Der Siegeszug des Analogkäses
Einst als billiges Imitat auf Fertigpizzen geschmäht, verkaufen vegane Marken analogen Käse mittlerweile für viel Geld. Aber ist das gerechtfertigt?
Schon einmal war der Analogkäse sprichwörtlich in aller Munde: als österreichisches Unwort des Jahres 2009. Diese zweifelhafte Ehre hatte er sich unredlich erarbeitet – als Mittelpunkt eines Lebensmittelskandals. Konsumentenschützer hatten herausgefunden, dass in vielen Fertigprodukten wie Tiefkühlpizza oder Lasagne, aber auch bei einigen Backwaren und in der Gastronomie Käse zum Einsatz kam, der alles andere war, nur kein Käse. „Käse ohne einen Tropfen Milch!“, titelten die Medien damals.
„Ein klassischer Fall von Konsumententäuschung“, erinnert sich Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Die Verbraucher hätten sich die Zutatenliste schon sehr genau anschauen müssen, um herauszufinden, was sich im Pizzabelag befand: ein Ersatzprodukt, das überhaupt nichts mit echtem Käse zu tun hat, aber als solcher verkauft wurde.
Die Grundprodukte dieses Surrogats: pflanzliche Fette, Palmöl, Salz, Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffe, Geschmacksverstärker. Da kein Reifungsprozess nötig ist, lässt sich der Analogkäse günstiger herstellen. Was ihn für Lebensmittelindustrie und Gastronomie interessant macht, zumal Schmelzverhalten und Hitzebeständigkeit besser sind als bei echtem Käse.
Schummelkäserei!
Die Aufregung über das Imitat war groß – obwohl von Analogkäse in keiner Weise eine Gefährdung für Leib und Leben ausging oder noch ausgeht. Doch der Aufschrei mündete schließlich in neue, EU-weite Regeln zur Kennzeichnung von Lebensmitteln. Seit 2014 dürfen Hersteller Kunstkäse nicht mehr als Käse bezeichnen. Fun-Fact: Der Leberkäse darf weiterhin Leberkäse heißen. 2017 legte der Europäische Gerichtshof den Schutz von Bezeichnungen wie Rahm, Joghurt, Butter und Käse fest. Folgt man dem österreichischen Lebensmittel-Codex, versteht man unter der Bezeichnung „Käse“von Haus aus nur Erzeugnisse, die aus Milch hergestellt werden.
Doch damit war und ist die Causa „Analogkäse“nicht abgeschlossen. Was nicht zuletzt am Zeitgeist liegt. Umfrageergebnisse des Marktforschungsinstituts Marketagent mit 500 Befragten zwischen 19 und 75 Jahren von Anfang 2021 wiederum zeigen, dass sich bereits elf Prozent der Bevölkerung fleischfrei, also vegan oder vegetarisch, ernähren. In einer Befragung des Handelsverbandes Österreich gaben 30 Prozent von 500 Befragten an, sich flexitarisch zu ernähren, also hauptsächlich fleischlos zu essen.
Wie groß die Zielgruppe für tierfreie Ernährung mittlerweile ist, zeigt auch die Eröffnung eines neuen, rein veganen Supermarkts, betrieben vom Handelsriesen Rewe, im September 2022 in Wien. Aber nicht nur dort findet man vegetarische und vegane Produkte. Sie tauchen längst auch bei Diskontern und anderen Handelsketten auf. „Wir haben 2682 pflanzenbasierte Artikel, davon 1967 vegane Artikel, im Sortiment“, teilt Spar-Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann mit. Darunter auch veganer Käse. Mit genauen Absatzzahlen könne sie zwar nicht dienen, sie hält aber fest, dass allein die Eigenmarke Spar Veggie von Jänner bis September 2022 ein Umsatzplus von vier Prozent verzeichnet hätte.
Der Trend des Veganismus und die Sehnsucht nach tierfreien Alternativen zu geronnenem Milcheiweiß aus Kuh- oder Ziegenmilch verschaffen dem einst geschmähten Kunstkäse also einen weiteren erfolgreichen Zugang zum Lebensmittelmarkt. Was schon früh Kritiker auf den Plan rief. Die Starköchin und nunmehrige Politikerin Sarah Wiener warnte 2015, dass man sich noch vor einigen Jahren über Analogkäse auf Pizzen aufgeregt hätte. Heute werde das gleiche Produkt „vegan gelabelt und doppelt so teuer verkauft wie Biokäse“. Österreichische Politiker und die Landwirtschaftskammer schlugen in dieselbe Kerbe. Man fürchtete nicht zuletzt um ein Kulturgut, immerhin zählt das Käsen zu einem der ältesten Verfahren zur Haltbarmachung von Milch. Dass Milchbauern keine Freude mit der neuen Konkurrenz in der Käsetheke haben, verwundert nicht.
Das neue Framing
Aber handelt es sich beim Käseimitat von heute noch um den Analogkäse von früher? Fest steht, dass die Hersteller den Teufel tun würden, ihre Produkte als Analogkäse zu bezeichnen. Zum einen dürfen sie das aus den genannten Gründen gar nicht mehr, zum anderen ist der Begriff wohl für alle Zeiten negativ behaftet. Man habe stattdessen sehr kreative Bezeichnungen gefunden, von „Pizzaschmelz“bis hin zu „Cashewbert“(statt Camembert), stellt Konsumentenschützerin Beck fest: „Es sind natürlich Bezeichnungen, die schon darauf hindeuten, welches Produkt damit ersetzt wird.“Beschwerden über eine Verwechslung seien noch nie an den VKI herangetragen worden. Den fragwürdigen Analogkäse gebe es aber noch immer: im Großhandel als Billigschiene für die Gastro.
„Als damals der AnalogkäseSkandal ans Licht kam, hat niemand behauptet, dass es sich dabei um ein veganes Produkt handelt“, meint Felix Hnat. Aus Sicht des Obmanns und Geschäftsführers der Veganen Gesellschaft Österreich liegt ein grundlegendes Missverständnis vor: „Beim Analogkäse von damals wurden auch tierische Produkte als Zutaten verwendet.“Tatsächlich findet man in der Zutatenliste des „bösen“Analogkäses Milchpulver und Rindertalg – billige Ersatzstoffe also. „Ich hätte mich darüber gefreut, hätte es damals schon einen echten veganen Käse gegeben“, sagt Hnat.
Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Die Auswahl an veganen Käsealternativen ist heute groß und wächst beständig. Hat sich auch die Qualität verbessert? „Man kann nicht per se sagen, vegane Alternativen seien gut oder schlecht“, meint Birgit Beck dazu. „Man muss sich in jedem Fall die Zutatenliste anschauen.“Es gebe Produkte auf Mandeloder auf Cashewbasis, die okay seien, hält die Ernährungswissenschafterin fest. Kritisch sieht sie Imitate aus Kokos- oder Palmfett: „Die sind aus ernährungsphysiologischer Sicht bedenklich.“Ein guter veganer Käse sei von den Fettsäuren her gesehen teilweise besser als das Original, meint sie. Kalzium, das im echten Käse reichlich vorhanden ist, müsse man sich aber anderweitig holen, das Gleiche gilt für Eiweiß.
Da wäre noch die Preisfrage
Tatsächlich scheint man im Bereich der veganen Lebensmitteltechnologie Fortschritte gemacht zu haben: Das Imitat rückt immer näher ans Original heran. HardcoreVeganer stehen dabei gar nicht im Zentrum des Marketings. Es geht vielmehr darum, es Flexitariern leichter zu machen, zu einer pflanzlichen Alternative zu greifen, ohne dass sie Abstriche beim Geschmack machen müssen. Und wenn’s der Geschmack nicht richtet, dann sind es jene Argumente, die bei keiner Diskussion über Lebensmittel und deren Produktion fehlen dürfen: Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Tierwohl. Einschlägige Studien gibt es zuhauf und werden von den Herstellern gerne aufgegriffen. Und wenn selbst der ökologische Aspekt nicht verfängt, dann wird der ethische angeführt, um möglichst viele Verbraucher zu erreichen.
Bleibt die Preisfrage. Ein Camembert von Schärdinger kostet z. B. bei Interspar 18,90 Euro pro Kilogramm, sein analoges Pendant von Veganz – immerhin in Bioqualität – 34,32 Euro pro Kilogramm. Vergleicht man den Preis von geriebenem Pizzakäse (Schärdinger) und dessen Imitat (Veganz), nivelliert sich das Preisniveau aber fast: 13,45 Euro gegenüber 14,95 Euro pro Kilo. Veganz hält dazu auf Anfrage fest: Die unterschiedlichen Qualitäten und Preise bei veganen Alternativen böten den Verbrauchern, wie im konventionellen Käsesegment auch, je nach Anspruch und Budget das richtige Produkt. Zudem setze die Entwicklung hochqualitativer pflanzlicher Käsealternativen ebenso viel Know-how voraus wie die konventionelle Herstellung.
Der Erfolg scheint Veganz recht zu geben. Anfang Oktober eröffnete das Unternehmen eine „Käse-Manufaktur“im steirischen Spielberg, wo ein Käseimitat aus Cashews hergestellt wird. Der Grund: Die Nachfrage nach dem Cashewbert ist so stark, dass die Kapazitäten in der erst 2020 eröffneten Produktion in Berlin nicht mehr ausreichen.