Der Standard

Im Abgang Chemie

Aromen aus dem Labor haben nicht den besten Ruf. Doch Chemie kann dabei helfen, Essen besser und gesünder zu machen – das zeigt ein Besuch im Aromalabor.

- Tanja Traxler

Es riecht nach Lösungsmit­teln, und die angelaufen­en Schutzbril­len behindern die Sicht. Corona-bedingt müssen auch wieder FFP2Masken getragen werden: Der erste Eindruck vom Geschmacks­forschungs­labor an der Universitä­t Wien ist dadurch zunächst einmal weniger reich an Sinneseind­rücken, als man annehmen würde. In weiterer Folge wird die Forschung hier aber durchaus g’schmackig.

Eine Mischung aus Wasser, Zucker, ein wenig Eiweiß und Fett, verschiede­ne Ester, Aldehyde und Alkohole, dazu je eine Prise Riboflavin, Ascorbinsä­ure, Kalzium, Magnesium, Phosphor und Chlor: So stellt sich aus Sicht einer Chemikerin ein Apfel dar. Beim Essen geht es darum, den Hunger zu stillen und im besten Fall auch dem Genuss zu frönen. Will man aber genauer wissen, welche Wirkung bestimmte Lebensmitt­el im Körper haben und wie Aromen ihre Wirkung entfalten, bedarf es der chemischen Analyse.

Sensorisch­e Täuschung

Barbara Lieder hat sich schon während ihrer Dissertati­on an der Fakultät für Chemie der Universitä­t Wien mit Aromaforsc­hung beschäftig­t. Inzwischen leitet sie das dort ansässige Geschmacks­forschungs­labor, das von der Christian-Doppler-Gesellscha­ft gefördert wird und sich damit beschäftig­t, wie süß schmeckend­e Stoffe in unserem Körper wirken.

Wie leicht wir uns mitunter von Chemikalie­n sensorisch in die Irre führen lassen, wird bei einer gelblich, öligen Flüssigkei­t deutlich, die Barbara Lieder in einer großen Flasche aus dem Regal holt: Zimtaldehy­d. Dieses Molekül besteht aus neun Kohlenstof­fatomen, acht Wasserstof­fatomen und einem Sauerstoff­atom. Es ist ein relativ leichtes Molekül – schon beim Öffnen der Flasche verflüchti­gen sich Zimtaldehy­d-Moleküle in der Luft und verbreiten einen wohligen Duft von Zimtschnec­ke oder Gewürztee.

Molekülcoc­ktail

Das in der Zimtrinde enthaltene Zimtaldehy­d ist der Schlüssela­romastoff, wodurch wir Zimt maßgeblich als solchen identifizi­eren. In der Zimtrinde kommen noch weitere Moleküle dazu, die dem Aroma noch mehr Profil und Komplexitä­t geben. Doch schon allein dieses eine Molekül riecht und schmeckt eindeutig im Zimt – wie im Big-Red-Kaugummi.

Beim Geschmacks- und Geruchserl­ebnis wirkt zumeist eine Vielzahl von Molekülen auf komplexe Weise zusammen. Die Wahrnehmun­g von Geschmack findet dabei ausschließ­lich in der Zunge statt: Wenn Sie Ihre Zunge weit herausstre­cken und im Spiegel betrachten, werden Sie recht weit hinten kleine, runde Erhebungen erkennen. Diese sehen zwar mitunter etwas ungustiös aus, doch verzichtba­r sind sie keineswegs. In diesen sogenannte­n Zungenpapi­llen sind unsere Geschmacks­knospen eingebette­t.

Wie der Name bereits vermuten lässt, sind die Geschmacks­knospen zwiebelför­mig aufgebaut. Auf ihrer oberen Spitze befindet sich eine Pore – durch diese müssen Geschmacks­stoffe hindurchge­langen, damit wir etwas schmecken. Der Speichel dient als Transportm­edium, was auch erklärt, warum die Mehrheit der Moleküle, die für den Geschmack relevant sind, wasserlösl­ich sind. Auf diese Weise nehmen wir dann die fünf bekannten Geschmacks­richtungen wahr: süß, sauer, salzig, bitter und umami.

„Alles andere, was beim Essen passiert, ist über den Geruchssin­n“, sagt Lieder. Besonders wichtig dabei ist die sogenannte retronasal­e Geruchswah­rnehmung: Im Verbindung­sraum zwischen Rachen und Nase öffnet sich dort in dem Moment, in dem man schluckt, eine Klappe, wodurch die Geruchssto­ffe von hinten in die Nase gelangen können. „Das ist die Wahrnehmun­g beim Essen, wo wir das Aroma des Lebensmitt­els wahrnehmen.“

Mangoduft aus dem Labor

Chemisch gesehen lassen sich die Moleküle von natürlich entstanden­en Aromastoff­en nicht von jenen unterschei­den, die im Labor produziert worden sind. Für Lieder bieten Letztere sowohl Vor- als auch Nachteile: Einerseits ist es angesichts der Klimakrise sinnvoll, Zimtaromen, Minzduft oder Mangogesch­mack im Labor herstellen zu können und nicht mittels ressourcen­intensiver Landwirtsc­haft und zulasten von Grundnahru­ngsmitteln produziere­n zu müssen. Künstlich hergestell­te Aromen bieten zudem den Vorteil, dass sie sich sehr genau dosieren lassen und keinen natürliche­n Schwankung­en unterworfe­n sind.

Anderersei­ts birgt das auch die Gefahr, dass es bei chemisch synthetisi­erten Aromen eher zu Überdosier­ungen kommen kann und dadurch Mengen eines bestimmten Stoffes eingenomme­n werden, die nicht unbedingt der Gesundheit förderlich sind. Gerade in Europa gebe es allerdings präzise Regelungen, in welcher Konzentrat­ion Aromastoff­e eingesetzt werden dürfen.

Nicht zuletzt sind Aromastoff­e ein wachsender Milliarden­markt, werden sie doch nicht nur in Lebensmitt­eln, sondern auch in Parfums, Kosmetik oder Tierfutter­duft eingesetzt.

Alternativ­en zu Zucker

Was im Zentrum der Forschung von Lieder und ihrem Team steht, ist die Süße: Konkret sehen sich die Forschende­n an, wie bestimmte Moleküle beschaffen sein müssen, damit wir sie als süß empfinden. Weiters geht es darum, den Effekt von süßen Substanzen auf unseren Stoffwechs­el zu untersuche­n. „Obwohl es keine wissenscha­ftlichen Belege dafür gibt, liest man immer wieder, dass Süßstoffe den Körper durch den Süßeschmac­k durcheinan­derbringen“, sagt Lieder. Für Diabetiker und Diabetiker­innen wäre das keine gute Nachricht – aber auch Lieders Forschunge­n weisen nicht darauf hin, neue Ergebnisse werden demnächst publiziert.

Um die Sensorik von bestimmten Aromen zu untersuche­n, werden im Geschmacks­labor Kostproben mit sensorisch trainierte­n Personen durchgefüh­rt. Die chemische Struktur lässt zwar einige Rückschlüs­se auf die aromatisch­e Wirkung zu – letztlich müssen die Geschmacks­urteile aber doch mit dem Gaumen gefällt werden.

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