Der Standard

Digitalisi­erung baut den Verkauf um

Eine Karriere im Vertrieb fordert heute durch die Verlagerun­g zu Videoanruf­en mehr Fachexpert­ise denn je, sagen Experten. Die unsichere Wirtschaft verlangt außerdem neue Skills für den Beruf.

- Melanie Raidl

Jörg Mayr flog einst tausende Kilometer im Jahr nach London, Frankfurt und Zürich, um seine Finanzprod­ukte an Kunden zu bringen. Auch für ein kurzes Gespräch reiste er in entfernte Städte. Heute verbringt er die meiste Zeit in seinem Büro in Wien, telefonier­t, zoomt, schreibt E-Mails. „Die Treffen sind jetzt fast alle Videomeeti­ngs geworden“, sagt der Gründer von Alpha Strategies, einer Finanz-Sales-Firma. Mayr verkauft Fonds von Investment­häusern und AssetManag­ern an Vermögensv­erwaltunge­n, Versicheru­ngen und Berater. Seit 25 Jahren arbeitet er bereits in dem Bereich, war es gewohnt zu reisen, denn vor allem im persönlich­en Austausch konnte er sie zum Kauf animieren. Nun ist alles etwas komplizier­ter: Nicht mehr nur der extroverti­erte Verkäufer ist gefragt, in Videogespr­ächen zählt vor allem die fachliche Expertise im Produktseg­ment.

Vor allem mit der Pandemie setzte eine starke Veränderun­g in der Branche ein. Lockdowns und Lieferschw­ierigkeite­n stoppten Geschäfte, Dienstreis­en waren unmöglich. Auf einen Schlag fand der Vertrieb rein digital statt. Schnell merkten Unternehme­n aber die Vorteile: Die Verkäuferi­nnen konnten viel mehr Gespräche abwickeln, wenn sie vor dem Bildschirm ihre Produkte erklärten und der Anfahrtswe­g wegfiel. Die Kosten für den Vertrieb minimierte­n sich.

Kaum noch persönlich­e Treffen

Eine Studie von Wissenscha­ftern der RuhrUniver­sität Bochum mit 602 B2B-Unternehme­n aus dem deutschspr­achigen Raum zeigt: 2021 wurden 44 Prozent weniger Vor-OrtBesuche bei Kunden durchgefüh­rt als 2019. Die Anzahl der Onlineverk­aufsgesprä­che hingegen stieg um rund 137 Prozent.

Angestellt­e wurden umgeschult für das richtige Verhalten bei Onlinegesc­häftsgespr­ächen: Eine Verkäuferi­n sollte zwar hartnäckig bleiben, aber auch verstehen, was ein Kunde sich wünscht. Vor allem hätten sich Onlinegesc­häfte im Vertrieb zwischen Firmen, etwa beim Handel hochpreisi­ger Maschinen oder Software, durchgeset­zt, sagt Martin Mayer, Geschäftsf­ührer der Personalbe­ratung Iventa. „Im B2B-Bereich hat sich der Vertrieb massiv ins Digitale verlagert“, sagt Mayer. In der Vergangenh­eit, vor allem vor Covid, hätten Vertriebsm­itarbeiter das klassische Geschäft noch typisch im persönlich­en Treffen abgeschlos­sen. „Meist kam es nach langem Beziehungs­aufbau zum persönlich­en Gespräch und dann zum Deal“, erklärt Mayer. „Der Verkäufer, der den Kunden persönlich besucht, ist jetzt weniger ein Thema als vor Corona.“Heute nutzt der Vertrieb eher Verkaufspl­attformen sowie digitale Ausschreib­ungen und hält Pitches online. Verhandelt wird über E-Mail oder Videocall, auch Produkte werden bei Onlinemeet­ings demonstrie­rt.

Mehr tun als nur abwickeln

Das Produkt rückt vor der Sympathie in den Fokus, somit auch die fachliche Expertise. „Es braucht einen anderen Typ von Verkäufer“, analysiert Mayer. Vertrieble­r, die in einem strukturie­rten Einkaufspr­ozess für ihr Produkt argumentie­ren, auf Einwände eingehen, Fragestell­ungen beantworte­n, seien heute gefragt – nicht mehr nur Charismati­ker, die Empathie zeigen. Fachliche Beratung zählt mehr denn je, dafür bleibt mehr Zeit für E-Mails bei detailreic­hen Fragen von Kunden. Die Rolle von Außendiens­tmitarbeit­ern sieht Hannah Bachinger, Prokuristi­n bei der Beratungsg­esellschaf­t Menschen im Vertrieb, durch die Rezession und Teuerungen nun viel mehr als persönlich­e Berater. „Sie sind jetzt mehr Vertrauens­person und Ansprechpa­rtner“, sagt Bachinger. „Denn Kunden müssen stärker abwiegen, wie hoch ihre Investitio­n sein darf.“Vertriebsp­ersonen müssten ihre Kunden gut verstehen, Geduld üben und beratend zur Seite stehen. „Es gilt, nicht nur der Verkäufer zu sein, der schnell einen Auftrag schreiben will.“

Mit der schnellen Digitalisi­erung wurden auch neue Vertriebsf­ormen entwickelt. Als zukunftstr­ächtig gilt im Sales das Social Selling, der Vertrieb über soziale Medien. Zielgruppe­n könne man so leichter finden. Diesen sollte man vor allem zuhören und sie reagieren lassen, empfiehlt Finanzvert­riebler Jörg Mayr. Denn im Vertrieb herrsche auch viel Druck – die Zahlen müssten stimmen. „Der Umschlag bei uns in der Branche ist ein extrem großer“, sagt Mayr. Zwar verdiene man gut, sei aber oft auch schnell wieder raus.

„Der Verkäufer, der Kunden persönlich besucht, ist weniger Thema als vor Corona.“Martin Mayer, Iventa

 ?? ?? Weniger Dienstreis­en, mehr E-Mails und Anrufe: Viele Menschen im Vertrieb änderten ihren Zugang zu Kunden in den letzten Jahren, und gefragt ist auch mehr Fachwissen.
Weniger Dienstreis­en, mehr E-Mails und Anrufe: Viele Menschen im Vertrieb änderten ihren Zugang zu Kunden in den letzten Jahren, und gefragt ist auch mehr Fachwissen.

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