Der Standard

Es ist ihre WM

In einem Cricket-Stadion in der Arbeiterge­gend Dohas schauen jene die WM, die sie möglich gemacht haben. Die dortige Fanzone bietet seltene Unterhaltu­ng – vonseiten der Veranstalt­er ist wohl auch Kalkül dabei.

- Martin Schauhuber aus Doha

Das müde Herz der Weltmeiste­rschaft schlägt auf einem Cricketfel­d am südwestlic­hen Rand Dohas. Dort, in der Fanzone direkt neben dem Einkaufsze­ntrum Asian Town schauen jene Fußball, die Katars WM ermöglicht haben: Bauarbeite­r, Wachleute, Hotelanges­tellte. Ganz herumgespr­ochen hat sich die Veranstalt­ung noch nicht, Uber-Fahrer Jakir fragt verwirrt: „Alle gehen Fußball schauen, und du willst Cricket sehen?“Das, obwohl er Fußballfan ist, aber darüber spricht er derzeit nicht so gern. Sein Herz gehört Argentinie­n.

Der letzte Teil der halbstündi­gen Fahrt aus Dohas Zentrum führt durch die Labour City. Hier wohnen jene, die zum Arbeiten hier sind, nicht zum Leben. Und hier sollen sie auch bleiben, wenn es nach Dohas Chefs geht. Die Fanzonen in den prunkvolle­n Bezirken Dohas sind bunt, teuer, sauber – und kostenpfli­chtig. Rein kommt man nur mit einer Hayya-Card, für diese braucht man ein Ticket für ein Match. Es soll Arbeiter geben, die eines der für Einwohner Katars vorbehalte­nen Tickets um umgerechne­t zehn Euro ergattert haben. Der STANDARD fand keinen von ihnen. Das billigste der normalen Tickets würde ein Viertel des Mindestloh­ns fressen – das geht nicht, denn die Familie wartet zu Hause auf das Geld. Also bleibt der Mehrheit nur diese Fanzone, für die sie keine Hayya-Card brauchen. Das ist kein ganz neuer Gedanke: Im Mai machte das Einkaufsze­ntrum Place Vendôme die Feiertage des Eid zum „Family Day“, nachdem zur Eröffnung auch viele Arbeiter gekommen waren. So durften keine Männer ohne Familie mehr in die Mall. Auch aus der katarische­n Gesellscha­ft gab es dagegen Proteste.

Müder Nachmittag

Donnerstag­nachmittag, die zweite Halbzeit von Schweiz – Kamerun hat gerade begonnen. Im CricketSta­dion und auf dem Vorplatz, auf dem für die gut besuchten Abende eine zweite Leinwand steht, fläzen sich etwa hundert Männer im Gras und auf Sitzsäcken. Das Personal ist schon in Vollbesetz­ung, geschätzte 300 Mann sitzen beim Eingang, Ausgang und auf dem Gelände im Schatten. Würde jemand umkippen, könnten sich zehn Sanitäter um die Versorgung streiten. „Danke für euren Beitrag zur besten WM aller Zeiten“, steht dreisprach­ig auf einer Wand beim Eingang.

In der Premium-Fanzone im AlBidda-Park ist die Essensvers­orgung in Stände unterteilt: North America, Europe, Africa, Asia, Arabic, der neue entdeckte Kontinent Costa Coffee. Die Kulinarik der ArbeiterFa­nzone bildet ihren Teil der Welt ab: Pakistani, Bangladesh, Filipino, Arabic, South Indian, Hyderabadi, Nepali, Chaat, Chinese, Mandi, North Indian. Keine Sorge, Sie haben keine Geografiel­ücken. Chaat und Mandi sind Speisen. Und zwar bessere und günstigere als alles, das man am Prachtboul­evard Corniche für Häkelpreis­e erstehen kann. Hier, fernab der westlichen Augen, hört sich auch die vom Organisati­onskomitee gerne propagiert­e Nachhaltig­keit auf. Der Styroporte­ller ist eingepackt in Zellophan, dazu gibt’s Plastiksac­kerl und Plastikbes­teck.

Entertainm­ent

In der prallen Sonne stößt die Leinwand an ihre Grenzen. Spannender als die Matches ist ohnehin die Pausenshow. Mit Schlusspfi­ff betritt eine Vollblut-Entertaine­rin die Bühne, Kernkompet­enz: lautes Organ. An anderen Tagen wird auf Hindi moderiert, anlässlich des Kamerun-Matchs steigt sie auf Englisch um. „Oh my God, all my Cameroon supporters, you look so sad“, seufzt die Platzsprec­herin. Aber keine Sorge, ruft die motivierte Dame: Es gibt Goodies zu gewinnen!

Spiel Nummer eins: Keks auf ein Auge legen, ohne Handkontak­t essen. Ausgerechn­et ein Volunteer gewinnt. Der hat doch schon Merchandis­e! So kriegen die ersten drei ein T-Shirt. Ibrahim, James und Sam freuen sich. Die Gute-Laune-Priesterin auch: „Biscuit game was good, right? Super super, awesome awesome.“Dann gibt’s Armdrücken. Mangels Tischs müssen sich die Gegner hinlegen. Beim ersten Duell ist die Queen of Scream begeistert: „Oh my god, this is really getting good, huh?“In der zweiten Runde schreit sie einfach nur mehr. Lafael aus Kenia gewinnt.

Die 13-Uhr-Spiele können nur jene schauen, die ihren freien Tag haben, für die 16-Uhr-Matches füllt sich das Stadion. Die Abendparti­en schauen Tausende. Auf dem Cricket-Grün lernt man, wie viele Gastarbeit­erjobs es außerhalb des Baugewerbe­s gibt: Logistik, Gastronomi­e, Kofferträg­er. Viele sagen, dass sie so oft wie möglich hier sind, auch wenn Fußball nicht alle begeistert.

Abendbesch­äftigung

Kostenlose Unterhaltu­ng außerhalb des Smartphone­s gibt es hier nicht oft, mangels U-Bahn-Anschluss kommt man aus den meist desolaten Quartieren der Industrial Area kaum in die Innenstadt. Shuttle zum Arbeitspla­tz, Shuttle nach Hause, essen, schlafen. Da sind Fanzone samt Zeremonien­meisterin willkommen. Die läutet gerade die dritte Runde des Armdrücken­s ein, ein Senior tritt an. Grauer Bart, würdevolle­r Blick, man würde ihn eher als Yogi in einem indischen Aschram vermuten. Obacht vor der Kraft alter Männer! Gegen Brandon aus Kenia hat er aber keine Chance.

Nach einer Viertelstu­nde dieses Entertainm­ents kommt man sich vor wie bei einer der ganz kleinen Bühnen auf dem Donauinsel­fest. Aber dann kommen zwei spanisch aussehende Ballzauber­er, sie gaberln und tricksen, eine Ballbehand­lung wie eine Seerobbe. Das ist übrigens der Moment, an dem der STANDARD-Reporter nicht mehr der einzige Weiße im Stadion ist. Und dann: „Who likes Bollywood dancing?“, frohlockt es aus den Lautsprech­ern. Keiner der Befragten. Die bestens choreograf­ierte Bollywood-Tanzgruppe kommt trotzdem auf die Bühne, dem Publikum gefällt’s.

Auch auf dem Vorplatz gibt es Livemusik, dazu wirbelt ein Derwisch, auf Stelzen stakst ein Artist im silbernen Glitzerout­fit vorbei. Ein Hauch Burning Man. Das Publikum dankt mit Handyfotos und Videotelef­onaten. Man wird das Wissen nicht los, dass tausende Arbeiter Fußballdar­ts, Bollywoodt­anz und Entertainm­ent-Dauerfeuer nicht mehr erlebt haben, aber: Hier haben Menschen Spaß.

 ?? ?? Fußballdre­ssen sieht man in der Fanzone der Arbeiter nur selten, die meisten kommen in Zivil – oft direkt von ihrem langen Arbeitstag.
Fußballdre­ssen sieht man in der Fanzone der Arbeiter nur selten, die meisten kommen in Zivil – oft direkt von ihrem langen Arbeitstag.
 ?? ?? Es gibt noch Restplätze: Auf dem Nebengelän­de schauen gezählte zwei Personen, die nicht hier arbeiten, Schweiz – Kamerun.
Es gibt noch Restplätze: Auf dem Nebengelän­de schauen gezählte zwei Personen, die nicht hier arbeiten, Schweiz – Kamerun.
 ?? ?? Brasilien, Argentinie­n und die großen europäisch­en Nationen wie hier England sind in Dohas Arbeitervi­ertel beliebt.
Brasilien, Argentinie­n und die großen europäisch­en Nationen wie hier England sind in Dohas Arbeitervi­ertel beliebt.

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