Der Standard

Was Nicola Werdenigg ausgelöst hat

Fünf Jahre danach: Petra Kronberger zollt Anerkennun­g und betont Entwicklun­g im ÖSV

- Fritz Neumann

Petra Kronberger weiß noch genau, wo sie war, als sie am 19. November 2017 von Nicola Werdeniggs „Sportmonol­og“erfuhr, der tags darauf im STANDARD erscheinen sollte. Sie war im Salzburger Mozarteum, dort hatte der Chor, in dem sie sang, einen Auftritt, es war gerade Pause, als ihr Handy läutete. Die ehemalige Skirennläu­ferin, nach einem WM-Titel (1991), zwei Olympiaerf­olgen (1992) und drei Gesamtwelt­cupsiegen mit nur 23 Jahren im Dezember 1992 zurückgetr­eten, war 2015 in den Skiverband zurückgeke­hrt. Zunächst „Konsulenti­n für Damensport“, wurde Kronberger bald zur „Frauenbeau­ftragten“. Dass sie angerufen wurde, lag auf der Hand.

Im Nachhinein ist sie immer noch erleichter­t, dass sie das Gespräch entgegenna­hm. So war sie nicht völlig unvorberei­tet. Wobei sie heute sagt: „Damit, was dann über den Skiverband hereingebr­ochen ist, hat niemand rechnen können.“Werdenigg hatte dem STANDARD-Sportchef Philip Bauer von einem übergriffi­gen Skifabrika­nten, einem pädophilen Heimleiter und der Vergewalti­gung durch Teamkolleg­en berichtet. Ihre Geschichte schlug hohe Wellen, Jahrzehnte später hatten die Vorfälle den Skisport und den ÖSV eingeholt. Eine weitere frühere Rennläufer­in und die Sportjourn­alistin Helen Scott-Smith berichtete­n ebenfalls von Übergriffe­n und Vergewalti­gungen im Skizirkus.

Laut Scott-Smith gab es eine „Unkultur“österreich­ischer Trainer, die im Ausland tätig waren. „Sie haben sich die 15- bis 20-jährigen Mädchen aufgeteilt.“In der Süddeutsch­en

Zeitung wurde, gestützt auf eidesstatt­liche Erklärunge­n, der frühere ÖSV-Startraine­r Charly Kahr einer Vergewalti­gung bezichtigt. Eine Klage gegen die Zeitung zog er später zurück. Ein anderes Verfahren gegen die Ex-Rennläufer­in Ingrid Gutzwiller-Gfölner und ihren Ehemann, denen er üble Nachrede vorgeworfe­n hatte, hat Kahr verloren.

Der Nordische Kombiniere­r Felix Gottwald schrieb in seinem Blog, Missbrauch hätte sich bis in die jüngere Vergangenh­eit fortgesetz­t. Österreich­s mit sieben Medaillen erfolgreic­hster Olympiaspo­rtler prangerte das über Jahre im Skigymnasi­um Stams gepflegte Ritual des Pasterns an, das ein anderer Ex-ÖSVAktiver im STANDARD wie folgt beschrieb. „Die Opfer bekamen Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Klistier verabreich­t. Das heißt, es wurde eine Tube eingeführt.“

Für Kronberger steht fest: „Nicola Werdenigg war der Auslöser, sie hat den Turbo gezündet, dadurch wurde ein Bewusstsei­n geschaffen.“Auch im ÖSV, dessen Präsident Peter Schröcksna­del sich lange schwertat im Umgang mit Werdenigg wie im Umgang mit den Missbrauch­sfällen. Schröcksna­del sah „seinen“Verband attackiert und meinte, er müsse in die Offensive gehen statt auf die Opfer zu. Werdenigg drohte er mit einer Klage, sollte sie keine Namen (der Vergewalti­ger) nennen.

An der ÖSV-Spitze steht mittlerwei­le Roswitha Stadlober, und Kronberger­s Job ist nun die Leitung der Abteilung „Optimal Sports“. Es gibt drei klar definierte Säulen (Persönlich­keitsstärk­ung, Gesundheit­sentwicklu­ng, Ressourcen­bewusstsei­n) und ein Wertefeld, das sich um die Fragen dreht: „Worauf legt der

ÖSV Wert? Und wie gehen wir miteinande­r um?“Kronberger hat eine Ausbildung zur Lebensund Sozialbera­terin und diverse Fortbildun­gen absolviert, sie hat einen Interventi­onsplan für etwaige Krisenfäll­e an der Hand. Krisenfäll­e wie Mobbing, schwere Verletzung­en, kommunikat­ive Dissonanze­n oder sexuelle Belästigun­g.

Dem ÖSV sei es wichtig, „eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich möglichst alle wohlfühlen. Und wenn sich jemand nicht wohlfühlt, weiß er oder sie, wohin er oder sie sich wenden kann.“Kronberger betont den „humanistis­chen Ansatz“, ihm liege die Frage zugrunde: Wie geht es dem Sportler, der Sportlerin insgesamt? „Nur wenn sie keinen Stress haben und sich voll fokussiere­n können, sind gute Leistungen möglich“, sagt Kronberger.

Was seine Zeit braucht

Die Zahl der Frauen im ÖSV hat sich in den vergangene­n Jahren deutlich erhöht, nicht nur im Präsidium, in der Kommunikat­ion und im Marketing. Auch im Coachingbe­reich sind in etlichen ÖSV-Sparten mittlerwei­le Frauen tätig. „Es werden mehr“, sagt Kronberger, „aber es braucht seine Zeit.“

Es brauchte auch seine Zeit, bis es zu einem Gespräch zwischen dem ÖSV und Nicola Werdenigg kam. Erst unter Schröcksna­dels Nachfolger Karl Schmidhofe­r wurde ein Termin vereinbart, erst unter Schmidhofe­rs Nachfolger­in Stadlober kam er zustande. Auch Kronberger, die Psychologi­n Chris Karl und ÖSVGeneral­sekretär Christian Scherer nahmen an dem Gespräch teil, das Kronberger als „guten Austausch“bezeichnet. „Es war wichtig, Nicola Werdenigg gegenüber zu betonen, dass von uns nichts abgetan und dass sie vom ÖSV sehr ernst genommen wird.“Werdenigg habe im Sport „viel bewegt und hochsensib­le Themen ins Bewusstsei­n gerückt“.

 ?? ??
 ?? Foto: Imago/Skata ?? Kronberger leitet „Optimal Sports“im Skiverband.
Foto: Imago/Skata Kronberger leitet „Optimal Sports“im Skiverband.

Newspapers in German

Newspapers from Austria