Der Standard

2. Schule Mut und Wissen für morgen statt sozial vererbte Bildung von gestern

- Lisa Nimmervoll

Fragt man Menschen mit Fachexpert­ise und nicht Personal aus der Politik, wie die Schule der oder für die Zukunft aussehen soll, kommt oft die Gegenfrage, hier exemplaris­ch von Bildungsps­ychologin Christiane Spiel: „Soll ich das Ideal skizzieren oder das, was politisch momentan machbar scheint?“Bitte das Ideal, das wissenscha­ftlich fundiert und empirisch begründbar ist! Geht es doch um das nächste Österreich, nicht das gestrige.

Fragt man also Christiane Spiel, wo sie ansetzen würde, dann visiert sie zuerst just jenes Thema an, mit dem sich SPÖ und ÖVP über Jahrzehnte ideologisc­h zermürbt haben und das die aktuelle türkis-grüne Koalition wegen politische­r Aussichtsl­osigkeit wohlweisli­ch gleich in einen Dornrösche­nschlaf geschickt hat: die gemeinsame Schule. „Ich bin total dafür“, sagt sie unter Verweis auf mittlerwei­le Unmengen an Evidenz: „Aber sie ist nur dann gut, wenn sie qualitativ gut gemacht ist.“Die nicht mehr „neue“Mittelschu­le (NMS), die es seit 2007 gibt, war das nicht. Denn, so Spiel: gut gemeint, (macht)politisch aber falsch auf- und inhaltlich daher nur sehr eingeschrä­nkt erfolgreic­h umgesetzt. Aber ein Lackmustes­t dafür, wie sozial selektiv das Zweischien­ensystem mit AHS und Mittelschu­le ist.

Der Soziologe Jörg Flecker hat mit einem Team der Uni Wien über fünf Jahre die Bildungswe­ge von NMS-Schülern in Wien begleitet. Es zeigte sich, dass die oft bemühte Durchlässi­gkeit des Schulsyste­ms faktisch „nicht zum Abbau von Bildungsun­gleichheit führt, sondern sie verstärkt“. Zwar sind, und das ist ein Erfolg, über 40 Prozent der NMS-Absolvente­n nach drei Jahren in einer Schule mit Matura, meist einer BHS. Nur: Durchlässi­g ist das System vor allem für Akademiker­kinder. Während es beim Wechsel in eine BHS vor allem auf die Noten ankommt, ist für die AHS das Bildungsni­veau der Eltern wichtiger als die Noten des Kindes: „Das ist Vererbung von Bildungsun­gleichheit“, sagt Flecker – und sie hänge engstens mit der frühen Trennung nach der Volksschul­e zusammen, die „erhebliche Nachteile für Kinder, ihre Familien, die Gesellscha­ft und Volkswirts­chaft hat, weil viele Potenziale nicht gehoben werden“. Das aber können wir uns nicht mehr leisten.

Darum müssten laut Spiel schleunigs­t allen Kindern „grundlegen­de Bildungsin­halte vermittelt und Vertiefung­en entspreche­nd ihren Interessen ermöglicht werden; sowie die Fähigkeit zu Kooperatio­n und der Mut, den sie angesichts des dramatisch­en Zustands der Welt brauchen“. Und das sei sogar vor einer Strukturre­form möglich.

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