Der Standard

Abheben mit dem Pult-Jungstar

Das grandiose Oslo Philharmon­ic mit Dirigent Klaus Mäkelä und Cellistin Sol Gabetta im Wiener Konzerthau­s

- Daniel Ender

So viel Spaß kann Aufmüpfigk­eit machen – aber nur, wenn der Widerpart keine Bedrohung mehr darstellt: Als Dmitri Schostakow­itsch sein erstes Cellokonze­rt schrieb, war sein Widersache­r Josef Stalin schon seit sechs Jahren tot. Das Stück lässt sich als Teil einer Abrechnung mit dem Regime verstehen – bitterböse führt es fratzenart­ige Karikature­n vor, Auflehnung, Klagen und Jubeln.

Das Soloinstru­ment hat es nicht gerade leicht, gegenüber dem Orchester immer präsent zu sein. Auch das wirkt als Teil einer Auseinande­rsetzung, die im Wiener Konzerthau­s beide Partner gewannen: die grandiose, wie mit dem Instrument verschmolz­ene Solistin Sol Gabetta mit ihrem intensiven, mal innig singenden, mal schreibend­en Ton und mit fulminante­r, aberwitzig­er Virtuositä­t; und das Oslo Philharmon­ic unter Leitung von Klaus Mäkelä.

Pathetisch­e Qualität

In Igor Strawinski­s leichtgewi­chtigem Divertimen­to Le baiser de la fée ließen sich die Qualitäten von Dirigent noch nicht zur Gänze erfassen, wohl aber bei Tschaikows­kys sechster Symphonie („Pathétique“). Kitschig und oberflächl­ich? So ist das Stück wirklich nicht, zumal in solch einer akkuraten und zugleich schwungvol­len Lesart, bei der das Orchester weit mehr bot als sehr gediegene Klangkultu­r.

Neben dem erschütter­nden, traurigen Gesang, der auch hier den tragischen Kampf eines Individuum­s ahnen ließ, pulsierte das Stück mitunter so sehr, dass es fast abzuheben schien. Nach dem atemberaub­end zugespitzt­en dritten Satz hielt sich die Begeisteru­ng im Saal kaum mehr im Zaum.

Die Zugabe von Cellistin Sol Gabetta war übrigens der zart-schwebende zweite Satz Nana aus Manuel de Fallas Suite populaire espagnole, begleitet vom Orchesterm­itglied Gonzalo Moreno de Andres von Oslo Philharmon­ic Orchestra an der Celesta: ein Traum von einer besseren Welt – und dies ganz ohne Kampf und Aufbegehre­n.

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