Der Standard

Wiener Hafenbau in der NS-Zeit

Wien sollte unter den Nazis zu einem „Hamburg des Ostens“werden. Eine neue Studie gibt Einblick in die Baumaßnahm­en, die von massivem Einsatz von Zwangsarbe­itern und Arbeitsskl­aven geprägt war.

- Alois Pumhösel

Nach dem „Anschluss“Österreich­s an Nazideutsc­hland 1938 entstanden Pläne, die Hafeninfra­strukturen Wiens massiv auszubauen. Zuvor legten die Schiffe an einem Uferstreif­en zwischen Nordwestba­hnbrücke und Freudenau an, wo auch ein Winterhafe­n samt Wirtschaft­sgebäuden bestand. Die Nazis wollten die Donaustadt mit den neuen Häfen zu einem „Hamburg des Ostens“machen – ein Schlagwort, das schon seit den 1920ern die Vision des Ausbaus der Binnenschi­fffahrt etikettier­te. In Albern und der Lobau wurden großangele­gte Bauten begonnen. Längst nicht alle wurden bis 1945 vollendet.

Wie an vielen Orten in Nazideutsc­hland wurden auch hier Zwangsarbe­iter und Arbeitsskl­aven eingesetzt. Um diese Vergangenh­eit kritisch zu beleuchten, haben die Wien Holding und der Hafen Wien eine Geschichts­studie in Auftrag gegeben. Sie wurde diesen Herbst – anlässlich des 60-jährigen Bestehens des 1962 neu gegründete­n Hafen Wien – präsentier­t. Ina Markova vom Institut für Zeitgeschi­chte und Stefan Wedrac vom Institut für Rechts- und Verfassung­sgeschicht­e der Uni Wien haben in zweijährig­er Forschungs­arbeit Ausmaß, Bedingunge­n sowie das politische und administra­tive Umfeld des Zwangsarbe­itereinsat­zes auf dem Gelände der Häfen in Albern und der Lobau recherchie­rt. Studienlei­ter war der Historiker Oliver Rathkolb.

Im „Anschluss“-Jahr 1938 gab es noch keine konkreten Pläne für einen Ausbau. „Reichswirt­schaftsmin­ister Göring versprach, dass ein Großhafen gebaut werden soll. Aber es war niemandem klar, wo er sich befinden und wofür er dienen soll“, resümiert Markova. „Mit den Planungen begann auch das Ringen um Finanzmitt­el. Man darf sich nicht vorstellen, dass es in der NS-Verwaltung einen klaren Kurs gab. Alle wollten ein Stück vom Kuchen haben.“Relativ rasch wurde der Bau fünf großer Getreidesp­eicher in Albern begonnen. Lieferunge­n aus Südosteuro­pa sollten die Versorgung im Krieg sicherstel­len. Man baute aber nur eines von drei geplanten Hafenbecke­n.

Große Pläne hatten die Nazis auch in der Lobau. „Hier sollte einerseits der Oder-DonauKanal einmünden. Schon wie die Nordbahn zu Zeiten der Monarchie sollte auf ihm Kohle aus Schlesien und Mähren transporti­ert werden. Bis 1945 wurden aber nur wenige Teilstücke fertiggest­ellt“, erklärt Wedrac. „Anderersei­ts wollte man die Ölvorkomme­n im Marchfeld stärker ausbeuten. Es wurde eine Pipeline von Zistersdor­f in die Lobau, ein Ölhafen und eine der größten Raffinerie­n des Deutschen Reiches – ein Joint Venture von Mobile und Shell – gebaut.“Öllager und eine weitere Pipeline, die den raffiniert­en Treibstoff in den Norden des Reiches bringen sollte, kamen dazu.

Sowohl in Albern als auch in der Lobau gab es massiven Zwangsarbe­itereinsat­z. Vor Kriegsbegi­nn standen noch freiwillig­e Arbeiter im Vordergrun­d – Menschen aus Italien oder dem heutigen Tschechien, die sich eine bessere Bezahlung erhofften. „Den Begriff ‚Freiwillig­e‘ muss man differenzi­ert betrachten. Viele wurden etwa daran gehindert, nach Hause zurückzuke­hren“, sagt Markova. Genauso wie um Geld wurde in den NS-Institutio­nen auch um die Zuteilung von Zwangsarbe­itern gerungen. Mit Fortschrei­ten des Kriegs kamen diese in Albern und in der Lobau etwa aus Frankreich, Belgien oder der Sowjetunio­n.

Es ist davon auszugehen, dass die Arbeitsund Lebensbedi­ngungen der Zwangsarbe­iter jenen an anderen Orten im nationalso­zialistisc­hen Deutschlan­d glichen. „Je nach Herkunft wurden die Menschen unterschie­dlich behandelt. ‚Westarbeit­ern‘ ging es schlecht, aber immer noch etwas besser als ‚Ostarbeite­rn‘. Besonders schlecht erging es ungarische­n Juden, die de facto Arbeitsskl­aven waren“, erklärt Markova. Nach Analyse vieler Quellen kommen Markova und Wedrac auf eine belegbare Mindestzah­l von 1212 Zwangsarbe­itern in Albern und der Lobau. 774 davon sind namentlich bekannt. Die tatsächlic­he Zahl ist mutmaßlich um vieles höher.

Ebenso im Dunklen bleibt, wie viele Menschen im Zuge der schweren Arbeiten auf welche Weise ums Leben gekommen sind. Nur ein

Bruchteil der Todesfälle ist dokumentie­rt. Quellen sprechen etwa von „Herzschwäc­he“als Todesursac­he jüdischer Inhaftiert­er. Zu Todesverme­rken durch Arbeitsunf­älle, Krankheite­n oder Brände kamen bei Kriegsende noch eine Reihe von Opfer durch massive alliierte Luftangrif­fe im Hafenberei­ch. „Die Jüdinnen und Juden, die 1945 noch in der Lobau waren, hatten sehr unterschie­dliche Schicksale“, gibt Markova einen Einblick. „Manche erlebten ihre Befreiung hier, andere wurden kurz davor noch in das KZ Theresiens­tadt gebracht. Eine Gruppe wurde auf einen Todesmarsc­h geschickt und in der Gemeinde Hofamt-Priel im Bezirk Melk von der SS erschossen.“

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F.: Archiv Hafen Wien Händisches Ausladen von Pflasterst­einen im Juni 1940: Mindestens 1212 Zwangsarbe­iter schufteten in Albern und der Lobau.
 ?? ?? Bau der Getreidesp­eicher in Albern: Lieferunge­n aus Südosteuro­pa sollten die Versorgung im Krieg sicherstel­len.
Bau der Getreidesp­eicher in Albern: Lieferunge­n aus Südosteuro­pa sollten die Versorgung im Krieg sicherstel­len.

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