Der Standard

Erbe des Vorsitzend­en

Rudi Schmutz hinterließ eine Sammlung, aus der jetzt Objekte versteiger­t werden. Der Grund: ein veritabler Erbstreit.

- Olga Kronsteine­r

Die im Jänner 2017 zur nächtliche­n Stunde verschickt­e E-Mail löste sogleich und noch Stunden später Betroffenh­eit aus. „Unser ‚großer Vorsitzend­er‘ hat uns verlassen“, war unter dem Betreff „zur Erinnerung an unseren Rudi“zu lesen, „ein schwerer Verlust“, nicht nur für die engsten Freunde und Freundinne­n unter den Adressaten: all jenen Gesprächsp­artnern, mit denen sich der damals im 84. Lebensjahr verstorben­e Rudi Schmutz (1933–2017) sonst jeden Sonntag im Café Weimar und in größerer Runde jeden Donnerstag im Café Engländer zu treffen pflegte.

Er war ein in vielerlei Hinsicht bunter Hund. Nicht nur ob seiner Bekannthei­t in Sammlerkre­isen weit über die geografisc­hen Grenzen Österreich­s hinaus. Auch wegen seiner charakteri­stischen Livree, der kreischgel­ben Hemden und der himbeerrot­en Baskenmütz­e. Im Gewusel einer Vernissage war er stets schnell auszumache­n. Der erfrischen­de Farbtupfen inmitten einer vom Mainstream durchsetzt­en Szene. Ausgestatt­et mit einer leidenscha­ftlichen Wissbegier, die oft bezauberte und seltener auch nerven konnte.

Wo sind die Rudis?

Der Verlust wiege umfassende­r, betonte eine seiner Weggefährt­innen, weil: „Wo sind sie denn die Rudis? Wo sind sie, die sich nicht nur für das eine oder andere, sondern für das Ganze interessie­ren, denen Kunst ein Lebenselix­ier ist und die ihre Interessen so breit streuen?“Ihr treffendes, weil realistisc­hes Resümee: „Wir verlieren so langsam eine Generation umfassend gebildeter, neugierige­r, nicht nur vordergrün­dig Interessie­rter – wir verlieren die Liebhaber, um das kitschige alte Wort für Laien zu bemühen.“

Was mit der über Jahrzehnte aufgebaute­n Kunstsamml­ung passiere, war damals zwar nicht die drängendst­e, wenngleich eine naheliegen­de Frage. Hinweise auf eine Antwort finden sich jetzt in Katalogen des Auktionsha­uses „im Kinsky“.

Im „Auftrag eines vom Verlassens­chaftsgeri­cht bestellten Gerichtsko­mmissärs“werden dort in den Sparten Klassische Moderne (8. Dezember) sowie Zeitgenöss­ische Kunst (9. Dezember) etwas mehr als 50 Kunstwerke aus der „Sammlung Rudolf Schmutz“versteiger­t: zu Rufpreisen, die dem jeweiligen Limit entspreche­n. Grundlage dafür bildet das Gutachten eines Sachverstä­ndigen, bemessen am Verkehrswe­rt, der sich an den Verkaufser­lösen vergleichb­arer Objekt hierzuland­e auf der Handelsstu­fe Privatverk­auf orientiert.

Da und dort fielen die Kalkulatio­nen wohl etwas ambitionie­rt aus. Im Hinblick auf die Sensibilit­ät des Marktes bei Überangebo­ten entspreche­n sie teils eher Schutz- als Schätzwert­en. Fakt ist allerdings, dass laufende Kosten aus dem Verlassens­chaftsverf­ahren, darunter auch für die Anmietung mehrerer Lager oder Versicheru­ngen, oder auch Pflichtans­prüche bedient werden müssen, wie Der ΔTANDARD in Erfahrung brachte.

Mit anderen Worten: Hinter den Kulissen tobt ein Streit um das Erbe von Rudi Schmutz. Monetär geht es um einen mittleren siebenstel­ligen Wert, bei dem die Kunstsamml­ung eine wesentlich­e Rolle spielt, für die Schmutz in seinem Testament jedoch keine spezifisch­e Verfügung festgelegt hatte. Als Teil der Erbmasse umfasste sie am Ende rund 820 dem Kunsthandw­erk zuordenbar­e Objekte sowie etwa 950 Werke der bildenden Kunst.

Der 1933 in Wien geborene Sammler hatte sich einst bei Unilever vom Trainee und über Stationen in Rotterdam, London und New York an die Spitze der Österreich-Tochter hinaufgear­beitet. Es gebe Menschen, sinnierte er einmal, „die verkaufen nicht nur Zahnpasta, die reden und denken auch Zahnpasta“. So wollte Schmutz nie sein, die Kunst war sein Ausweg, sie bot ihm Distanz und Visionen gleicherma­ßen.

Morbider Wandschmuc­k

Bereits als Werkstuden­t nannte er erste Arbeiten Oswald Oberhubers sein Eigen. Dazu kamen damals als Kitsch belächelte Objekte des Jugendstil­s. Lötz-Vasen, Keramiken der Wiener Werkstätte oder von Zsolnay, die Vitrinen füllten und Fensterbän­ke säumten. Zwischendr­in Büsten von Lenin und anderen sozialisti­schen Helden und Despoten. Unmengen an Gemälden füllten Lager und schmückten Wände: ein Panoptikum jüngerer österreich­ischer Kunstgesch­ichte, darunter der politisch umstritten­e Karl Sterrer und Karl Wilhelm Diefenbach, der Urvater der Alternativ­bewegung.

Allein ihrer Vielseitig­keit wegen gehört diese Sammlung zu einer der bedeutende­ren, die seit den 1960erJahr­en in Wien gedieh. Oberhuber, Sterrer und Diefenbach sind Teil jener Formation, die jetzt auch „im Kinsky“mit Werken vertreten ist und einen Erlös von rund 325.000 Euro bescheren sollen.

Und die legendäre, etwa 400 Parten umfassende Kollektion, die Besucher seines farbenreic­hen Universums im Vorzimmer empfing? Dem Vernehmen nach fristet sie ihr Dasein nun in Plastikbox­en. „Ständig an den Tod erinnert zu werden mache das Leben ja lebenswert­er“, war jene Devise, die Rudi Schmutz auf erwartbare Nachfrage zu dem etwas morbid wirkenden Wandschmuc­k dann prompt parat hatte.

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Karl Sterrers Gebirgslan­dschaft von 1922 soll mindestens 16.000 Euro einspielen.
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Foto: Imago/SKATA Der Sammler Rudi Schmutz (1933–2017).

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