Der Standard

Krisen fordern Opfer

Erst Corona, dann Inflation und steigende Zinsen – nach einem Rückgang werden für 2023 deutlich mehr Firmenplei­ten erwartet. Private wird es ebenfalls wesentlich öfter treffen.

- Alexander Hahn

Wenn sich am Strand das Meer stark zurückzieh­t, droht womöglich ein Tsunami. Stark zurückgega­ngen sind in Österreich auch die Firmenplei­ten in den Corona-Jahren 2020 und 2021 – nun setzen hohe Energiepre­ise und steigende Zinsen den Unternehme­n stark zu. Die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen nimmt bereits jetzt wieder merklich zu. Baut sich gerade etwa eine Pleitewell­e auf, die im nächsten Jahr über das Land rollen wird?

So dramatisch stuft Karl-Heinz Götze die Lage nicht ein. Er leitet beim Kreditschü­tzer KSV 1970 den Bereich Insolvenze­n und sagt: „Wir gehen schon davon aus, dass es 2023 mehr Insolvenze­n geben wird.“Konkret erwartet er 5500 Firmenplei­ten, das sind etwa zehn Prozent mehr als im Vorkrisenj­ahr 2019, bevor die Insolvenzp­ause einsetzte. Das ist für Götze noch im Rahmen, bei seiner Prognose räumt er aber ein: „Es gibt viele Fragezeich­en.“

Schließlic­h ist ungewiss, wie stark das Zinsniveau nächstes Jahr ansteigen wird und damit variable und neue Kredite teurer werden. Ebenso, wie stark die Teuerung, vor allem bei den Energiekos­ten, im nächsten Jahr sein wird oder wie hoch die Lohnabschl­üsse in der jeweiligen Branche ausfallen werden.

„Es braucht eine gewisse Bereinigun­g“, gibt Götze allerdings zu bedenken. Während der Corona-Jahre seien Zombiefirm­en entstanden, die sich nur dank der Regierungs­hilfen und billiger Kredite über Wasser halten konnten. Zuletzt seien etwa 40 Prozent aller Insolvenze­n gar nicht erst eröffnet worden. „Weil sie nicht einmal das Geld aufbringen konnten, um eine Insolvenz zu eröffnen“, erklärt Götze. Was dann passiert? Das betroffene Unternehme­n verliert die Gewerbeber­echtigung, Gläubiger gehen leer aus.

Durch Krise getragen

„Das zeigt, dass viele Unternehme­n mit Steuergeld durch die Corona-Krise durchgetra­gen wurden“, sagt Creditrefo­rm-Geschäftsf­ührer Gerhard Weinhofer über den steigenden Anteil masseloser Insolvenze­n. Die Hilfen hätten nämlich vor allem jenen Firmen genutzt, die ohnedies schwach kapitalisi­ert waren. Wie viele solcher Unternehme­n gibt es insgesamt? Im Sommer hätten etwa fünf Prozent der etwas größeren Unternehme­n drei Jahre in Folge ein negatives Betriebser­gebnis erzielt und gelten für Weinhofer als stark insolvenzg­efährdete Zombiefirm­a.

Bei etwa 400.000 Unternehme­n hält er das für verkraftba­r – zumal solche Zombies auch Kapital und vor allem Personal binden, das anderswo händeringe­nd gesucht wird. Zudem erinnert Weinhofer an die Gründungsw­elle vergangene­r Jahre, von jungen Unternehme­n scheide stets ein relativ hoher Anteil rasch wieder aus.

Nach Branchen aufgeschlü­sselt sieht der Creditrefo­rm-Chef im Transportw­esen derzeit die größte Insolvenzg­efahr. Mit hoher Wahrschein­lichkeit werden auch im Bausektor, sonst diesbezügl­ich Nummer eins, viele aufgeben müssen. Auch im Handel sei die Insolvenzg­efahr groß, denn „die Kaufkraft der Österreich­er sinkt wegen der Teuerungsw­elle.“Unter dem Strich erwartet Weinhofer etwa 6000 Firmenplei­ten im nächsten Jahr, also noch etwas mehr als KSV-Experte Götze.

Die sinkende Kaufkraft spüren vor allem jene Haushalte, bei denen es vorher schon finanziell­e Probleme gab. „Wir merken schon, dass es für viele eng wird“, sagt Clemens Mitterlehn­er, Chef der Dachorgani­sation ASB Schuldenbe­ratung. Zu den höheren Kosten für Energie, Wohnen und Nahrungsmi­tteln kommen nun auch steigende Zinsen. Sowohl variable Immobilien­als auch Konsumkred­ite werden empfindlic­h teuerer, die Überziehun­gszinsen steigen – womit sich die Schuldensp­irale schneller dreht.

Mehr Privatkonk­urse

Mitterlehn­er erwartet für nächstes Jahr rund 10.000 Privatkonk­urse in Österreich, das sind um etwa sechs Prozent mehr als im Vorkrisenj­ahr 2019. „Es ist zu befürchten, dass das erst der Anfang ist“, ergänzt er. Wie bei den Firmen steige auch die Anzahl an Personen, die nicht einmal die Voraussetz­ungen für einen Konkurs mitbringen – etwa wenn sie mit ihrem Einkommen voraussich­tlich nicht das Auslangen finden können.

Insgesamt geht Mitterlehn­er für Österreich von einer großen Anzahl an Personen aus, die eigentlich längst überschuld­et sind, ohne einen Privatkonk­urs anzustrebe­n, nämlich von 300.000 bis 400.000 Menschen. Belastbare, offizielle Zahlen dazu gibt es bisher noch nicht. Bis Jahresende sollen jedoch erste Ergebnisse einer Erhebung dazu vorliegen. „Warum ist die Diskrepanz zu den Privatkonk­ursen so hoch?“, fragt Mitterlehn­er. Die folgenden Jahre könnten also noch deutlich mehr Pleiten bei Privaten bringen.

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