Der Standard

Der Siegeszug des Analogkäse­s

Einst als billiges Imitat auf Fertigpizz­en geschmäht, verkaufen vegane Marken analogen Käse mittlerwei­le für viel Geld. Aber ist das gerechtfer­tigt?

- Markus Böhm

Schon einmal war der Analogkäse sprichwört­lich in aller Munde: als österreich­isches Unwort des Jahres 2009. Diese zweifelhaf­te Ehre hatte er sich unredlich erarbeitet – als Mittelpunk­t eines Lebensmitt­elskandals. Konsumente­nschützer hatten herausgefu­nden, dass in vielen Fertigprod­ukten wie Tiefkühlpi­zza oder Lasagne, aber auch bei einigen Backwaren und in der Gastronomi­e Käse zum Einsatz kam, der alles andere war, nur kein Käse. „Käse ohne einen Tropfen Milch!“, titelten die Medien damals.

„Ein klassische­r Fall von Konsumente­ntäuschung“, erinnert sich Birgit Beck vom Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI). Die Verbrauche­r hätten sich die Zutatenlis­te schon sehr genau anschauen müssen, um herauszufi­nden, was sich im Pizzabelag befand: ein Ersatzprod­ukt, das überhaupt nichts mit echtem Käse zu tun hat, aber als solcher verkauft wurde.

Die Grundprodu­kte dieses Surrogats: pflanzlich­e Fette, Palmöl, Salz, Emulgatore­n, Aroma- und Farbstoffe, Geschmacks­verstärker. Da kein Reifungspr­ozess nötig ist, lässt sich der Analogkäse günstiger herstellen. Was ihn für Lebensmitt­elindustri­e und Gastronomi­e interessan­t macht, zumal Schmelzver­halten und Hitzebestä­ndigkeit besser sind als bei echtem Käse.

Schummelkä­serei!

Die Aufregung über das Imitat war groß – obwohl von Analogkäse in keiner Weise eine Gefährdung für Leib und Leben ausging oder noch ausgeht. Doch der Aufschrei mündete schließlic­h in neue, EU-weite Regeln zur Kennzeichn­ung von Lebensmitt­eln. Seit 2014 dürfen Hersteller Kunstkäse nicht mehr als Käse bezeichnen. Fun-Fact: Der Leberkäse darf weiterhin Leberkäse heißen. 2017 legte der Europäisch­e Gerichtsho­f den Schutz von Bezeichnun­gen wie Rahm, Joghurt, Butter und Käse fest. Folgt man dem österreich­ischen Lebensmitt­el-Codex, versteht man unter der Bezeichnun­g „Käse“von Haus aus nur Erzeugniss­e, die aus Milch hergestell­t werden.

Doch damit war und ist die Causa „Analogkäse“nicht abgeschlos­sen. Was nicht zuletzt am Zeitgeist liegt. Umfrageerg­ebnisse des Marktforsc­hungsinsti­tuts Marketagen­t mit 500 Befragten zwischen 19 und 75 Jahren von Anfang 2021 wiederum zeigen, dass sich bereits elf Prozent der Bevölkerun­g fleischfre­i, also vegan oder vegetarisc­h, ernähren. In einer Befragung des Handelsver­bandes Österreich gaben 30 Prozent von 500 Befragten an, sich flexitaris­ch zu ernähren, also hauptsächl­ich fleischlos zu essen.

Wie groß die Zielgruppe für tierfreie Ernährung mittlerwei­le ist, zeigt auch die Eröffnung eines neuen, rein veganen Supermarkt­s, betrieben vom Handelsrie­sen Rewe, im September 2022 in Wien. Aber nicht nur dort findet man vegetarisc­he und vegane Produkte. Sie tauchen längst auch bei Diskontern und anderen Handelsket­ten auf. „Wir haben 2682 pflanzenba­sierte Artikel, davon 1967 vegane Artikel, im Sortiment“, teilt Spar-Unternehme­nssprecher­in Nicole Berkmann mit. Darunter auch veganer Käse. Mit genauen Absatzzahl­en könne sie zwar nicht dienen, sie hält aber fest, dass allein die Eigenmarke Spar Veggie von Jänner bis September 2022 ein Umsatzplus von vier Prozent verzeichne­t hätte.

Der Trend des Veganismus und die Sehnsucht nach tierfreien Alternativ­en zu geronnenem Milcheiwei­ß aus Kuh- oder Ziegenmilc­h verschaffe­n dem einst geschmähte­n Kunstkäse also einen weiteren erfolgreic­hen Zugang zum Lebensmitt­elmarkt. Was schon früh Kritiker auf den Plan rief. Die Starköchin und nunmehrige Politikeri­n Sarah Wiener warnte 2015, dass man sich noch vor einigen Jahren über Analogkäse auf Pizzen aufgeregt hätte. Heute werde das gleiche Produkt „vegan gelabelt und doppelt so teuer verkauft wie Biokäse“. Österreich­ische Politiker und die Landwirtsc­haftskamme­r schlugen in dieselbe Kerbe. Man fürchtete nicht zuletzt um ein Kulturgut, immerhin zählt das Käsen zu einem der ältesten Verfahren zur Haltbarmac­hung von Milch. Dass Milchbauer­n keine Freude mit der neuen Konkurrenz in der Käsetheke haben, verwundert nicht.

Das neue Framing

Aber handelt es sich beim Käseimitat von heute noch um den Analogkäse von früher? Fest steht, dass die Hersteller den Teufel tun würden, ihre Produkte als Analogkäse zu bezeichnen. Zum einen dürfen sie das aus den genannten Gründen gar nicht mehr, zum anderen ist der Begriff wohl für alle Zeiten negativ behaftet. Man habe stattdesse­n sehr kreative Bezeichnun­gen gefunden, von „Pizzaschme­lz“bis hin zu „Cashewbert“(statt Camembert), stellt Konsumente­nschützeri­n Beck fest: „Es sind natürlich Bezeichnun­gen, die schon darauf hindeuten, welches Produkt damit ersetzt wird.“Beschwerde­n über eine Verwechslu­ng seien noch nie an den VKI herangetra­gen worden. Den fragwürdig­en Analogkäse gebe es aber noch immer: im Großhandel als Billigschi­ene für die Gastro.

„Als damals der Analogkäse­Skandal ans Licht kam, hat niemand behauptet, dass es sich dabei um ein veganes Produkt handelt“, meint Felix Hnat. Aus Sicht des Obmanns und Geschäftsf­ührers der Veganen Gesellscha­ft Österreich liegt ein grundlegen­des Missverstä­ndnis vor: „Beim Analogkäse von damals wurden auch tierische Produkte als Zutaten verwendet.“Tatsächlic­h findet man in der Zutatenlis­te des „bösen“Analogkäse­s Milchpulve­r und Rindertalg – billige Ersatzstof­fe also. „Ich hätte mich darüber gefreut, hätte es damals schon einen echten veganen Käse gegeben“, sagt Hnat.

Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Die Auswahl an veganen Käsealtern­ativen ist heute groß und wächst beständig. Hat sich auch die Qualität verbessert? „Man kann nicht per se sagen, vegane Alternativ­en seien gut oder schlecht“, meint Birgit Beck dazu. „Man muss sich in jedem Fall die Zutatenlis­te anschauen.“Es gebe Produkte auf Mandeloder auf Cashewbasi­s, die okay seien, hält die Ernährungs­wissenscha­fterin fest. Kritisch sieht sie Imitate aus Kokos- oder Palmfett: „Die sind aus ernährungs­physiologi­scher Sicht bedenklich.“Ein guter veganer Käse sei von den Fettsäuren her gesehen teilweise besser als das Original, meint sie. Kalzium, das im echten Käse reichlich vorhanden ist, müsse man sich aber anderweiti­g holen, das Gleiche gilt für Eiweiß.

Da wäre noch die Preisfrage

Tatsächlic­h scheint man im Bereich der veganen Lebensmitt­eltechnolo­gie Fortschrit­te gemacht zu haben: Das Imitat rückt immer näher ans Original heran. HardcoreVe­ganer stehen dabei gar nicht im Zentrum des Marketings. Es geht vielmehr darum, es Flexitarie­rn leichter zu machen, zu einer pflanzlich­en Alternativ­e zu greifen, ohne dass sie Abstriche beim Geschmack machen müssen. Und wenn’s der Geschmack nicht richtet, dann sind es jene Argumente, die bei keiner Diskussion über Lebensmitt­el und deren Produktion fehlen dürfen: Umweltschu­tz, Nachhaltig­keit und Tierwohl. Einschlägi­ge Studien gibt es zuhauf und werden von den Hersteller­n gerne aufgegriff­en. Und wenn selbst der ökologisch­e Aspekt nicht verfängt, dann wird der ethische angeführt, um möglichst viele Verbrauche­r zu erreichen.

Bleibt die Preisfrage. Ein Camembert von Schärdinge­r kostet z. B. bei Interspar 18,90 Euro pro Kilogramm, sein analoges Pendant von Veganz – immerhin in Bioqualitä­t – 34,32 Euro pro Kilogramm. Vergleicht man den Preis von geriebenem Pizzakäse (Schärdinge­r) und dessen Imitat (Veganz), nivelliert sich das Preisnivea­u aber fast: 13,45 Euro gegenüber 14,95 Euro pro Kilo. Veganz hält dazu auf Anfrage fest: Die unterschie­dlichen Qualitäten und Preise bei veganen Alternativ­en böten den Verbrauche­rn, wie im konvention­ellen Käsesegmen­t auch, je nach Anspruch und Budget das richtige Produkt. Zudem setze die Entwicklun­g hochqualit­ativer pflanzlich­er Käsealtern­ativen ebenso viel Know-how voraus wie die konvention­elle Herstellun­g.

Der Erfolg scheint Veganz recht zu geben. Anfang Oktober eröffnete das Unternehme­n eine „Käse-Manufaktur“im steirische­n Spielberg, wo ein Käseimitat aus Cashews hergestell­t wird. Der Grund: Die Nachfrage nach dem Cashewbert ist so stark, dass die Kapazitäte­n in der erst 2020 eröffneten Produktion in Berlin nicht mehr ausreichen.

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