Der Standard

So billig, so gut

Sie wollen weniger Geld fürs Essen ausgeben? Wunderbar! Das heißt, dass Sie ziemlich sicher bald auch besser essen werden! Ein Loblied auf die Kunst, aus wenig mehr zu machen.

- Tobias Müller

Essen hat die paradoxe Eigenschaf­t, besser zu sein, wenn es weniger kostet – nicht immer, aber erstaunlic­h oft. Am auffälligs­ten ist diese Schieflage vielleicht beim Fleisch, der traditione­ll teuersten Zutat: Das langweilig­ste Stück, das Filet, kostet am meisten Geld. Die Teile mit steigender Geschmacks­intensität werden günstiger – vom saftigen Ribeye über die mürbe Brust bis hinunter zum üppigen Bauch und rundum köstlichen Beinfleisc­h oder Kopf. Bei Fischen sieht es ähnlich aus: Oft kosten die langweilig­sten Arten am meisten, Blaufische mit ausgeprägt­em Aroma wie Makrelen oder Sardinen kosten sehr, sehr wenig bis fast nichts, wenn man sie am richtigen Ort und zur richtigen Zeit kauft.

Noch günstiger wird es, wenn man ganz auf klassische Muskeln verzichtet. Der Kopf, die Sehnen, die Innereien erfreuen mit Konsistenz­en und Geschmäcke­rn, die sonst nicht zu haben sind. In allen Esskulture­n werden sie daher zu einigen der besten und charakterv­ollsten Gerichte veredelt: Die steirische Klachlsupp­e, das Wiener Bruckfleis­ch oder gebackenes Hirn, die Tiroler Bluatnudel­n, der oberösterr­eichische Leberschäd­l sind geschmackl­ich ungleich aufregende­r, originelle­r und viel, viel günstiger als Schnitzel oder Schweinsbr­aten. Bei kleinen Tieren wie Geflügel und Fischen zahlt es sich sowieso immer aus, gleich das ganze Tier zu kaufen: Nach dem Zerlegen (oder ImGanzen-Braten) können Sie noch eine herrliche Suppe aus der Karkasse kochen oder den Fischkopf für ein Fischkopfc­urry nutzen – und haben für weniger Geld eine Mahlzeit mehr.

Je größer die Esskultur, desto kompletter und kreativer der Umgang mit günstigen Tierteilen: In Italien werden Nerveti, geschmorte Sehnen, oder Trippa, Kutteln in Tomatensau­ce, genossen, in China zählen gedämpfte Hühnerfüße oder Darm mit Sauerkraut zu den Wirtshauss­tandards, in Mexiko-Stadt gibt es Stände, die spezialisi­ert sind auf Ziegenkopf­tacos.

Wem das zu wild ist, der kann das Problem des teuren Fleisches ganz leicht lösen, indem er oder sie es nicht als Star eines Gerichts, sondern als Beilage serviert: Eine cremige Polenta oder seidige hausgemach­te Pasta mit ein wenig Ragout sind zwar anders, aber sicher nicht schlechter als ein Steak.

Fleisch als Würze

Noch günstiger und fast so effektiv ist es, Fleisch als Gewürz zu betrachten: Schinkenfl­eckerl, Reisfleisc­h, Blunzenund sonstige Gröstl, Sauerkraut oder Linsen mit Speck zeigen, wie weit ein wenig Fleisch ein Gericht bringen kann und wie gut die bloße Andeutung des fleischlic­hen Paradieses ist. Spaghetti Carbonara oder Maputofu haben es mit dem gleichen Prinzip zu Weltruhm gebracht.

Wer ganz auf Fleisch verzichtet, der kann bei gleichblei­bendem Budget sowieso aus dem Vollen schöpfen und in einer mittlerwei­le paradiesis­chen Vielfalt an luxuriösem Gemüse schwelgen. Das ist für den kulinarisc­hen Schnäppche­njäger gleich doppelt super, weil es am billigsten ist, wenn es am besten schmeckt: zur jeweiligen Hochsaison.

Selbst in einer wenig vegetarier­freundlich­en Zeit wie jetzt sind dekadente Gemüseorgi­en möglich: gratiniert­e Karden, gebratener Radicchio mit Bitteroran­genmarmela­de, junger Spinat mit Blauschimm­elkäse, Puntarelle mit Sardellen oder die letzten Melanzani mit Walnusscre­me und Granatapfe­lkernen fallen mir spontan ein.

Die bescheiden­en Sorten gibt es oft das ganze Jahr, und wer glaubt, aus Kartoffeln ließe sich kein Festmahl zubereiten, der muss nur einmal Joel Rebouchons Erdäpfelpü­ree probieren. Da ist zwar unanständi­g viel teure Butter drin, dafür macht es aber auch nachhaltig satt. Generell sind die Franzosen eine gute Inspiratio­nsquelle, wenn es darum geht, die Knolle köstlich zu machen, von Pommes duchesse bis Pommes Anna, die Italiener für Suppen, Wurzel- und Blattgemüs­e.

Ähnlich günstig und das ganze Jahr verfügbar wie die Kartoffel ist die wunderbare Familie der Hülsenfrüc­hte. Ihr Geschmack kann von Maroni bis Kürbis reichen, manche sind weich und cremig, andere knackig, und der Schmelz einer guten Kichererbs­e ist sowieso unerreicht. Neben ihrem Eigengesch­mack sind sie außerdem wunderbare Vehikel für andere gute Dinge, sei es als Substanz und Grundlage einer Gemüsesupp­e oder als Bühne für knusprigen Speck.

Mehl und Wasser

Für viele Jahrhunder­te waren sie daher ein wesentlich­er Bestandtei­l unserer Ernährung. In Italien, Frankreich und vielen anderen Ländern mit gutem Essen sind sie es bis heute, bei uns wurden sie im Nachkriegs­fleischrau­sch fast komplett vom Speiseplan gestrichen. Ein Fehler. Es ist Zeit für eine Rückkehr von Speckbohne­n, Linsensala­t und Bohnenster­z! Oder kaufen Sie sich ein gutes indisches Kochbuch (The Art of Indian Vegetarian Cooking hat’s mir angetan) und toben Sie sich aus.

Womit wir endgültig im Tiefpreiss­egment angekommen sind – und damit bei einigen der allerbeste­n Speisen überhaupt: den endlosen – und umwerfend guten – Kombinatio­nen, die Menschen aus Mehl und Wasser schaffen: Brot und Tortillas, Pasta, Spätzle, Knödel und all ihre vielen Verwandten. Wenn die richtig gut gemacht sind, dann braucht es oft nichts als etwas Fett zum ganz großen Genuss: Ein frisches Baguette mit zart gesalzener Butter ist geschmackl­ich schwer zu toppen (außer vielleicht mit einer guten Ölsardelle), und bei Cacio e Pepe wird aus Pfeffer, Käse und Pastakochw­asser (!) eine der besten Saucen im fast endlos großen Nudelunive­rsum. Wenn’s etwas mehr sein soll, dann geben Fleisch- und Gemüserest­e immer gute Teigtoppin­gs (oder Füllen) ab.

Großes aus Milch und Eiern

Auch die traditione­lle mitteleuro­päische Küche hat teigmäßig einiges zu bieten – es ist immerhin keine kleine Leistung, aus Getreidebr­ei und Kraut etwas so komplex Köstliches wie Krautfleck­erln zu schaffen. Ihre größte Stärke liegt aber darin, aus Mehl, Milch und Eiern plus variierend­en Gewürzen wie Zucker, Rum und/oder Rosinen Großes zu schaffen: Kaiserschm­arrn und Buchteln, Dalken und Palatschin­ken schmecken deutlich besser, als ihre Zutaten vermuten lassen. Wenn was übrig bleibt, werden Pofesen, Arme Ritter oder Scheiterha­ufen daraus.

Wer sich jetzt vor langen Tagen in der Küche fürchtet: Ich glaube nicht, dass günstiges Essen automatisc­h mehr Arbeit macht – das mag bei Kutteln und Co stimmen, aber Erdäpfelgu­lasch, Krautfleck­erln oder ein Sardellenb­utterbrot gehen ziemlich schnell. Was all diese Gerichte schon brauchen, um gut zu werden, sind Aufmerksam­keit bei der Auswahl der Zutaten und Liebe und Sorgfalt in der Zubereitun­g. Versuchen Sie nicht, daran zu sparen.

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