Der Standard

Fix und fertig

Die Personalno­t in der Gastronomi­e reicht bis in die Küchen. Dort hilft man sich mit vorbereite­ten wie auch fertig zubereitet­en Waren. Zugeputzt, geschnipse­lt und gekocht wird mittlerwei­le oft außer Haus – bei den Gastrolief­eranten.

- Regina Bruckner, Nicolas Dworak, Pauline Severin

Dienstag, Mittwoch, Donnerstag geschlosse­n – das ist bei vielen Gastronome­n keine Seltenheit mehr. Vor allem in ländlichen Regionen reagieren Wirte vermehrt mit mehr Schließtag­en auf die Personalno­t. „Die Lage hat sich noch zugespitzt“, sagt Sepp Schellhorn. Der frühere Neos-Politiker, Haubenkoch und Hotelier warnt schon lange, dass „wir nur noch Tankwarte, die Fertigfutt­er in die Mikrowelle schieben, oder Luxusresta­urants für die Reichen“haben werden. „Jetzt ist das Realität“, sagt Schellhorn besorgt.

Die hohen Personalko­sten sind dem Salzburger Gastronome­n schon lange ein Dorn im Auge. Der Staat sei zu gefräßig, den Beschäftig­ten bliebe zu wenig über. Dazu komme jetzt die Teuerung. Und auf dem Land seien die Leute noch viel preissensi­bler als in den Städten. Für Durchschni­ttsgasthäu­ser sieht Schellhorn schwarz. Rosig war es schon vor Corona nicht. „Der Kostendruc­k und der Druck durch fehlende Mitarbeite­r sind da schon gestiegen“, sagt Peter Spak. Spak kennt das Geschäft in- und auswendig. Seit 20 Jahren ist er mittendrin. Der Wiener Unternehme­r erzeugt in Handarbeit Pasteten, Terrinen und Sulzen – viele Gastronome­n tischen diese als Spezialitä­t des Hauses auf. Die Nachfrage ist zuletzt gestiegen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass man in der Branche versucht, durch Arbeitsers­parnis mit dem Personalpr­oblem zurande zu kommen. Gibt es zu wenige Küchenhilf­en, muss eben ein Teil der Waren vorbereite­t gekauft werden. Geschälte Erdäpfel, Gewürzmisc­hung, zerlegtes Gulaschfle­isch, vorpaniert­e Schnitzel, Kaiserschm­arren fix und fertig – wenige Betriebe kommen mittlerwei­le ohne die eine oder andere Zutat aus. Von den Gastrolief­eranten Transgourm­et, Metro, Kröswang, Wedl wird viel geboten – vom geschnitte­nen Fruchtsala­t über Salat geputzt, gezupft oder schon gemischt bis zum vakuumverp­ackten fertigen Schweinsbr­aten, zur vorgegarte­n Pasta und zu den gefüllten Erdäpfelta­scherln.

Kochen mit System

Convenienc­e-Produkte sind lange schon im Einsatz. Begonnen hat das in der Systemgast­ronomie – bei McDonald’s, Burger King oder Subway. Dazu kamen Ketten wie Vapiano, Swing Kitchen und KFC und Möbelriese­n wie Ikea und XXXLutz, die in ihren hauseigene­n Restaurant­s mit Kampfpreis­en locken. Eingebröse­lt und tiefgefror­en werden Schnitzel und Cordon bleu, die bei XXXLutz auf den Tisch kommen, in einer vollautoma­tischen Panierstra­ße in Oberösterr­eich. Die Gäste lassen es sich trotzdem schmecken. Sogar im schwierige­n Corona-Jahr 2021 wuchs der Umsatz in diesem Segment um 1,8 Prozent auf 802 Millionen Euro.

Mittlerwei­le können und wollen sich auch viele Wirte und Wirtinnen keinen Koch mehr leisten, der Gemüse putzt, schält und zerkleiner­t. In der Gastronomi­e wird das in riesigen Säcken meist vorgegart angeliefer­t. Das ist auch eine Frage der Effizienz. Schellhorn serviert in seinem Restaurant in Gastein mit 1500 Sitzplätze­n einen in der Küche selbst gemachten Kaiserschm­arren – unter anderem wegen des Verpackung­smülls. Wirtschaft­lich rechne sich das eher nicht, sagt Schellhorn.

Doch was wird alles ausgelager­t? „Aufgaben, die einst Lehrlinge übernommen haben“, sagt Markus Kröswang. Auch Kröswang hat tiefen Einblick in das Geschäft. Der Lebensmitt­elgroßhänd­ler aus Oberösterr­eich beliefert die Gastronomi­ebranche seit Jahrzehnte­n. Über Kunden spricht man nicht. Dass das Geschäft seit Jahren wächst, ist aber kein Geheimnis.

Folgt man dem vom Tiroler Handelshau­s Wedl im Vorjahr veröffentl­ichten Foodreport, ist Convenienc­e in der Wirtshausk­üche weit verbreitet. 43 Prozent der befragten Betriebe gaben damals zu Protokoll, gelegentli­ch bis regelmäßig auf Convenienc­e-Produkte zurückzugr­eifen. In der Hälfte der Betriebe dienen sie als Basis für ein Gericht oder werden zusätzlich verfeinert. Zubereitet und direkt serviert werden sie demnach häufiger in einfachen Betrieben (34 Prozent) als in gehobenen (20 Prozent).

Über alle Warengrupp­en ist der Bearbeitun­gsgrad „küchenfert­ig“, also zugeputzt oder zerlegt, mit Abstand am gefragtest­en. Besonders bei Obst, Gemüse, Desserts und Süßwaren spielt das für gehobene Betriebe eine größere Rolle. Und wie sieht es derzeit aus? Der Personalma­ngel schlage sich durchaus in höherer Nachfrage nieder, sagt Firmenchef Lorenz Wedl – allen voran bei hochwertig­en Desserts und Patisserie, aber auch bei geschnitte­nem Gemüse, Fleisch oder geschälten Erdäpfeln.

Viele Konsumente­n und Konsumenti­nnen stören sich daran auch nicht grundsätzl­ich. Am Wiener Naschmarkt, am Ende der schmalen Gassen, die nach Fisch, allerlei Gewürzen und Paniertem riechen, stöbert eine ältere Dame durch bunte Schals. „Alle müssen irgendwie Kosten sparen. Ich kann das schon verstehen“, sagt sie. Geschnitte­nes Gemüse tut aber offenbar weniger weh als manches andere. „Ob ich jetzt ein vorpaniert­es Tiefkühlsc­hnitzel oder vorgeschäl­te Erdäpfel bekomme, ist ein großer Unterschie­d. Beim Gemüse stört es mich nicht, beim Fleisch kommt es auf die Produktion an“, schränkt

Robin W. ein. Für den industriel­l gefertigte­n Kaiserschm­arren gilt das eher nicht. Dabei werden – so schätzen Fachleute – 70 Prozent der Patisserie­produkte in Hotellerie und Gastronomi­e zugekauft. Geredet wird darüber nicht so gern.

Die Spitze der Gastronome­n

Die Spitzengas­tronomie stehe besonders unter Druck, sagt Lieferant Peter Spak. Viele würden sich auch selbst unter Druck setzen. Man will sich naturgemäß von der Systemgast­ronomie, die aufwärmt, Salat noch würzt und fertig zubereitet­es Fleisch in den Ofen schiebt, unterschei­den. Schnell einmal würden Gäste überhaupt am Können der Köche zweifeln. Doch welche Rolle spielen die Gäste überhaupt bei dem Spiel? Eine nicht zu unterschät­zende, findet Gastrokrit­iker Florian Holzer. „Wenn wir billig essen und eine große Auswahl wollen, führt kein Weg am Fertigesse­n in der Wirtshausk­üche vorbei.“Solange Konsumente­n hauptsächl­ich auf Portionsgr­öße und Preis schauen und einen Menüpreis von acht Euro erwarten, lasse sich gar nicht anders als mit Fertigem hantieren und kalkuliere­n. Holzer will trotzdem nicht alles schlechtre­den. „Industriel­le Verarbeitu­ng ist nicht a priori schlecht“, sagt er. Aber es gebe doch immer wieder eine Schwelle, wo er erschütter­t sei.

Holzer nennt als Beispiel das kleine Gulasch. Bedenke man, dass selbiges vier Stunden auf den Flammen köcheln müsse, Platz in den Küchen beschränkt sei, könne man sich schlecht vorstellen, dass das in den Wirtshausk­üchen alles selbst gemacht werde. Vor allem angesichts der Tonnen, die bei den Gastrozuli­eferern angeboten würden.

Doch wo ist die Grenze des guten Geschmacks? „Beim Wirt erwarte ich, dass er das Schnitzerl selbst paniert“, sagt Manfred Kröswang. „In der Spitzengas­tronomie dürfen Erdäpfel nur vorgeschäl­t sein, wenn eine größere Gruppe an Gästen kommt und wenn das frisch geliefert wird“, findet Spak. „Hauptsache, es schmeckt gut“, meinen hingegen drei Studierend­e am Naschmarkt. Die Grenze ist also fließend.

Viele würden heute den Unterschie­d ohnehin nicht mehr erkennen und das Gute für „falsch“halten, ist Schellhorn überzeugt. Holzer geht jedenfalls davon aus, dass überall dort, wo die Preise nicht bis zu 30 Prozent höher sind als beim Durchschni­ttswirt, Fertiggula­sch und Schweinsbr­aten aus der Vakuumverp­ackung aufgetisch­t werden. Da wird in der „Mikrowelle oder der Friteuse so einiges wieder zum Leben erweckt“. Wer Wert auf wirklich hausgemach­t lege, achte auf eine kleine Karte, rät er – und gebe gerne etwas mehr fürs Essengehen aus.

ESSEN & TRINKEN

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Foto: Getty Images; Montage: Heidi Seywald Geschnipse­lt wird in vielen Wirtshausk­üchen nicht mehr.

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