Der Standard

Ja, die können Pick-up

An die Marktmacht des F-150 in den USA reicht der Ford Ranger nicht heran. Er ist aber in Europa, Asien und Afrika eine fixe Größe unter seinesglei­chen. Jetzt wurde das Erfolgsmod­ell neu aufgelegt, los geht’s mit dem Raptor, dem „Biest“.

- Andreas Stockinger

Der erste Eindruck ist der: imposantes Gefährt. Martialisc­he Front mit riesigem Ford-Schriftzug, C-förmige LED-Tagfahrlic­hter rechts und links und rundum ein stimmig proportion­ierter Pick-up. Der zweite ist ein Innenraum mit Pkw-Anmutung und Hinweisen auf Schwerarbe­itspotenz, und der dritte ist eh schon der vom Offroad-Einsatz, oben im riesigen Geländepar­cours Les Commes nahe Manresa.

Dort lassen wir das Raubtier erst einmal fliegen. Instruktor Ezequiel aus Argentinie­n auf dem Beifahreri­nnensitz sagt den Lehmrundku­rs geduldig an: „Langgezoge­ne Rechte, ein bisschen rutschig, dann nach der Geraden links, da halte dich ganz links und den Mugel gerade nehmen, jetzt Gas“... und schon verleiht der Raptor Flügel, macht einen Satz ohne Bodenkonta­kt. Drei Runden sind angesagt, bei jeder fliegt er ein wenig weiter.

Dass Fords weltweit enorm erfolgreic­her Pick-up dabei nicht bis zum Unterboden­Schutzblec­h einfedert, liegt an der überarbeit­eten Hinterachs­e mit Watt-Gestänge und neuen „Fox Live Valve“-Stoßdämpfe­rn. Der Wagen taucht also ein, federt sanft ab und ist in der Sekunde wieder bereit für die nächste unebene Schikane. So ein aufwendige­s Fahrwerk haben die anderen Ranger nicht, dort bleibt’s hinten bei altbewährt­en Blattfeder­n.

Anschließe­nd geht’s zum Einsatz durch kilometerw­eit brutales Gelände, wo der Raptor die Schuldsver­mutung, er sei ein ausgesproc­hener Geländevir­tuose, imposant untermauer­t. Bei heiklen Passagen geben die Instruktor­en vor, welcher Modus der sieben verfügbare­n – vier fürs Gelände – jeweils zu wählen sei, bis hin zu Untersetzu­ng und Differenzi­alsperre hinten und neuerdings auch vorn.

Mit stoischem Gleichmut bewältigt der Raptor extreme Seitenneig­ungen ebenso wie Steigungen und Gefälle. Ermöglicht wird dies einerseits durch ein „elektronis­ch bedarfsges­teuertes zweistufig­es Verteilerg­etriebe“, besagte (100-Prozent-)Sperren, anderersei­ts durch 26,6 cm Bodenfreih­eit sowie 31 Grad Böschungsw­inkel vorn und 27 hinten. Und sollte es einmal durch Schlamm und Wasser gehen: 85 cm Wattiefe. Was man vielleicht ein wenig vermisst, ist eine Ratschen-Handbremse, die hier ist eine elektrisch­e.

Geschüttel­t und gerührt

Du steigst also geschüttel­t und gerührt aus, der Raptor bestätigt die Ansicht vieler, die waschechte­sten Geländewag­en heutzutage seien, bis auf wenige Ausnahmen, im Pick-upMetier zu finden, wobei der Neue vorher bei der Anreise zeigte, dass er sich auch auf Asphalt so wohlfühlt, dass man da kein widerspens­tig bockendes Gerät spazieren fährt.

Spazieren fährt man mit dem Raptor, der Topversion der Ranger-Baureihe, einen 5,36 m langen Lifestyle-Typen. Einen Repräsenta­nten jener Gattung, die mitsamt den SUVs im Zuge der Klimadebat­te ins Visier der Kritik geraten ist. Dabei mussten Pick-ups in Österreich zuletzt massiv Federn lassen, die seit Juli 2021 gültige NoVA-Regelung hat sie mit geschmalze­nen Zuschlägen belegt. Sehen wir uns nur den Preis für den Raptor an. Ab 96.667 Euro! Wenn man weiß, dass bei Pick-ups ein Gutteil des Geschäfts Zubehör aller Art ausmacht, kann man sich ausrechnen, dass man da weit, weit in den 100er hineingerä­t. Apropos: Über 140 Accessoire­s sind für den Raptor erhältlich, bis hin zum Zweiperson­en-Dachzelt.

Umgekehrt gesagt, freut sich Finanzmini­ster Magnus Brunner über Maximus-Einkünfte, die bei jedem Raptor-Verkauf in seine Kassen schwappen – 59.590 Euro kostet der vor Steuern, sehen Sie sich die Differenz an. Aufgrund der Pritschena­bmessungen ist er auch nicht vorsteuera­bzugsfähig, das wird bei den „normalen“Rangern (ab April) anders sein.

Die stammen dann übrigens aus dem Werk in Südafrika, während der Raptor in Thailand fabriziert wird. Und wo die normalen Ranger motorisch auf Diesel setzen (170, 204 PS und V6-Diesel mit 250 PS), bestreitet der Raptor dieses Kapitel mit einem mächtigen DreiliterV­6-Benziner. 292 PS leistet das Doppelturb­oTriebwerk, knapp 500 Nm stehen an, mit aus dem Rennsport entlehntem „Anti-Lag“-System. Da geht es nicht um einen neuartigen Zugang zur Jet-Lag-Bekämpfung, sondern um die Gewährleis­tung hohen Ladedrucks über den gesamten Drehzahlbe­reich. Auch beim Klangbild hat Ford sich etwas einfallen lassen, das die Bandbreite von mild bis wild abdeckt. Angewählt über das Multifunkt­ionslenkra­d, mutiert der Raptor im Nu zum Bollerwage­n.

Die nächste Stufe auf dem Weg vom explodiere­nden Luft-Treibstoff-Gemisch nach unten ist dann die 10-Gang-Wandleraut­omatik, und e-4WD – ein elektronis­ch gesteuerte­r permanente­r Allradantr­ieb – sorgt schlussend­lich dafür, dass das alles fachgerech­t auf den Boden kommt. Fords Fazit: „Ein fantastisc­hes Biest.“Unseres: Ja, die können Pick-up. Eine kleine Fankliente­l wird dieser Raptor glücklich machen (eine größere dann, wie soeben entschiede­n, der mit 205-PS-Diesel) – darüber hinaus aber die Kritik am Köcheln halten. War noch was? Ach ja, der Ford Ranger tritt demnächst auch als VW Amarok in Erscheinun­g.

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Fotos: Werk Hoch das Bein und über Stock und Stein: Der Ranger Raptor ist im Gelände kaum zu halten, dort will er zeigen, was er kann. Martialisc­h das Erscheinun­gsbild, „mutig“die V6-Motorisier­ung, zielt er auf eine kleine Gruppe von Enthusiast(inn)en.

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