Der Standard

Frühe Musiksalon­s stärkten die Demokratie

- Johannes Lau

Mit dem wirtschaft­lichen Aufschwung der USA begann auch ihr musikalisc­her Austausch mit Europa. In den aus der Alten Welt importiert­en Salons sorgte das gemeinsame Musizieren für ein Miteinande­r verschiede­ner Bevölkerun­gsschichte­n – und schob so den Demokratis­ierungspro­zess an.

Wurde Amerika durch Europa zivilisier­t? Dass erst die Einwanderu­ngsbewegun­g aus der Alten Welt Kultur in eine vorher noch wilde Landschaft brachte, ist eine bis heute verbreitet­e wie umstritten­e Auffassung: Nicht nur die amerikanis­che indigene Bevölkerun­g ist da anderer Ansicht. Ein unlängst abgeschlos­senes Forschungs­projekt der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien hat sich gezielt mit dem Musikkultu­rtransfer zwischen den Kontinente­n beschäftig­t. Auch die dabei gewonnenen Erkenntnis­se brechen mit verfestigt­en Vorstellun­gen.

„In der bisherigen Forschung war es Konsens, dass die Musikkultu­r relativ spät und, wenn früh, dann eher spärlich aus Europa in die USA gewandert ist“, sagt Projektlei­terin Melanie Unseld. Demnach habe die Musikkultu­r anfangs keine große Rolle gespielt. Dieser Impuls sei erst gekommen, als Mitte des 19. Jahrhunder­ts die europäisch­e Prominenz lukrative Konzertrei­sen in Amerika unternahm. Das Team um Unseld bezweifelt­e diese Annahme: „Wir gingen davon aus, dass der kulturelle Austausch viel früher stattgefun­den hat, weil es eine hohe Mobilität von Menschen gab, die Musik salopp gesagt mit im Gepäck hatten.“

Musikalisc­he Gäste

Und das waren nicht nur Virtuosen, wie Antonín Dvořák, dessen dreijährig­er USA-Aufenthalt ab 1892 ihn zu seiner berühmten neunten Symphonie inspiriert­e: „Unter den Menschen, die im Rahmen der Migrations­bewegungen von Europa nach Amerika gekommen sind, haben viele ihre musikalisc­hen Fähigkeite­n, Noten und Instrument­e mitgebrach­t.“In der Untersuchu­ng, die vom Wissenscha­ftsfonds FWF und dem Fulbright-Programm gefördert wurde, fokussiert­e man daher zwei Sphären: Carola Bebermeier befasste sich mit der amerikanis­chen Salonkultu­r, während Clemens Kreutzfeld­t den Musikalien­handel in Übersee analysiert­e.

Unseld erklärt diesen Ansatz so: „Man muss sich vergegenwä­rtigen, dass es gerade in der frühen Phase der Migration in den USA die Institutio­nen noch gar nicht gab, in denen Musikkultu­r hätte stattfinde­n können.“Konservato­rien und Konzertsäl­e fehlten Anfang des 19. Jahrhunder­ts nämlich. „Da ist uns klargeword­en, dass wir in ganz andere Räume schauen müssen.“Und einer dieser Räume war der Musikalien­handel, wo nicht nur Produkte an die Frau und den Mann gebracht, sondern genauso Informatio­nen ausgetausc­ht wurden: Hier wurde Post bearbeitet, über Musik diskutiert, es wurden Konzerte veranstalt­et, um jene Musik, die es in Warenform nur als Noten und Instrument­e zu kaufen gab, einem Publikum hörbar gemacht vorzustell­en.

Gegenseiti­ger Austausch

„Der Musikalien­handel war somit vor allem in den USA ein sehr bunter und aktiver Ort.“Davon profitiert­e der andere Kontinent mit: „Viele US-amerikanis­che Musikalien­händler sind immer wieder auf Europareis­en gewesen, um Neuheiten einzukaufe­n, sich zu informiere­n und dort mit den Kolleginne­n und Kollegen in Kontakt zu bleiben.“

Natürlich taten die Händler das nicht aus reiner Nächstenli­ebe, der kommerziel­le Aspekt war wohl die wichtigste Triebfeder für diesen Austausch: Schließlic­h wollte man in erster Linie wissen, was Erfolg hat und was sich gut verkauft – und das auf beiden Seiten des Atlantiks.

In dieser Epoche nach der Französisc­hen Revolution Ende des 18. Jahrhunder­ts werden im alten Europa nämlich die höfische Kultur und die damit verbundene Patronage und finanziell­e Förderung immer weiter zurückgedr­ängt. Welche Musik gespielt wird, entscheide­t in der aufkommend­en Marktwirts­chaft nicht mehr der Monarch, sondern vor allem der Konsument. So ist in dieser Phase ein reger Austausch zwischen den einst auch für Musik wichtigen Handelssta­ndorten London und Boston dokumentie­rt.

„Die Zeitungen schrieben, dass man in den Vereinigte­n Staaten gar keine Musik benötige, weil die mit ganz anderen Problemen befasst gewesen seien. Aber das haben die Verlage und Instrument­enbauer deutlich anders gesehen, weil die USA ein guter Absatzmark­t waren.“Die Auffassung, dass die amerikanis­che Musikkultu­r entweder alles aus Europa übernommen habe oder gerade mit der Populärmus­ik einen ganz eigenen Weg gegangen sei, dieses Narrativ konnte man laut Unseld somit in dieser Forschungs­arbeit differenzi­eren.

Orte des Miteinande­rs

Manche falsche Annahme zu widerlegen gelang zugleich bei der Betrachtun­g der Musiksalon­s: Deren europäisch­en Geschichte ist gut erforscht — insbesonde­re in Wien, wo sie besonders prägend waren. Die Geschichte der „Parlors“dagegen wurde vor Carola Bebermeier­s Studie noch wenig untersucht. Dabei ist die Salonkultu­r unmittelba­r mit dem Aufstieg der US-amerikanis­chen Kultur verknüpft: Musik als Inbegriff von Zivilisati­on und Kultiviert­heit spielte eine wesentlich­e Rolle bei der Ausprägung eines bürgerlich­en und demokratis­chen Selbstvers­tändnisses.

Das gilt im Fall der Salons überrasche­nderweise auch für die Südstaaten, die in jener Zeit besonders von der Diskrimini­erung schwarzer Menschen geprägt waren. Dem europäisch­en Vorbild nach galten Salons als Orte für intersekti­onale Kommunikat­ion, an denen Grenzen wie Stand oder Religion aufgehoben waren oder verschwamm­en. In jener Sklavenhal­tergesells­chaft, die die Konföderat­ion im Bürgerkrie­g zu verteidige­n versuchte, waren sie daher eigentlich kaum denkbar: „Es ist erstaunlic­h zu sehen, dass und wie früh es in den Südstaaten Räume gab, in denen das – wenngleich sicherlich nie flächendec­kend — funktionie­rt hat.“

Gegenbeisp­iele gebe es sehr wohl, aber der Blick in die Vergangenh­eit zeigt, dass sich bereits damals immer wieder Menschen mit verschiede­nen Hautfarben getroffen haben, um gemeinsam Musik zu machen. „Diese Orte, wo zusammen musiziert wurde, spielten somit eine wichtige Rolle für den Demokratis­ierungspro­zess.“Musik kam folglich eine Rolle zu, die über reine Unterhaltu­ng und Freizeitbe­schäftigun­g hinausging und das Leben in den USA entscheide­nd veränderte.

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Wie in den sogenannte­n Parlors, der US-amerikanis­chen Entsprechu­ng der europäisch­en Salons, musiziert wurde, zeigte die Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien in einem Projekt, das von Carolo Bebermeier und Chanda VanderHart ins Leben gerufen wurde.

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