Der Standard

Die Deutschen schaffen das

Gruppe E, Sonntag, 20 Uhr: Deutschlan­d steht im Heuler gegen Spanien mit dem Rücken zur Wand. Nach der Auftaktple­ite gegen Japan droht die Heimreise nach der Vorrunde. Aber? Aber! Oder doch nicht?

- Fritz Neumann Sigi Lützow

Natürlich kratzen die Deutschen die Kurve, wer wollte daran zweifeln? Wohl niemand, der den ersten Spieltag in Gruppe E verfolgt hat. Da gab’s einerseits das – angesichts vieler vergebener Torchancen – mehr als unverdient­e deutsche 1:2 gegen Japan, anderersei­ts das weniger als nichtssage­nde spanische 7:0 gegen ein desaströse­s Costa Rica.

Behauptung: Keines der sieben Goals hätte Deutschlan­d kassiert. Mit den Spaniern wird die Truppe von Hansi Flick hinten und vorn besser zurande kommen als mit den flinken Japanern. Ja, Defizite sind in der Defensive unübersehb­ar, die Herren Süle, Schlotterb­eck und Raum wären in einem österreich­ischen Nationalte­am vielleicht nur zweite Wahl. Und wieso Hummels daheim bleiben musste, wissen Flick und Gott allein. Dennoch wird Deutschlan­d nicht ein zweites Mal en suite in der WM-Vorrunde scheitern.

Dazu ist die Qualität im Mittelfeld, wo es sich gegen Spanien entscheide­t, zu groß. Kimmich, Gündogan, Gnabry, Müller, Goretzka, Götze, das sind lauter g’standene Kicker, die oft genug bewiesen haben, dass sie mit Druck umgehen können. Von der Kategorie hat Spanien weniger, da tummeln sich um Kapitän Busquets lauter Jungspunde, die keine großen Turniere und kaum wirklich wichtige Spiele in den Beinen haben. In der „Mannschaft“hingegen stehen etliche, die schon Titel in der Champions oder der Europa League holten und/oder bereits Weltmeiste­r waren, Götze schoss 2014 in Brasilien sogar das entscheide­nde Tor im Finale.

In diesem Finale war natürlich auch Glück dabei, schließlic­h hätte Argentinie­n bei 0:0 nach Neuers Foul an Higuain ein Elfer gebührt. Doch wie die Fußballwel­t oft genug feststelle­n konnte, ist das Glück ein deutsches Vogerl, ganz selten nur hat es sich verflogen, etwa im Wembley-Finale 1966 oder eben in der Vorrunde in Russland 2018.

Diesmal verfliegt es sich nicht. Deutschlan­d lässt die Diskussion­en um Kapitänssc­hleifen hinter sich und hält sich nicht mehr den Mund zu, sondern schlägt Spanien und dann auch noch Costa Rica. Den anderen Gruppe-E-Achtelfina­listen werden Japan und Spanien am letzten Spieltag im direkten Duell ermitteln. Und das war’s dann aber auch schon mit Aus-dem-Fenster-Lehnen, wir wollen die Brüstung nicht überstrapa­zieren!

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, könnte in diesem Fall mit Christian Morgenster­n völlig zu Recht argumentie­rt werden. Wem das nicht genügt: Die Furia Roja lehrte die Schlander fast immer das Fürchten, sofern notwendig.

34 Jahre liegt der letzte deutsche Pflichtspi­elsieg über die Iberer schon zurück. In diesem Jahrtausen­d war maximal in Freundscha­ftsspielen Land in Sicht. Im bisher letzten ernsten Zusammentr­effen vor etwas mehr als zwei Jahren anlässlich der Nations League siegten die Spanier 6:0 – in Worten: sechs zu null! Das WMHalbfina­le 2010 und das EM-Finale 2008 gewann sie jeweils mit 1:0, jeweils gegen eine deutlich stärke deutsche Mannschaft, als sie Bundestrai­ner Hansi Flick in Katar mithat.

Apropos – wer sich auf eine Abwehrreih­e mit den Herrn Niklas Süle, Nico Schlotterb­eck und David Raum verlässt und Mats Hummel zwar Hochform zugesteht, aber den Weltmeiste­r zu Hause lässt, weil der kraft seiner Erfahrung eventuell mit abweichend­er Meinung die mannschaft­liche Kuschelsti­mmung im katarische­n Luxusresso­rt stören könnte, hat sich eigentlich von Beginn an aufgegeben.

Kann Flick Bundestrai­ner, haben sie sich in Deutschlan­d gefragt, nachdem Joachim Löws Bleiben infolge der spanischen Sechserpac­kung nicht länger war. Bis zur WM gab’s unter dem kontrollie­rt netten Heidelberg­er immerhin zehn Siege und fünf Remis bei nur einer Niederlage. Mit einer Ausnahme (5:2 gegen Italien) waren es Pflichtsie­ge gegen bessere, öfter aber deutlich schlechter­e Sparringpa­rtner.

Dass Flick gegen Japan in Ilkay Gündogan, Jamal Musiala und Thomas Müller die besten Spieler bei nur 1:0 vom Platz holte, lässt Zweifel aufkommen, ob er in einer deutlich heikleren Partie unter Druck richtige Entscheidu­ngen treffen kann. Die Nationalma­nnschaft, zumal, wenn es ihr an Selbstvert­rauen gebricht, ist eben kein Selbstläuf­er, wie es der FC Bayern für Flick war – zum Beispiel mit einem Stürmer, der verlässlic­h trifft.

Auf der Habenseite der Deutschen steht gegen Spanien wohl nur, dass die Diskussion­en um die „One Love“-Binde abgehakt sind. Gedanken, welches Zeichen des Protestes harmlos genug ist, um nicht eventuell halbernste Konsequenz­en gewärtigen zu müssen, werden Manuel „der Kühne“Neuer und Kollegen am Sonntag nicht hemmen.

 ?? ?? Im Juli 2010, vor dem WM-Halbfinale in Südafrika, war sich Paul der Krake (†) seiner Wahl sicher und behielt recht: Spanien siegte mit 1:0.
Im Juli 2010, vor dem WM-Halbfinale in Südafrika, war sich Paul der Krake (†) seiner Wahl sicher und behielt recht: Spanien siegte mit 1:0.

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