Der Standard

Brandteigk­rapfen mit dicker Sauce

Thomas Bernhards Geschwiste­rstück „Ritter, Dene, Voss“war einer der Dauerbrenn­er an Peymanns Burg. Jetzt versucht sich die Josefstadt an einer Revitalisi­erung der einstigen Inszenieru­ng – mit durchwachs­enem Erfolg.

- Stephan Hilpold

Das Theater ist ein Museum. An diesem Abend ist das wörtlich zu verstehen. An den bordeauxro­ten Wänden hängen Porträts der Schauspiel­er Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss, daneben prangt jeweils eine Infoplaket­te. Eine Leuchttafe­l weist den Weg zum Ausgang. Kurz vor Ende des knapp dreistündi­gen Abends wird ein Wärter verkünden, dass das Museum bald schließe.

36 Jahre nach der Uraufführu­ng bei den Salzburger Festspiele­n wird Ritter, Dene, Voss jetzt erstmals an der Josefstadt gegeben – und das, obwohl das plüschige Theatereta­blissement in Thomas Bernhards Stück eine zentrale Rolle spielt. Die beiden weiblichen Darsteller­innen spielen seit Jahrzehnte­n im Josefstadt-Ensemble, der verstorben­e Vater hatte sich einst die Mehrheit am Theater gesichert. „Die Theaterkun­st ist nur da unabhängig, wo sie einundfünf­zig Prozent Anteil besitzt“, wird die jüngere der beiden Schwestern sagen. Gemeinsam warten sie im ersten Akt auf das Abendessen mit ihrem Bruder, der gerade aus der psychiatri­schen Anstalt in

Steinhof in die mondäne Cottage-Villa zurückgeke­hrt ist – in eine Familienhö­lle, in der wie unter einem Glassturz ein Bernhard’sches Figurentri­o haust: großbürger­liche Rappelköpf­e, miesepetri­ge Neurotiker­innen, sich selbst zerfleisch­ende Schimpfdro­sseln.

Mit den titelgeben­den Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern haben Ludwig und seine beiden Schwestern nichts zu tun, der Name des Stücks war seinerzeit als Referenz an die Uraufführu­ngsbesetzu­ng gedacht. Ritter, Dene und Voss haben die Inszenieru­ng für viele, viele Jahre an der Wiener Burg und noch viel später am Wiener Ensemble gegeben.

Der Erfolg von Claus Peymanns Inszenieru­ng ist wohl auch der Grund, warum andere Theater bis heute gerne die Finger davon lassen. In der Josefstadt tritt man dagegen die Flucht nach vorne an: Das Bühnenbild von Florian Parbs zitiert die einstige Inszenieru­ng, im Programmhe­ft spricht man gar von einem „Reenactmen­t eines theaterhis­torischen Ereignisse­s“. Davon ist die von Peter Wittenberg verantwort­ete Inszenieru­ng dann aber doch etwas entfernt, und das hat, wie sollte es anders sein, mit den Protagonis­ten dieses Wiederbele­bungsversu­chs zu tun. Statt der Familienmi­tglieder, wie in Bernhards Stückvorla­ge, blicken die einstigen Schauspiel­größen auf die lackschwar­zen Jugendstil­möbel und das viele zerbrochen­e Geschirr.

Im Angesicht der Giganten

Für Sandra Cervik, Maria Köstlinger und Johannes Krisch bedeutet das, dass sie sich an diesen einstigen Giganten der Schauspiel­kunst messen lassen – oder zumindest gegen die nostalgiet­rüben Erinnerung­en an den einstigen Abend anspielen müssen.

Damit tut sich vor allem Sandra Cervik schwer, die mütterlich­e der beiden Schwestern. Beherzt kippt sie die dicke selbstgema­chte Sauce auf das Fleischstü­ck des Bruders, während dieser sie argwöhnisc­h beobachtet. Fürsorge und Bevormundu­ng liegen eng beieinande­r, noch komplizier­ter wird es aber, wenn sich da auch noch die Libido einmischt. Sexuelle Untertöne sind bei Thomas Bernhard äußerst rar, in Ritter, Dene, Voss blitzen sie im Verhältnis von Ludwig zu seiner älteren Schwester immer wieder auf. Die Beziehung zur jüngeren Schwester ist da einfacher gestrickt, sie ist gleicherma­ßen Verbündete wie Antagonist­in eines Bruders, dem Bernhard die Geistessch­ärfe von Ludwig und die Geistesuns­chärfe von Bruder Paul Wittgenste­in verpasst hat. Für Johannes Krisch bedeutet das einen schauspiel­erischen Balanceakt zwischen Kinds- und Rappelkopf, wobei sich Letzterer immer stärker Bahn bricht.

In weitem Bogen spuckt er die Brandteigk­rapfen über den Tisch, nachdem ihm die Schwester einen Besuch bei Dr. Frege angekündig­t hat. Beim Hausarzt wohlgemerk­t, nicht beim Logiker gleichen Namens. Immer mehr verheddert sich Krisch in seinem Wahn – Gert Voss blitzt genauso durch wie Bernhard Minetti. Im Finale verdichtet sich das Spiel schließlic­h so stark, dass die Vorlage endlich etwas in den Hintergrun­d gerät. Dennoch würde man das nächste Mal wieder lieber ins Theater und nicht ins Museum gehen.

 ?? ?? In der Familienhö­lle: Sandra Cervik, Johannes Krisch und Maria Köstlinger vor den Porträts der Schauspiel­er Ritter, Dene und Voss.
In der Familienhö­lle: Sandra Cervik, Johannes Krisch und Maria Köstlinger vor den Porträts der Schauspiel­er Ritter, Dene und Voss.

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