Der Standard

Die nachhaltig­e WM, eine einzige Pflanzerei

Eine Million Bäume sollen in Katar gepflanzt werden, um die WM zu kompensier­en. Sie zu bewässern wird enorm aufwendig. Für die angeblich „erste klimaneutr­ale WM“wird noch an einigen anderen Stellen getrickst.

- Martin Schauhuber aus Doha

Doha ist ein guter Ort, um Umweltakti­visten zu radikalisi­eren. Die Staatsmill­iarden sprudeln aus Öl- und Gasquellen, das kleinste Auto auf den Straßen kommt aus der Mittelklas­se, die Skyline blinkt die ganze Nacht durch. Grünstreif­en und Bäume gibt es zwar zur Genüge, bewässert werden sie aber mit Wasser aus gasoder ölbetriebe­nen Entsalzung­sanlagen. Und was die allgegenwä­rtigen Klimaanlag­en in den und außerhalb der Stadien an Energie fressen, daran will man gar nicht denken.

Aber wer 2022 ein sportliche­s Großereign­is ausrichten will, der muss an der Gebetsmühl­e der Nachhaltig­keit drehen. Also machte und macht auch Katars Organisati­onskomitee große Versprechu­ngen. Klopft man diese ab, bröckelt der grüne Glanz.

Österreich durch 20

Die Schweizer Agentur Southpole hat im Auftrag des Fußball-Weltverban­ds Fifa errechnet, dass die katarische WM 3,6 Megatonnen CO₂Äquivalent verursacht. Das ist so viel, wie ganz Gambia in einem Jahr verursacht, aber nur ein ungefähres Zwanzigste­l des Jahresauss­toßes von Österreich. Klingt nach wenig? Ist es auch. „Laut unserer Analyse gibt das den echten Abdruck des

Turniers wegen der gewählten Berechnung­sform nicht wieder“, schreibt Gilles Dufrasne von der NGO Carbon Market Watch.

Das offensicht­lichste Beispiel für originelle­s Zahlenjong­lieren sind die Stadien. Kaum jemand außerhalb von Katar würde dementiere­n, dass die sechs neuen Stadien nur für die WM gebaut wurden. In der vom Organisati­onskomitee verbreitet­en Version werden aber nur 70 Einsatztag­e – die WM und zwei Klub-Weltmeiste­rschaften – in die Umweltbila­nz eingerechn­et, zudem wird für die Stadien ein langes Dasein voller hochkaräti­ger Einsätze impliziert.

So wird der für das WM-Budget relevante Teil des Bauaufwand­s künstlich geschrumpf­t, Carbon Market Watch schätzt den tatsächlic­hen Abdruck auf das Achtfache. Das würde also 1,6 statt der von der Fifa ins Treffen geführten 0,2 Megatonnen ergeben.

Container mal 974

Zwecks Öffentlich­keitswirks­amkeit machen die WM-Organisato­ren bunte, plastische Verspreche­n: Das aus 974 Schiffscon­tainern gebaute Stadium 974 soll komplett abgebaut und als Bastlerhit in ein Entwicklun­gsland verschifft, die meisten

Stadien sollen um zehntausen­de Sitze zurückgeba­ut werden. Ob sich für das Ikea-Stadion ein wirklich bedürftige­r Abnehmer findet, ist angesichts der riesigen Erhaltungs­kosten fraglich. Und auch sonst ist nach zwölf Jahren Planung sehr, sehr wenig fixiert.

In diesem Stadium 974 hatte der STANDARD Ende September im Rahmen einer Rechercher­eise ein regelrecht erleuchten­des Erlebnis. Hauptdarst­ellerin war die Nachhaltig­keitsveran­twortliche Talar Sahsuvarog­lu. Dr. Sahsuvarog­lu kann gut kommunizie­ren. Sie erzählte begeistert vom Recycling, von klimaschon­enden Materialie­n, die WMBaustell­en klangen wie ein einziges Klimaschut­zprojekt.

Und dann kamen die Fragen. Was wird nach der WM aus den Stadien? Wie wird das alles kompensier­t? Was genau wird in diesem und jenem Stadion zurückgeba­ut? „That has not been decided yet“, „That has not been decided yet“, „That has not been decided yet“. Offensicht­lich fehlt den Plänen jegliches Fundament. Da man sich nicht mit fremden Federn schmücken soll, sei gesagt: Die Demontage der augenschei­nlichen katarische­n Blenderei führten hauptsächl­ich ein Schweizer und ein deutscher Kollege durch. Davor und danach betonte die Nachhaltig­keitsveran­twortliche

so wie die ganze Führungsri­ege von Fifa und Organisato­ren stets die „erste klimaneutr­ale WM“. Kompensati­onsprojekt­e sollen die offizielle­n 3,6 Megatonnen wettmachen.

Um diese Projekte zu zertifizie­ren, gibt es seriöse und unseriöse Unternehme­n. Man kann sich denken, an welchem Ende das von Katar ins Leben gerufene „Global Carbon Council“einzuordne­n ist. Trotzdem sind bisher nur sechs Projekte genehmigt, allesamt aus dem Bereich der erneuerbar­en Energie. Laut Experten gehen diese Förderunge­n oftmals ins Leere, die Projekte würden sich auch ohne Zuschüsse rentieren. Katars Ablasshand­el bewirkt hier gar nichts.

Plastik zum Quadrat

Zugegeben: Kleinigkei­ten macht diese WM wohl richtig, doch offizielle­r Anspruch und Realität gehen meilenweit auseinande­r. Während ein Herr vom Organisati­onskomitee über die CO₂-Kompensati­on spricht, für die in Indonesien Plastik gesammelt wird, tauscht neben ihm jemand den viertelvol­len Müllsack mit fünf leeren Einweg-Plastikbec­hern aus. Ein genehmigte­s Projekt aus Indonesien findet man in der Datenbank des Global Carbon Council übrigens auch nicht.

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IAximAl ein kAtArische­r TrAum: 299 BSume, die quAsi Aus einem FußbAllfel­d wAchsen. „For Forest“hieß 2019 diese KunstAktio­n im KlAgenfurt­er Oörthersee-StAdion.
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Sieben der Acht OI-StAdien sind klimAtisie­rt, die Zieltemper­Atur für dAs Spielfeld betrSgt knApp 22 GrAd.

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