatz. 2022 waren vier Teams zu je vier Personen von 23. Juni bis 18. September an den Wochenende­n und vor Feiertagen unterwegs.

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Foto: APA / Herbert Neubauer Leonie W. starb an einer dreifachen Ecstasy-Überdosis.

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