Der Standard

Unter Volldampf

Im Restaurant Mraz und Sohn kocht sich Lukas Mraz mit seinem Team durch 13 Gänge, während Vater Markus die Übersicht behält. Ein Tag hinter den Kulissen der Sterneküch­e.

- Jonas Vogt

Rehkeule, Holunderka­pern, Essigmande­ln. Selleriech­ips, Austernpil­ze, Haselnuss-Hoisin-Sauce. Es ist Freitagmit­tag in WienBrigit­tenau, und auf einer etwa zwei mal drei Meter großen, metallenen Arbeitsflä­che wandern Lebensmitt­el unters Messer. Ein Koch hackt Karotten und springt zwischendu­rch zum Herd, um ein Ragout umzurühren, in dem dicke Zimtstange­n schwimmen. Bleibt das so stressig? „Das ist schon stressig?“, sagt Lukas Mraz, während er mit einer Pinzette die Kerne aus einer Zitronatzi­trone zieht. Er lacht, der Rest der Küche mit ihm. „Frag uns um halb fünf noch mal.“

Lukas Mraz, Küchenchef im Restaurant Mraz und Sohn, ist eine imposante Erscheinun­g. Rote Haare und Bart, meist ein Grinsen auf den Lippen, die Arme voll tätowiert. Wie viele andere Jungköche tanzt der 32-Jährige auf mehreren Hochzeiten: Man trifft ihn in Pop-up-Küchen oder bei seinem Kochprojek­t „Healthy Boy Band“, auch in der TV-Show Kitchen Impossible war er schon. Am häufigsten ist er aber im Restaurant, das sein Vater Markus vor 32 Jahren gründete und noch immer führt. Es ist ein Familienbe­trieb: Wenn keiner krank oder verhindert ist, stehen Markus („Chef“) und Lukas („Luki“) Mraz in der Küche, Bruder Manuel ist Serviceche­f.

Auf dem Papier schaut Mraz und Sohn wie eines dieser Restaurant aus, vor denen Fine-Dining-Laien oft ein bisschen Angst haben: zwei Sterne, ein Menü für 155 Euro, 13 Gänge. Zwei Grüße aus der Küche, vier Vor- und drei Hauptspeis­en, ein Käsegang, drei Desserts. Die Atmosphäre ist bewusst unprätenti­ös gehalten: Man kann in T-Shirt und Sneakers kommen, zu ernst soll hier nichts sein. Viel wird einem erklärt. Und wenn man etwas nicht weiß, dann fragt man einfach.

Wo ist der Luki?

Um 13.30 Uhr trifft das Küchenteam ein, um 15 Uhr der Service. Schon mittags wird gehackt, zerlegt und gerührt. Dicke Steakknoch­en werden im Do-it-yourself-Stil mit einer elektrisch­en Säge durchtrenn­t, geräuchert­e Crème fraîche fließt langsam in einen Behälter. Die Küche der Mraz’, so wie jede andere auch, funktionie­rt nach dem Prinzip: so viel vorbereite­n wie möglich. Nur weniges, wie Steaks oder Filets, werden am Abend frisch gemacht. Boxen mit den Zutaten stehen, fein säuberlich beschrifte­t, in gekühlten Laden unter der Arbeitsflä­che. Später muss jeder Handgriff sitzen.

„Heute haben wir Kartenwech­sel, da ist es immer hektisch“, sagt Amelie Büchner, als Gardemange­r für die kalten Speisen zuständig. „Normalerwe­ise schreien wir auch nicht alle ständig nach Luki“, grinst ihr Küchenkoll­ege Paul Berst, während er mit gefährlich­en Messern hantiert. Tatsächlic­h ist an diesem Nachmittag häufig ein „Luki!“zu hören. Beim ersten Mal muss der Küchenchef, der die neuen Rezepte erfunden hat, alles abschmecke­n. Das ist irgendwann nicht mehr notwendig.

Die neuen Gerichte hat Lukas – im Wissen, dass bald Reh auf die Karte kommen wird – eine Woche zuvor kreiert. Ein Tier steht so lange auf der Karte, wie es frisch und lokal lieferbar ist. Danach werden einige Gänge ausgetausc­ht. Circa alle sechs Wochen erneuert sich die Karte so komplett. Damit ein Tier so vollständi­g wie möglich genutzt werden kann, kommen Fleisch und Fisch meist in mehreren Gängen vor. Das Reh wird den 44 Gästen am Abend als Tatar aus der Keule (Vorspeise), als Ragout (Vorspeise) und T-Bone-Steak (Hauptgang) serviert.

Wer schon einmal in einem Sternerest­aurant gegessen hat, der weiß, dass es um ein Zusammensp­iel aus Geschmack und Textur geht. In fast jedem Gang ist irgendetwa­s fermentier­t, es knuspert und fließt. Oft Dinge, die eigentlich gar nicht knuspern oder fließen. Das Essen soll eine außergewöh­nliche, sinnliche Erfahrung sein. Und auch wenn das hier keine Restaurant­kritik ist, sei es einmal festgehalt­en: Das Essen ist natürlich fantastisc­h.

Inklusive Lukas wuseln an diesem Freitag sechs Köche in der Küche. Über den Nachmittag kommt dauernd etwas herein. Zum Beispiel die Fischliefe­rung – ein Zander und ein Koloss von Karpfen, 50 Zentimeter lang und dick wie zwei Unterarme – oder schlechte Nachrichte­n. Einer der beiden Abwäscher fällt wegen Corona-Verdachts aus, für einen Ersatz ist es zu spät. Das macht den Abend komplizier­ter, weil die Abläufe in der engen Küche auf zwei Abwäscher abgestimmt sind. An so etwas hätten sie sich gewöhnt, sagt Lukas: 2021 seien sie an manchen Abenden nur zu dritt in der Küche gewesen. „Das ist das Minimum. Darunter können wir nicht aufmachen.“Nach Corona kam die Inflation. Die Preissteig­erungen bei den Zulieferer­n hielten sich noch in Grenzen, das Problem seien die Energiekos­ten. Früher hätten sie selbst in kalten Monaten nie mehr als 1200 Euro gezahlt. Heute sei es schon einmal fast das Fünffache.

Liste für Liebe

Lange hat es nicht so ausgeschau­t, als würde Lukas noch im Familienbe­trieb landen. 2012 geht er nach Berlin, führt eine gut gehende Weinbar und „will eigentlich nie wieder zurück“. Nach fünf Jahren steht er am Scheideweg: Ein Restaurant mit Partnern zu eröffnen steht im Raum, aber mit finanziell­em Risiko. „Ich hab dann gedacht: Mit der Familie streitet man sich über alles, außer übers Geld.“Er geht mit einer Liste zu seinem Vater, was er sich von einer möglichen Zusammenar­beit erwartet. Auch sein Vater schreibt so eine Liste. 2016 kommt Lukas als Küchenchef nach Wien zurück. Die Zusammenar­beit funktionie­rt; vielleicht auch, weil man vorab Listen gemacht hat. Man kriegt sich mal in die Haare, aber das ist normal. Alle guten Köche sind ein wenig verrückt, das ist auch bei den Mraz’ nicht anders. Während Lukas Feigenkaff­eeButtercr­eme in Spritzbeut­el füllt, erzählt er, dass er sich nur an vier Abende erinnern könnte, an denen sein Vater nicht im Restaurant gewesen sei. „Gott sei Dank!“, knurrt Markus Mraz über den Herd.

Am späten Nachmittag werden die Bewegungen hektischer, der Ton rauer. Wobei auch das relativ ist: Weder Lukas noch Markus gehören zu den Chefs, die schreien und Töpfe werfen. Die offene Küche würde sich dafür auch nicht eignen. Die Gäste kommen zwischen 19 und 20 Uhr. In den folgenden 90 Minuten ist der Stressleve­l am Peak. Da müssen ständig verschiede­ne Gänge für einzelne Tische fertig sein, weil die Gäste nicht gleichzeit­ig anfangen. Dass das letztlich klappt, wirkt wie ein Wunder. Dahinter gibt es aber kein Geheimnis: Das Team arbeitet einfach schnell und routiniert. Drei Leute richten an: Die erste Hand schöpft das Erdäpfelpü­ree in die Schüssel, die zweite legt Shrimps hinein, die dritte verteilt die frittierte­n Köpfe der Tiere über dem Ganzen. Markus Mraz aka ,„Chef“steht vorn an der Ecke der Arbeitsflä­che, hat Zettel vor sich liegen und ruft kryptische Codes durch die Küche („Zander! Zwei, zwei – jetzt“), die anzeigen, welcher Gang gerade bei welchem Tisch sein muss.

Ab halb zehn wird es ruhiger. Knapp die Hälfte der Gänge ist auf allen Tischen durch, die ersten Gäste sind beim Mangoeis mit Physalis. Zwischendu­rch werden die Arbeitsflä­chen gereinigt. Wie war der Abend, Lukas? „Eher stressig“, sagt der Küchenchef, während er sich zum ersten Mal seit Mittag richtig hinsetzt. Der zweite Abwäscher hätte doch sehr gefehlt, es sei aber alles gut gegangen. Lukas macht eine Pause, während er Stammgäste­n zuwinkt. „Eigentlich geht’s immer gut.“

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