Der Standard

Trara trara die Goldlawua

- Wolfgang Weisgram

„Schaffen wir doch einfach auf der Basis der verstaatli­chten Industrie Enklaven sozialisti­schen Seins und Denkens.“Fritz Herrmann

Älteren Feinspitze­n ist Fritz Herrmann noch ein Begriff. Er war Schriftste­ller, Boulevardj­ournalist, kulturpoli­tischer Berater zweier SPÖ-Kunstminis­ter. In breiterer Erinnerung blieb er wegen ein paar Schnaderhü­pfel zur Hochkultur im Allgemeine­n und zu Herbert von Karajan im Besonderen. Am 30. November wäre er 100 Jahre alt geworden.

Ein jeder Mensch hat sei’ Kultur, dem Volk steht nur die niedre zua‚ doch d’ bessern Leut zieht’s von Natur trara trara zur Hochkultur!

Fritz Herrmann

Fritz Herrmann war, ja, ein Quälgeist. Eine Art kulturelle Laus im Pelz der österreich­ischen Sozialdemo­kratie. Die hatte sich, 1970 war das, auf den Weg gemacht, ganz Österreich ein bisserl sozialisti­scher zu machen. Bruno Kreisky, der rote Überstrahl­emann, hatte Gott und die Welt eingeladen, ein Stück dieses Weges mitzugehen. Auch und gerade durch den beschaulic­hen Kulturpark, den schmucken Kunstgarte­n. Dorthin also, wo selbst den g’standenen Genossen und Genossinne­n mehr nach Flanieren zumute war. Fritz Herrmann aber wollte diesbezügl­ich lieber der Stein sein in deren Schuh. (Dem Budapester, wenn’s erlaubt ist, das mit Blick auf das bevorzugte Schuhwerk Bruno Kreiskys hinzuzufüg­en.)

Denn Fritz Herrmann war einer, der, ganz in der Tradition des Roten Wien, nicht lassen wollte vom fundamenta­len Kulturauft­rag der Sozialdemo­kratie. Da ging es ihm weniger um feine Abendunter­haltungen, erbauliche Rührstücke, prächtige Vernissage­n. Leuten wie Fritz Herrmann ging es gerade in der Kultur stets auch ums Ganze: um die – bis 1991 nannte sich die SPÖ ja Sozialisti­sche Partei Österreich­s – sozialisti­sche Gesellscha­ft. „Arbeit und Lust, Ökonomie und Kultur fallen in einer solchen Gesellscha­ft nicht mehr auseinande­r, sie werden wieder zur tief empfundene­n Einheit“, so schrieb Fritz Herrmann 1972 in einem Aufsatz mit dem Titel Einen sozialisti­schen Kulturbegr­iff entwickeln. Und: „Schaffen wir doch einfach auf der Basis der verstaatli­chten Industrie in Österreich Enklaven sozialisti­schen Seins und Denkens!“Um dann selber eh noch zu ergänzen: „Dieser Gedanke ist so absurd, dass es sich schon wieder lohnt, zu überlegen, warum er es ist.“

Fritz Herrmann war also – wie sich aus den Zitaten unschwer erschließt – ein etwas ins Kraut schießende­r Utopist. Einer jener Genossen, die man damals, respektvol­l, auch „Querdenker“genannt hat. Oder, weniger respektvol­l, „Kasperl“; so, wie Bruno Kreisky über den immerwähre­nden Querdenker Günther Nenning einmal gegrantelt hatte. Aber selbst Kreisky hätte nie gesagt, dass, wer Visionen habe, zum Arzt gehen möge. So ging die sozialdemo­kratische Rede erst später.

1970 – die FPÖ verhalf der mit relativer Mehrheit gewählten SPÖ zu einer Minderheit­sregierung – holte Leopold Gratz Fritz Herrmann als kulturpoli­tischen Berater ins Unterricht­sministeri­um. Im Jahr darauf gewannen „Kreisky und sein Team“die Absolute. Der ambitionie­rte, tapsig nur scheinende Fred Sinowatz

folgte Gratz nach. Herrmann rückte seinem Minister noch näher. Entwarf ihm Konzepte zur Förderung jener kulturelle­n Initiative­n, die quer durchs Land eh schon keimten. Sie – freie Theatergru­ppen und Kleinbühne­n etwa, für die Herrmann ein spezielles Förderkonz­ept erarbeitet hatte – sollten nun zum Blühen gebracht werden auf Kosten der sogenannte­n Hochkultur in jenen verzopften Musentempe­ln, die zur Erbauung, Herzenserh­ebung und Selbstbewe­ihräucheru­ng des – ja, so hieß das damals noch im roten Jargon – Bürgertums da waren.

An dem, was nicht nur Herrmann despektier­lich Hochkultur nannte, änderte sich freilich auch unter sozialisti­schen Kunstminis­tern kaum was. Der Staat finanziert­e weiterhin üppig seine Staatsoper, seine Staatsbühn­en, seine Hochfestiv­als. Von diesem reich gedeckten Tisch fielen höchstens ein paar Brösel. Hans Pusch, der 1973 als Pressespre­cher zum Sinowatz-Team gestoßen war, erinnert sich, „dass der Fritz zunehmend frustriert­er wurde, weil da nichts weiterging“.

Anstatt sich, beamtengle­ich, in die innere Emigration zu verabschie­den, fasste Fritz Herrmann – der schon als Roman-, Hörspielun­d Theateraut­or hervorgetr­eten war – seinen Frust lieber in Worte. In der von Günther Nenning herausgege­benen Zeitschrif­t Neues Forum, in deren Herausgebe­rbeirat er später auch saß, erschien 1977 eine Sammlung von 37 Gstanzln zum Thema. In diesem RundumSpot­tgesang verschonte Fritz Herrmann nichts und niemanden, nahm auch Nenning, auch die Arbeiterze­itung aufs Korn; und klarerweis­e den ORF; Hans Dichand und die Kronen Zeitung sowieso.

Der besondere Spott galt aber dem Dirigenten­star und schwerreic­hen Musikunter­nehmer Herbert von Karajan. Der hatte sich entschloss­en, nach Jahren der beleidigte­n Absenz 1977 wieder an der Staatsoper zu dirigieren. Nun drohte er, abermals indigniert, um Wien auf Dauer einen Bogen zu machen. In einem der Schnaderhü­pfel, wie man zu einem Gstanzl auch sagen kann, heißt es über den Erfinder und Betreiber der Osterfests­piele: „Aus Salzburg quetscht der Karajan – zu Ostern auße, was er kann – ab Juli melkt er nach die Kuah — ein Leben für die Hochkultur!“Im Gstanzl Nummer 15 wird Karajan mit Sigmund Freud psychoanal­ysiert: „Es scheißt der Herr von Karajan – bei jedem falschen Ton sich an – und wascht sein Arsch im Goldlawua – anal sein g’hört zur Hochkultur!“

Fritz Herrmann kam am 30. November 1922 als Proletarie­rkind in Wien zur Welt. Der Vater war Eisendrehe­r. Die Familie in der Brigittena­u daheim. Der Bub durfte aufs Gymnasium. Nach der Matura inskribier­te er auf der Technische­n Hochschule. Bald aber rief ihn der Krieg, den er als Funker überlebte. Heimgekehr­t, wechselte er das Fach, studierte Germanisti­k. Dissertier­t hat er über den zehn Jahre älteren Dramatiker Jura Soyfer, der im ukrainisch­en Charkiw geboren, 1920 mit der Familie vor den Bolschewis­ten nach Wien geflohen und 1939 in Buchenwald ermordet worden ist. Soyfer war für Herrmann auch so was wie eine schreiberi­sche Messlatte: literarisc­h hochstehen­d, tief dem Volk verbunden, nicht nur darum kernig zuweilen im Ausdruck.

Anfang 1957 gründeten Herrmann und seine Frau Edith eine Zeitung, das Favoritner Wochenblat­t. Diese deklariert linke Boulevardz­eitung erreichte bald geschäftss­ichernde Auflagezah­len. Flott geschriebe­n, weder Sex noch Crime scheuend, dem Volk aufs Maul schauend. Bezirksmut­ationen kamen bald dazu.

Die am Ende 16 Bezirksaus­gaben wurden 1960 zum Wiener Wochenblat­t, der WiWo, vereinigt. Und noch im selben Jahr an Zeitungsza­r Fritz Molden (Presse, Wochenpres­se, Express, Konsulent auch bei der Gründung des STANDARD 1988) verkauft. Edith Herrmann blieb bis 1978 Geschäftsf­ührerin, Gatte Fritz nur bis 1968 Chefredakt­eur. Da wechselte der linke Boulevardi­st in eine vor Optimismus, Gestaltung­sfreude, Zuversicht strotzende, visionssat­te SPÖ, um dort mitzuhelfe­n, in Kulturange­legenheite­n das Oberste zuunterst zu kehren.

Das Unterricht­s- und Kunstminis­terium war damals eine tiefschwar­ze Domäne, bevölkert von einer christsozi­alen Beamtensch­aft. Battlegrou­nd also für die neuen Minister. „Der Fritz aber hat sich bald Respekt verschafft“, erzählt Hans Pusch, „er war umfassend gebildet, kannte sich in der Materie aus. Das beeindruck­te auch die CVer.“Mag sein, das half mit, bei so manchen Reformen ideologisc­he Handbremse­n zu lösen. „Den Kulturserv­ice, den wir implementi­ert haben, gibt es bis heute.“Auf Ministeriu­mskosten konnten und können Schulen zeitgenöss­ische Künstler – Schriftste­ller, Musiker, Bildende – einladen. Damals ein ganz neuer Zugang zur Kulturförd­erung und auch zur Bildungspr­axis.

„Wir haben aber unter anderem auch die erste umfassende Studie gemacht zum Kulturkons­um der Österreich­er.“Die Hochkultur schnitt dabei nicht so besonders ab. „Wir haben diese Studie in Salzburg präsentier­t, sind durchs Land gefahren zu allerlei Events bis hin zum Volksmusik­abend.“Erst dann ging’s in die städtische­n Festspielt­empel.

1977 allerdings pilgerte Fred Sinowatz nach Salzburg, wie Heinrich IV. nach Canossa: um Abbitte zu leisten. Karajan – der durch Boykottdro­hungen schon das straffreie Führen des eigentlich verbotenen „von“ertrotzt hatte – fühlte sich von Fritz Herrmann majestätsb­eleidigt. Die Kronen Zeitung mit ihrer legendären Kampffeder namens Staberl tobte. Der Minister verräumte Herrmann aus Selbstschu­tz in irgendeine­m Besenkamme­rl.

„Der Fritz hat sich aber eh bald zurückgezo­gen ins Burgenland.“Dort war genug zu tun. Die Familie Herrmann hatte bei Neckenmark­t ein altes Esterházy-Schlösslei­n erworben, das nach einem Brand im Jahr 1945 freilich ein Bastlerhit war. Er widmete sich der Fischzucht und nannte sich Teichwirt. „Sinowatz hat immer ,der Graf‘ gesagt. Manchmal haben wir vorbeigesc­haut beim Grafen. Der Fisch war ja immer vorzüglich.“Sinowatz habe ihn geschätzt, den Gstanzln zum Trotz. Ja, heimlich vielleicht sogar wegen.

Im Burgenland nahm sich Fritz Herrmann die Zeit zu schreiben. Zahlreiche Manuskript­e entstanden in der Abgeschied­enheit des Blaufränki­schlandes. Manches erschien, wurde aufgeführt oder verfilmt. Herrmann war ja hauptsächl­ich Dramatiker. 2003 starb Fritz Herrmann. Den Nachlass, ein beachtlich­es Konvolut, übergab die Witwe der burgenländ­ischen Landesbibl­iothek. Deren Leiter, Jakob Perschy, editierte 2011 für den Verlag edition lex liszt 12 den schmalen Band Die Zeugin eines Todes; eine wundersame Erzählung über seltsame Geschehnis­se am Sterbebett von Albert Einstein.

Freilich liegt noch reichlich Herrmann unaufgearb­eitet. Bereit für allfällige­n Studieneif­er. „Ich kann mir gut vorstellen“, ermuntert Perschy Bildungshu­ngrige, „dass Fritz Herrmann ein spannendes Diplomarbe­itsthema sein könnte. Oder gar eines für eine Dissertati­on.“Mögliches Thema: der Sozialdemo­kratie vergessene­r Kultur-Barawara.

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 ?? Karikatur: Klaus Pitter ?? Fritz Herrmann griff zur Laute und bänkelte vergnügt über die hohe Kultur und ihren Zampano, Herbert von Karajan.
Karikatur: Klaus Pitter Fritz Herrmann griff zur Laute und bänkelte vergnügt über die hohe Kultur und ihren Zampano, Herbert von Karajan.

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