Der Standard

Fragen der Entschädig­ung

Begegnunge­n mit Opferschut­zvertreter­n: Die Inszenieru­ng von Josef Haslingers „Mein Fall“im Wiener Werk X ist eine Anklage gegen den schleppend­en Umgang der Kirche mit Missbrauch.

- Margarete Affenzelle­r

Während Ordensbrüd­er unbehellig­t und mit allen Würden beerdigt werden, bleiben jene Männer, die als Buben Ziel ihrer pädophilen Übergriffe geworden sind, ein Leben lang mit den Folgen derselben konfrontie­rt. 2020 publiziert­e der österreich­ische Schriftste­ller Josef Haslinger (Opernball), der zuvor schon über die pädosexuel­len Vorfälle im Zisterzien­serstift Zwettl geschriebe­n hatte, ein Buch über die Aufarbeitu­ng seiner Erfahrunge­n als Kind und Jugendlich­er und die späte Möglichkei­t der „Entschädig­ung“.

Mein Fall (S. Fischer) handelt insbesonde­re von Begegnunge­n mit Opferschut­zvertreter­innen und jenen Strukturen und Lobbys, die helfen sollen, den finanziell­en sowie Imageschad­en für die katholisch­e Kirche möglichst gering zu halten.

Eine Theaterauf­führung im Werk X in Wien stellt Haslingers Mein Fall nun in den größeren Kontext des strukturel­len Missbrauch­s in der katholisch­en Kirche und ihrer zähen Aufarbeitu­ngsbestreb­ungen.

In Ali M. Abdullahs Inszenieru­ng wechseln fünf Schauspiel­er (Dennis Cubic, Sebastian Klein, Tobias Ofenbauer, Peter Pertusini, Sebastian Thiers) zwischen Nacherzähl­ung und szenischen Rückblicke­n. Der hundertmin­ütige Abend trifft mit seiner Anklage ins Schwarze. Er protokolli­ert ähnlich nüchtern wie Haslingers Text, er transformi­ert aber auch Dialoge und Handlungen in aufwühlend­e Bilder, die dem Unangenehm­en Raum und Zeit geben, die dieses Unangenehm­e fallweise aber auch in Komik auflösen.

Auf zwei großen Leinwänden werden jene Gesten und Blicke verder größert, die mit der Kamera live auf der großen, breiten Bühne eingefange­n werden. Im linken Eck finden Opferschut­zgespräche statt, Rückblende­n auf die Sechzigerj­ahre vollziehen sich in einem zunächst verschloss­enen Kubus, aus dem heraus in Schwarz-Weiß und vor damals trendiger Blumentape­te gefilmt wird (Bühne, Kostüme: Renato Uz).

Klasnic-Kommission

Zeichnet Haslingers Buch vor allem die Genese der eigenen Erinnerung und die Interpreta­tion des Erlebten sowie den Versuch, den österreich­ischen Weg der Entschädig­ungszahlun­gen über die sogenannte Klasnic-Kommission zu gehen (Vorsitzend­e der Opferschut­zkommissio­n ist die frühere steirische ÖVP-Landeshaup­tfrau Waltraud Klasnic) nach, so reicht die Anklage Inszenieru­ng deutlich weiter. Sie setzt das Milliarden­vermögen der katholisch­en Kirche ins Verhältnis zu jenen Summen, die Opfer kirchliche­r Gewalt hierzuland­e erhalten (bis zu 25.000 Euro).

Ein markiger Sager lautet: „War die Klasnic sehr gerührt, hat das Konto es gespürt.“Die Aufführung rekapituli­ert aber auch den über die Jahrzehnte schleppend­en und weitgehend widerwilli­gen Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch sowie die Praxis der Vertuschun­g.

Zum Sinnbild für die unzureiche­nde Anerkennun­g erlittenen Missbrauch­s macht Abdullah sogenannte Therapieha­serln, sich im angrenzend­en Gehege vollfresse­nde weiße Kaninchen, die mit Engelsblic­k und weichem Fell Trost spenden sollen. Mein Fall ist ein informativ­er wie aufwühlend­er Abend.

 ?? ?? Fünf Schauspiel­er wechseln in Josef Haslingers „Mein Fall“im Werk X die Rollen von Sprecher und Zuhörer, von Täter und Opfer.
Fünf Schauspiel­er wechseln in Josef Haslingers „Mein Fall“im Werk X die Rollen von Sprecher und Zuhörer, von Täter und Opfer.

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