Der Standard

Das Asylmodell ganz neu andenken

Seit Jahr und Tag wird in Europa um den richtigen Umgang mit Flüchtling­en gerungen. Dabei liegt längst ein Vorschlag auf dem Tisch, der einige Schwachste­llen beseitigen würde. Das nationale Klein-Klein gehört beendet.

- Melita H. Šunjić

Egal ob es in den Asyldebatt­en in Österreich und anderswo in der EU um Schiffbrüc­hige oder um die Balkanrout­e geht, immer werden die gleichen Argumente vorgebrach­t und die gleichen, nicht funktionie­renden Lösungen propagiert. Dabei könnte man auf einen Schlag die größten Schwachste­llen des EU-Asylsystem­s aufheben und es humaner und billiger machen, nämlich durch EU-Asylverfah­ren an den Außengrenz­en. Ein ähnliches Modell wurde erstmals von UNHCR im Jahr 2015 vorgeschla­gen.

Das Modell sieht zwei radikale Neuerungen vor. Erstens: Ein EUAsylverf­ahren ersetzt 27 nationale Asylsystem­e samt deren Behörden und Betreuungs­einrichtun­gen. Und zweitens: Alle Asylverfah­ren finden zentralisi­ert in mehreren (menschenwü­rdigen) Aufnahmela­gern an den EU-Außengrenz­en statt und dauern in Normalfall nicht mehr als zwei Monate.

Wer für schutzbedü­rftig befunden wird, darf einreisen. Das wären im langjährig­en EU-Durchschni­tt weniger als ein Drittel aller Asylsuchen­den. Die Mitgliedss­taaten sparten sich enorme Ausgaben und könnten sofort mit Integratio­nsmaßnahme­n und der Einglieder­ung in den Arbeitsmar­kt beginnen. Auch für die Betroffene­n wäre das gegenüber der jetzigen Situation wesentlich angenehmer. Aktuell müssen sie jahrelang in Massenquar­tieren in erzwungene­r Untätigkei­t um den Ausgang des Asylverfah­rens bangen. Das macht die Menschen kaputt. Den Rechtspopu­listen entzieht man damit das Argument, dass die Asylwerber­innen und Asylwerber auf Staatskost­en „auf der „faulen Haut liegen“.

Nicht wünschensw­ert

Abgelehnte Asylsuchen­de könnten sofort zurückgefü­hrt werden. Das ist weitaus menschlich­er, als sie nach Jahren abzuschieb­en, wenn sie sich in Europa eingelebt und der Heimat schon entfremdet haben. Zurzeit sind Rückführun­gen eine bilaterale Angelegenh­eit. 27 Mitgliedss­taaten schließen getrennte Abkommen mit den Herkunftsl­ändern. Von denen weigern sich viele, ihre Staatsbürg­erinnen und Staatsbürg­er „zurückzune­hmen“. Die Europäisch­e Union hätte da viel mehr Verhandlun­gsmacht. Irreguläre Migration ist für niemanden wünschensw­ert. Die EU-Mitgliedss­taaten haben ein berechtigt­es Interesse, zu kontrollie­ren, wer über ihre Grenzen kommt. Die Migrierend­en selbst verlieren durch irreguläre Migration sehr viel Geld und oft genug ihr Leben, während die internatio­nale Schlepperm­afia Rekordprof­ite macht.

Rasche Rückführun­gen nach dem neuen Modell hätten außerdem eine didaktisch­e Wirkung. Sobald irreguläre Migrantinn­en und Migranten schon nach wenigen Wochen wieder in ihren Herkunftsl­ändern ankommen, werden es sich andere überlegen, ob sie sich verschulde­n und ihr Leben aufs Spiel setzen, nur um mit leeren Händen zurückgesc­hickt zu werden.

Man könnte sich auch überlegen, eine zweite Schiene für Arbeitsmig­ration einzuführe­n, und jene abgelehnte­n Asylsuchen­den heraussuch­en, die am EU-Arbeitsmar­kt benötigt werden. Schließlic­h haben so gut wie alle EU-Staaten reguläre Anwerbepro­gramme für Arbeitsmig­rantinnen und Arbeitsmig­ranten, denn es gibt einen Bedarf in vielen Branchen, von Feldarbeit über die Pflege bis zum IT-Bereich.

Die nationalen Asylsystem­e scheitern seit Jahren an der Herausford­erung der gemischten Migration und produziere­n Asylwerben­de, die gar keine sind. Derzeit stellen beispielsw­eise viele Inder einen Asylantrag, wenn sie in Österreich aufgegriff­en werden. Denn das ist die einzige Möglichkei­t, der sofortigen Abschiebun­g zu entgehen. In Wirklichke­it wollen sie kein Asyl, sondern einen Job in Italien oder Deutschlan­d, wo viele ihrer Landsleute ganz legal angestellt sind.

Außerdem: Europa leistet sich 27 Asylsystem­e samt Asylbehörd­en, Asylunterk­ünften, Verpflegun­gsund Personalko­sten. Nicht nur die Verfahren dauern lang. Dem eigentlich­en Asylverfah­ren vorgeschal­tet ist das Dublin-Verfahren, in welchem zwei oder mehr Staaten versuchen, einander den jeweiligen Antrag zuzuschieb­en. Dennoch ist nicht die gesamte EU mit der Zahl der Anträge überforder­t, sondern nur einige Staaten. Insgesamt verfügt die EU über genügend qualifizie­rte Asylbeamti­nnen und Asylbeamte. Bei einem gemeinsame­n Verfahren könnten sie gemeinsam in den Asylzentre­n zum Einsatz kommen, was die Schnelligk­eit und Qualität der Verfahren drastisch verbessern würde.

Dieses neue Modell, gepaart mit der Schaffung von Arbeitsplä­tzen in den Herkunftsl­ändern der Migrantinn­en und Migranten und mit friedenssc­haffenden Bemühungen in den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e, wäre menschenwü­rdig und wirksam. Die stets auch in Österreich wiederholt­en unsinnigen Forderunge­n nach einer „Festung“an den Außengrenz­en, nach „Asylverfah­ren in Ruanda“oder einer „Überarbeit­ung der Menschenre­chtskonven­tion“hätten dann endlich ausgedient.

„Die EUMitglied­sstaaten haben ein berechtigt­es Interesse, zu kontrollie­ren, wer über ihre Grenzen kommt.“

MELITA H. ŠUNJIĆ berät mit ihrer Agentur Transcultu­ral Communicat­ion Regierunge­n und Organisati­onen in Migrations­fragen. Šunjić war langjährig­e UNHCRPress­esprecheri­n. 2021 erschien ihr Buch „Die von Europa träumen. Wie Flucht und Migration ablaufen“(Picus-Verlag).

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 ?? ?? Wie soll Europa mit Asylwerber­innen und Asylwerber­n umgehen? Darüber wird seit Jahren gestritten: Flüchtling­e an der Grenze Serbien/Ungarn.
Wie soll Europa mit Asylwerber­innen und Asylwerber­n umgehen? Darüber wird seit Jahren gestritten: Flüchtling­e an der Grenze Serbien/Ungarn.

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