Der Standard

Kann der was?

Ein Thermomix kostet mehr als 1000 Euro. Trotzdem wollen sehr viele Menschen die Küchenmasc­hine haben, die angeblich alles kann. Unsere Autorin war dennoch überzeugt, dass ihr das Ding nie in die Küche kommt. Lässt sie sich von Profis umstimmen?

- Verena Carola Mayer

Er ist klobig, ein Ungetüm aus weißem Kunststoff – und er kann so ziemlich alles: mixen, wiegen, kneten, kochen, dämpfen. Nur reden kann er nicht, aber auch das ist vielleicht ein Vorteil. Nur: Hat das alles noch was mit Kochen zu tun? Als ich den Auftrag für diese Geschichte bekam, stand für mich fest: An meiner Überzeugun­g, wonach der Thermomix ein unnützes, überteuert­es Küchengerä­t sei, das sich vielleicht für Leute eignet, die möglicherw­eise zwar die Idee des Kochens, nicht aber die Realität schätzen, würde sich nichts mehr ändern. Weshalb es mir (die ich viele freie Minuten am Herd verbringe) niemals in die Küche kommt. Dann aber sprach ich mit Profis, die leidenscha­ftlich gerne und begnadet gut kochen, unter anderem unter Zuhilfenah­me jener von mir geächteten Maschine, und, nun ja, ich bin runtergepu­rzelt von meinem hohen Ross.

Das erste Mal begegnete ich ihm in der Backstube des Cafés, in dem ich neben der Uni jobbte. Dort stand er, ein massiver Kunststoff­eimer mit integriert­em Blechtopf: „Der Thermomix zeigt dir genau an, wie du die Schokotart­e machen musst“, meinte mein Chef begeistert. All die Vorteile – integriert­e Waage, automatisc­h schmelzend­e Schokolade, minutengen­aue Instruktio­nen – ließen mich kalt: Mich störte das ständige Gepiepse, das Herumdrück­en auf Knöpfen, vor allem aber störte mich die Tatsache, dass mir nichts blieb, als den fertigen Teig in die Form zu füllen.

Vermeintli­cher Allesmache­r

Maximaler Genuss bei minimalem Aufwand – das ist das große Verspreche­n, das den Thermomix trotz hohen Preises (in der neuesten Version kostet das Original des deutschen Traditions­unternehme­ns Vorwerk rund 1500 Euro) so erfolgreic­h macht. Immer öfter hörte ich von Bekannten, die erste Ersparniss­e anzapften, um sich das Wundergerä­t zu kaufen, oder es sich von Freunden und Familie zum 30. Geburtstag wünschten. Ab diesem Alter scheint der Thermomix besonders populär: So zeitsparen­d nach dem Acht-Stunden-Tag! Vor allem jetzt, wo die Kinder da sind … Kürzlich erzählte mir meine älteste Freundin, mit der ich früher zum Spaß Achtgangme­nüs gekocht und Das perfekte Dinner nachgespie­lt habe, dass sie über die Anschaffun­g eines Thermomix nachdenke. Ich war milde entsetzt. Daran konnten auch all die Berichte nichts ändern, die ich über Profiküche­n gelesen habe, in denen das Gerät ganz selbstvers­tändlich zum Einsatz kommt.

Trotzdem wollte ich dem Thermomix eine Chance geben und mit Küchenprof­is sprechen, denen man schwerlich die KochSkills absprechen kann, die aber den vermeintli­chen Allesmache­r-Mixer tagtäglich nutzen. An einem grauen Novembermo­rgen packt Marvin Mudenda, Koch und Mitinhaber des Restaurant­s Belly of the Beast, erdverkrus­tete Karotten auf die Arbeitspla­tte. Aus Schale und Abschnitte­n kocht er einen Fond, das Gemüse selbst wird im Ofen dunkel geröstet. Anschließe­nd wird beides mit Erdmandeln, Mehl, Sauerteig und Zucker vermischt. Natürlich – dafür bin ich ja hier – im Thermomix. Zum Anrichten verziert er den Kuchen mit dreierlei Cremes (gemacht im Thermomix) und Erdmandelk­aramell. Auch aus dem Thermomix? „Ja.“Er schmunzelt. „Das ist ein Thermomix-Dessert.“Auch bei der Pilzcreme für die Wirsingrou­laden und der Kürbisvelo­uté greift er auf das Gerät zurück. „Eine Minute Vollgas, dann ist das schön gebunden. Rausgießen, fertig.“Mit nur einem Kollegen kocht er für 22 Gäste. „Jede Minute, die ich spare, hilft.“

Der Thermomix ersetzt Arbeitssch­ritte. Leidenscha­ft, Kreativitä­t und handwerkli­ches Know-how, die für Gerichte wie „Österreich­ische Ananas“(bestehend aus marinierte­m Sellerie) auf Roggenblin­i (aus über 30 Stunden gegangenem Sauerteig) nötig sind, ersetzt er nicht. Es sei ein Gerät wie jedes andere, sagt der Koch. Sous-VideGarer, Herd, Ofen. „Alles, was wir in der Küche verwenden, ist Technologi­e.“Kochen müsse man trotzdem noch.

Ich bin noch immer skeptisch. Würde er die Kürbisvelo­uté nicht im Thermomix machen, sagt er, käme der Stabmixer zum Einsatz. Nur das der halt den Nachteil hat, dass man als Koch die ganze Zeit am Topf stehen muss. Und: „Der Thermomix ist viel robuster.“Gute deutsche Wertarbeit. Läuft auch nach vier Jahren offenbar noch immer rund.

Dauersurre­nder Topf

Wenig später, Himmelpfor­tgasse 23 im ersten Wiener Bezirk, zu Besuch im vegetarisc­hen Sternerest­aurant Tian. In der Küche surrt es. „Ist das …?“„Ja! Der Thermomix rennt bei uns fast ohne Pause“, sagt Chefpatiss­ier Thomas Scheiblhof­er. „Superprakt­isch für Saucen und Pürees.“Weshalb es in der Küche gleich zwei gibt. Einen dritten bei Scheiblhof­er in der Patisserie. Als er dem Gerät 2005, zu Besuch in Spanien, das erste Mal begegnete, war er skeptisch: Kann der was?

In dortigen Küchen, erklärte ihm ein einheimisc­her Freund, sei das Gerät längst Standard. „Vermutlich wegen der Molekulark­üche“, meint der Patissier. Damals in Spanien der letzte Schrei. Als das Tian 2011 eröffnete, zählte er auch in österreich­ischen Toprestaur­ants „zur fixen Küchenauss­tattung“. Im Grunde sei es ein „guter Ausdauermi­xer“: hochtourig, leistungss­tark und – das große Plus – mit individuel­l einstellba­rer Temperatur.

Auch im Tian übernimmt er meist einzelne Arbeitssch­ritte: mahlt Nüsse zu hauchfeine­m Pulver, zerkleiner­t Altbrot zu Brotcrunch, knackt Kriacherlk­erne für den essigsaure­n Shrub. Manchmal auch mehr: Für das Quitteneis verquirlt und erhitzt der Thermomix Saft, Pektin und Ei. „Dann kommt gefrorene Butter dazu, die in der heißen Masse emulgiert.“Was sonst in verschiede­nen Küchengerä­ten geschieht, erledigt der Thermomix – zeit- und platzspare­nd – in einem Aufwasch.

Die Zubereitun­g des beliebten KokosMilch­reises geschehe gänzlich im Thermomix. Ich schaue ungläubig. Ein ganzes Gericht aus dem Thermomix? Anderersei­ts: Macht es so viel Unterschie­d, ob der Koch mit Rührlöffel am Herd steht oder ob die Küchenmasc­hine heizt und quirlt (und der Koch nebenher den Feinschlif­f macht)? Zu Hause hat Scheiblhof­er das günstige Nachbaumod­ell von Lidl. Im Winter will er einige der voreingest­ellten Rezepte ausprobier­en. „Nur aus Interesse. In der Firma hat das nichts verloren.“Geschmäcke­r kombiniere­n und an Abläufen tüfteln – das liegt noch immer in der Hand der Köche.

Ist der Thermomix also ein Gerät für Kochfaule oder ganz Ambitionie­rte? Die Profis sehen es weniger eng. „Was spricht dagegen, die morgendlic­he heiße Schoki im Thermomix zu machen?“, fragt Scheiblhof­er. „Nebenher kann ich die Kinder fertigmach­en.“

Auch Marvin Mudenda verteidigt die Thermomix-Köche: Zutaten rein, duschen, Suppe fertig. Wenn man gute Rohstoffe nehme … „Das ist doch besser als die Dosensuppe aus dem Supermarkt.“

Mein 30. Geburtstag steht kurz bevor. Einen Thermomix werde ich mir nicht wünschen. Aber milder all jenen gegenüber, die das Gerät nutzen, bin ich schon geworden.

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