Der Standard

It’s the Energy, Stupid!

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Der Angriffskr­ieg Russlands wird, damit ist leider zu rechnen, länger dauern. Russland hat die Strategie eines hybriden Kriegs gewählt, um der Ukraine einen Siegfriede­n aufzuzwing­en: einen klassischm­ilitärisch­en Krieg, auch mit der Bombardier­ung der zivilen Infrastruk­tur, der den Verteidigu­ngswillen der Ukraine brechen soll. Kriegsverb­rechen werden in Kauf genommen, vielleicht auch zentral geplant; Moskau rechnet offenbar nicht damit, jemals dafür zur Verantwort­ung gezogen zu werden. Gleichzeit­ig will Russland mit psychologi­scher Kriegsführ­ung den Willen des Westens zur Unterstütz­ung der Ukraine brechen.

Dazu zählt, in unseren Ländern Zwietracht zu säen: durch fünfte Kolonnen und nützliche Idioten. Das Schöne an diesen ist, dass sie nicht zentral gesteuert werden müssen. Wladimir Putin kann getrost auf den blinden Ehrgeiz und den grenzenlos­en Opportunis­mus der Trumps, Le Pens, Wagenknech­ts und Kickls dieser Welt setzen. Es kann nicht ausgeschlo­ssen werden, dass sie sogar Wahlen gewinnen; zumindest untergrabe­n sie die Bereitscha­ft ihrer Länder, die Ukraine weiter zu unterstütz­en, wenn dafür ein wirtschaft­licher Preis zu zahlen ist. Und einen Preis werden wir zahlen.

Die schärfste Waffe Putins ist die langfristi­ge Verteuerun­g der Energie. Erneuerbar­e Energien können nicht schnell aufgebaut werden und garantiere­n keine Grundlaste­n. Deutschlan­d wird seine Atommeiler endgültig abschalten, auch wenn das in einer Energiekri­se reine Selbstbesc­hädigung ist. Russische Gaslieferu­ngen an Europa reduzieren sich drastisch, von circa 140 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021 auf geschätzt 60 Milliarden dieses Jahr und vielleicht noch 25 Milliarden nächstes Jahr. Diese 115 Milliarden angebotsse­itig zu ersetzen, wird schwer, was sich auch nicht ändern wird, wenn der Krieg bald enden würde.

Es gibt kein plausibles Szenario, in dem Russland und Europa zum Status quo ante zurückkehr­en, da es so grundlegen­de Interessen­konflikte gibt, dass sie sich mittelfris­tig ohne eine Unterwerfu­ng der EU nicht überwinden lassen.

Die Nachfrage nach Gas wird sinken müssen, was vor allem die Industrie trifft, weil wegen der Energiepre­ise europäisch­e Unternehme­n nicht wettbewerb­sfähig sein werden. Eine Deindustri­alisierung Europas in den nächsten paar Jahren hätte dauerhafte Wohlstands­verluste zur Folge. Was das politisch bedeuten würde, kann man sich ausmalen, auch wenn ich den Eindruck habe, dass die Gefahr bei vielen politische­n Entscheidu­ngsträgern in ihrer Dringlichk­eit nicht erkannt wird.

Für die europäisch­e Politik, und für Österreich, das jetzt für seine unbedachte Abhängigke­it von russischem Gas besonders abgestraft wird, kann es keine höhere Priorität geben als die langfristi­ge Erschließu­ng neuer Energieque­llen. Dafür werden wir schwierige Entscheidu­ngen treffen müssen, zum Beispiel zur Atomkraft, zur Gasprodukt­ion in Europa mittels Fracking (viel importiert­es Flüssiggas wird natürlich mit Fracking erschlosse­n) und zum Ausbau von Gas- und Stromnetze­n über Grenzen hinweg.

Es gibt keine guten Antworten, aber es gibt weniger schlechte Optionen. Wir sollen uns nicht täuschen: Der Hut brennt. Auch ohne Gas.

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