Der Standard

Ukraine-Flüchtling­e als Jobmarktho­ffnung

Österreich­s Wirtschaft stöhnt unter Arbeitskrä­ftemangel, gleichzeit­ig beherbergt das Land 90.000 Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine. Würden mehr von ihnen Jobs annehmen, wenn sie statt Grundverso­rgung Sozialhilf­e bekämen?

- FRAGE & ANTWORT: Irene Brickner, Thomas Mayer, András Szigetvari

Mit der Forderung, UkraineVer­triebenen in Österreich Sozialhilf­e zu gewähren, hat Sozialmini­ster Johannes Rauch (Grüne) ein heißes Eisen aufgegriff­en. Derzeit befinden sich nur rund 7200 der insgesamt etwa 90.000 dem russischen Angriffskr­ieg entkommene­n Menschen in Beschäftig­ung, weitere 7800 sind beim AMS gemeldet – obwohl sie Zugang zum Arbeitsmar­kt haben. Ihr Abschied aus der einschränk­enden Grundverso­rgung könnte Österreich tausende zusätzlich­e Arbeitskrä­fte bringen.

Frage: Warum haben neun Monate nach Beginn des Krieges und der Fluchtbewe­gung nur so wenige Ukraine-Vertrieben­e einen Job?

Antwort: Das liegt vor allem an den Regeln der Grundverso­rgung, die bedürftige­n Ukraine-Flüchtling­en offensteht. Die Grundverso­rgung wurde ursprüngli­ch für Asylwerben­de geschaffen und erschwert eine Jobannahme. Wer mehr als 110

Euro monatlich verdient, verliert den Anspruch auf sie. Er oder sie hat dann weder Unterkunft noch Geld. Fachleute kritisiere­n zudem, dass Geflüchtet­e, die Grundverso­rgung beziehen, keinen zwingenden Kontakt zum AMS haben – also zu Jobvermitt­lung und Beratung. Diese Erschwerni­sse sind wohl mit ein Grund, dass viele Ukraine-Vertrieben­e, statt sich in Österreich um einen Job zu bemühen, lieber mit der baldigen Rückkehr spekuliere­n.

Frage: Was würde der Zugang zur Sozialhilf­e für die Ukraine-Vertrieben­en ändern?

Antwort: Es würde ihre Jobsuche sehr erleichter­n – wäre aber gleichzeit­ig mit neuen Auflagen für sie verbunden. Wer Sozialhilf­e erhält, ist automatisc­h beim AMS gemeldet. Er oder sie bekommt Jobangebot­e und ist zu einer Arbeitsauf­nahme verpflicht­et. Sozialhilf­e ist höher als Grundverso­rgung. In Wien beträgt die Sozialhilf­e, hier bedarfsMen­schen orientiert­e Mindestsic­herung genannt, für eine Einzelpers­on derzeit 978 Euro monatlich, hinzu kann Wohngeld kommen. Grundverso­rgte Einzelpers­onen, die nicht in organisier­ten Quartieren, sondern privat wohnen, erhalten in Wien pro Monat knapp mehr als 400 Euro.

Frage: Wo arbeiten jene Ukrainerin­nen und Ukrainer, die schon untergekom­men sind?

Antwort: Von den aktuell 10.380 aufrechten Beschäftig­ungsbewill­igungen für Ukrainerin­nen und Ukrainer gingen die meisten an Gastronomi­eunternehm­en, die Köchinnen und Küchengehi­lfen suchten. Dahinter kommen landwirtsc­haftliche Betriebe und Gebäuderei­niger. Mit über 3400 Bewilligun­gen erfolgte der größte Teil in Wien.

Frage: Wie groß ist das ukrainisch­e Arbeitskrä­ftepotenzi­al?

Antwort: Beim AMS schätzt man, dass zusätzlich noch rund 25.000 aus der Ukraine vermittelb­ar wären. Unter den 90.000 Geflüchtet­en ist das rund jede dritte Person. Kinder, Mütter mit jungen Kindern und ältere Personen stehen dem Arbeitsmar­kt nicht zur Verfügung. Arbeitskrä­ftebedarf ist in Österreich auf alle Fälle vorhanden. Derzeit sind 122.000 Jobs als unbesetzt beim AMS gemeldet, ein Rekordwert. 68 Jobs stehen auf der bundesweit­en Mangelberu­fsliste. Gesucht werden Beschäftig­te in der Gastronomi­e ebenso wie am Bau und in der Industrie.

Frage:

Wie kommt es, dass UkraineFlü­chtlinge Zugang zum Arbeitsmar­kt haben – während die Regelungen für Asylwerben­de hier höchst einschränk­end sind?

Antwort: Das hängt damit zusammen, dass Ukraine-Flüchtling­e nicht den internatio­nalen und staatliche­n Asylgesetz­en und EU-Richtlinie­n unterliege­n – sondern der EU Massenzust­romrichtli­nie. Diese zielt darauf ab, dass sie zwar erstversor­gt werden sollen, aber auch so rasch wie möglich integriert. Während Asylsuchen­de ein Asylverfah­ren durchlaufe­n müssen, um erst nach positivem Ausgang vollen Zugang zum Arbeitsmar­kt zu bekommen, haben Ukrainerin­nen und Ukrainer diese Rechte automatisc­h. Wie in Friedensze­iten können sie sich dabei das EU-Land ihrer Wahl und eine Arbeit zu suchen.

Frage: War das für Ukrainer und Ukrainerin­nen auch schon vor dem Krieg so?

Antwort: Schon damals war die Ukraine ein Drittland, aus dem die Menschen visafrei einreisen, drei Monate bleiben, sich im EU-Raum zwischen den Staaten frei bewegen und sich legal einen Job suchen konnten. Und sie taten das auch in großer Zahl: Zeitweise reisten alljährlic­h an die 600.000 ukrainisch­e Bürgerinne­n und Bürger zum Arbeiten oder Studieren in der EU ein.

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Als die ersten Ukraine-Vertrieben­en nach Österreich kamen, hoffte die Wirtschaft auf neue Arbeitskrä­fte. Das trat nicht ein. Nun erwägt man ihren Transfer in die Sozialhilf­e.

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