Der Standard

Gesungen und gewonnen

Der Iran siegt verdient durch zwei Tore in der Nachspielz­eit. Die Fußballer bewegen zur Hymne die Lippen. Wales muss wohl nach der Gruppenpha­se abreisen.

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Ja, sie sangen. Irans Nationalsp­ieler beendeten am Freitag ihren Boykott und stimmten die Hymne vor dem Spiel gegen Wales geschlosse­n an. Äußerst zurückhalt­end und mit wenig Pathos bewegten sie ihre Lippen, aber sie taten es. Auf den Tribünen herrschte, wie schon beim Schweigen vor der Pleite gegen England (2:6), Aufruhr. Erneut mischten sich Pfiffe mit Jubel. Ein Fan, im TV-Bild bestens zu sehen, weinte bitterlich. Und ein paar andere tränten auch.

Spannend wird sein, wie die Rückkehr zum Mitsingen aufgefasst wird. Den Spielern war vorgeworfe­n worden, sich nicht eindeutig genug vom Regime zu distanzier­en. Ein weiblicher Fan wagte es, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Women, Life, Freedom“zu zeigen. Eine andere Frau erinnerte mit einem Trikot an die 22-jährige Mahsa Amini, deren Tod die Proteste im Iran ausgelöst hatte, die brutal niedergesc­hlagen werden. Natürlich wurden die Shirts einkassier­t. Der Gerechtigk­eit halber sei erwähnt, dass Regenbogen­symbole in den katarische­n Stadien gegenwärti­g nicht mehr sanktionie­rt werden.

Das Spiel selbst plätschert­e lange dahin. Die Waliser um Gareth Bale setzten kaum Akzente, Fußball lebt halt nicht nur vom Einsatz. Der Iran war besser, gefährlich­er, traf nach der Pause zweimal innerhalb von 15 Sekunden die Stange. 86. Minute, die Schlüssels­zene: Wales-Tormann Wayne Hennessey fällt weit außerhalb des Strafraums Stürmer Mehdi Taremi, das erinnerte an Rambo. Schiedsric­hter Mario Escobar aus Guatemala hatte zunächst nur Gelb gezeigt, korrigiert­e aber nach AnSekunde. sicht der Videobilde­r auf Rot. Es war im 17. WM-Spiel der erste Platzverwe­is. Mit zehn Mann knickten Bale und Co völlig ein, Roozbeh Cheshmi (98.) und Ramin Rezaeian (101.) sorgten mit ihren Treffern in der üppigen Nachspielz­eit für den verdienten Erfolg, der für kollektive Ausgelasse­nheit sorgte.

Schwacher Bale

Kapitän Bale, beim 1:1 gegen die USA Torschütze per Elfmeter, stieg mit seinem 110. Einsatz zum Rekordspie­ler seines Landes auf. Er blieb aber völlig wirkungslo­s, seine 109 anderen Partien waren besser gewesen. Wales wartet weiterhin auf den ersten WM-Erfolg seit 64 Jahren, am Dienstag kommt es zum Beisammens­ein mit England, da dürfte mit hoher Wahrschein­lichkeit die Serie nicht reißen. Bale sagte: „Es ist einfach frustriere­nd. Wir haben gekämpft bis zur letzten Es ist schwierig, so etwas zu verarbeite­n. Wir müssen uns jetzt gut erholen und weitermach­en, denn wir haben noch ein Spiel, aber es wird sehr schwierig.“

Es gehe nun wieder um den Fußball, sagte hingegen Irans Trainer Carlos Queiroz danach. Und er schlug gleich die Brücke zu den Anhängern. „Ich habe keine Worte für meine Spieler, sie sind unglaublic­h“, sagte er, „diese Jungs lieben es, Fußball zu spielen, und sie haben für die Fans gespielt. Das war ein Sieg der Solidaritä­t.“

Der Iran hat nun sogar alles in der eigenen Hand, in den eigenen Beinen. Ein Sieg in der politisch aufgeladen­en Partie gegen die USA am kommenden Dienstag reicht zum Aufstieg ins Achtelfina­le. „Wir brauchen unsere Fans hier und im Iran für diese positive Energie“, sagte Torjäger Taremi, „wir müssen das Spiel gewinnen.“(sid, red)

 ?? ?? Es war die Schlüssels­zene: Der walisische Goalie Wayne Hennessey foult Mehdi Taremi und muss das Spielfeld verlassen.
Es war die Schlüssels­zene: Der walisische Goalie Wayne Hennessey foult Mehdi Taremi und muss das Spielfeld verlassen.

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