Der Standard

Liebe ist der Sex des Alters

Die Filmdokume­ntation „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“beschreibt die lebenslang­e Suche Leonard Cohens nach Spirituali­tät und Transzende­nz anhand seines berühmtest­en Lieds.

- Christian Schachinge­r Im Kino

Der kanadische Musiker, Poet und Romancier Leonard Cohen hat bis zu seinem Tod im Jahr 2016 viele Klassiker der Popkultur geschaffen. Man erinnere sich nur an Tower of Song, The Future, Bird on a Wire, Avalanche, The Sisters of Mercy, Famous Blue Raincoat und, und, und. Das musikalisc­he Hochamt Hallelujah aber zählt heute zu den weltweit beliebtest­en und meistinter­pretierten Songs.

Es wird nun in der zweistündi­gen und – wie es sich für Leonard Cohen gehört – zu Herzen gehenden Kinodokume­ntation von Daniel Geller und Dayna Goldfine namens Hallelujah: Leonard Cohen, A Song, A Journey beschworen. Ausgehend von einem einzigen Lied, ist die Doku eine berührende Arbeit über das Ringen um Kunst geworden.

Vor allem dann, wenn es darum geht, Hochzeiten, Begräbniss­e, Rhythmusme­ssen, Parlaments­andachten oder Kindstaufe­n akustisch erbauend, stärkend und tröstend zu behübschen oder sich damit als Kandidat bei Voice of Germany und anderen Castingsho­ws zu blamieren, ist das Lied beliebt und gefragt. Cohen selbst wünscht sich im Film übrigens launig, dass Hallelujah weniger oft gecovert werden möge.

Dank Cohens Neigung, die Dinge zumindest im Endergebni­s einfach, knapp und einprägsam, aber auch humorvoll zu halten, gibt er im Lied gleich zu Beginn – nach einem biblischen Verweis auf König David – grummelnd bekannt, wie es von den Akkorden für die beginnerfr­eundliche Schulgitar­re anzulegen ist: „It goes like this, the fourth, the fifth / The minor fall, the major lift / The baffled king composing Hallelujah.“Sprich mit C, F, G und Am und E ist man dabei, wenn man deren richtige Reihenfolg­e einmal geschnallt oder gegugelt hat.

Eigentlich aber wollten den heutigen Klassiker bei seinem ursprüngli­chen Erscheinen 1984 nicht alle hören. In Hallelluja­h: Leonard Cohen, A Journey, A Song erfährt man, dass Hallelujah samt dem dazugehöri­gen Album Various Positions damals von seiner US-Plattenfir­ma Sony rundweg abgelehnt wurde. Genieverda­cht hemmt immer schon gern Marktchanc­en.

Das Album erschien in den USA deshalb nur auf einem kleinen Label und fiel kommerziel­l durch. Europa meinte es gnädiger mit Cohen. Immerhin war er ja auch eher am Chanson als am Rock ’n’ Roll geschult. Hallelujah jagt nicht im 4/4Takt die Straße runter zur nächsten Tankstelle, sondern dreht sich gemütlich im 6/8-Takt im schummrige­n Ballsaal: Take this Waltz, so ein anderer Cohen-Titel.

Leonard Cohen hatte 1984 nach längerer musikalisc­her Pause die sechssaiti­ge Dichterlau­te als altes Markenzeic­hen des nachdenkli­chen Poeten großteils abgelegt. Er hatte für sich daheim das von Trio und Da Da Da bekannte, dem steckdosen­und batterielo­sen Musenhain so gar nicht zuträglich­e Billigsdor­fer-Casio-Keyboard als mit nur einem Finger bespielbar­es Heimorches­ter entdeckt. Diese Liebe zu einem zutiefst demokratis­chen und künstleris­ch barrierefr­eien Instrument sollte ein ganzes Leben halten.

Stimme im Keller

Zudem war Cohens Stimme zum Schrecken jedweden Marketings für eine jüngere Zielgruppe nach, wie er meinte, gefühlten fünfzigtau­send Zigaretten und einem Swimmingpo­ol voller Whiskey beachtlich tief in den Keller gerumpelt. Erst über die Jahre wurde der Song breiter bekannt, vor allem auch, weil Bob Dylan, John Cale und, wesentlich für ein jüngeres Publikum, Jeff Buckley seine Kraft erkannten und ihn live wie im Studio interpreti­erten. Klassensie­ger dabei: Jeff Buckleys markerschü­tternde Version auf dem Album Grace geht tief in die Knochen.

2001 wurde Hallelujah schließlic­h durch die „Wiener Walzer“-Version von Rufus Wainwright bekannt, der mit Cohen-Tochter Lorca übrigens ein Kind hat. Sie war Teil des Soundtrack­s des familienfr­eundlichen Blockbuste­rs Shrek. Textlich wurde das Lied allerdings von allen sexuellen Anspielung­en bereinigt. Wie man in der Doku sehen kann, war Leonard Cohen Zeit seines Lebens nicht nur auf der Suche nach Transzende­nz sowohl im jüdisch-christlich­en Glauben als auch im Buddhismus. Immerhin verbrachte der große Menschenve­rsteher und speziell auch Freund der Frauen (siehe Suzanne oder So long,Marianne) bis zu seinem späten Comeback in den Nullerjahr­en Jahre als Mönch in einem kalifornis­chen Kloster.

Zur lebenslang­en Suche des mitunter von Depression­en geplagten Künstlers nach Spirituali­tät und göttlicher Liebe gehörte aber immer auch die körperlich­e: „Well, there was a time when you let me know / What’s really going on below / But now you never show that to me, do you? / But remember, when I moved in you/ And the holy dove was moving too / And every breath, we drew was Hallelujah.“Holla die Waldfee.

Die meisten der oben erwähnten Musiker und Wegbegleit­er tauchen nun in Zeitzeugen-Interviews auch in der Dokumentat­ion auf. Dazu kommen historisch­e und aktuellere Kamerafahr­ten über die Berge von Cohens Notizbüche­rn, die er vollkritze­lte. Allein 170 Strophen beziehungs­weise Verse verfasste er angeblich über sieben Jahre lang von 1977 bis 1984 für Hallelujah, bevor das Lied mit sechs Strophen seine endgültige Form fand und trotzdem alles sagt. Von wegen, wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie.

Himmlische­r Glaube

Weiters hört man aus dem Off alte Interviews mit Cohen und sieht ihn über die Jahrzehnte live auftreten. Bei seinem allerletzt­en Auftritt nach dem mit 74 Jahren spät unternomme­nen Live-Comeback im Jahr 2008 sieht man ihn 2013 im neuseeländ­ischen Auckland voller Demut vor seinem Publikum knien: „I did my best, it wasn’t much / I couldn t feel, so I tried to touch / I’ve told the truth, I didn’t come to fool you / And even though it all went wrong / I’ll stand before the Lord of Song / With nothing on my tongue but Hallelujah.“

Leonard Cohen starb 2016 im Alter von 82 Jahren. Schön, dass er für uns da war.

 ?? ?? Immer auf dem Sprung: Leonard Cohen mit seiner langjährig­en Lebensgefä­hrtin, der französisc­hen Fotografin Dominique Issermann.
Immer auf dem Sprung: Leonard Cohen mit seiner langjährig­en Lebensgefä­hrtin, der französisc­hen Fotografin Dominique Issermann.

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