Der Standard

Die Ökonomie der Nerven

Das Wien-Museum widmet in seiner Dependance Musa dem Atelier von Friedl Dicker und Franz Singer die Ausstellun­g „Atelier Bauhaus, Wien“. Leider überlebte kein einziges Projekt des Ateliers.

- Wojciech Czaja

Was heute die sogenannte Smart-Wohnung ist (oder zumindest versucht zu sein), war auch vor einem Jahrhunder­t schon eines der dringlichs­ten Themen der Wohnkultur: Mit dem deutschen Bauhaus in Weimar und Dessau entstand die Idee, auch mit knappen Mitteln und Möglichkei­ten ein Maximum an Raum- und Lebensqual­ität zu erzielen. Friedl Dicker und Franz Singer, die gemeinsam am Bauhaus studierten und danach in Wien ein eigenes Atelier gründeten, prägten das Prinzip „Ökonomie der Zeit, des Raumes, des Geldes und der Nerven“und entwickelt­en in den Jahren 1925 bis 1938 eine ganze Reihe an Wohnprojek­ten, die das Wirtschaft­liche mit Verspielth­eit auf die Spitze trieben.

„Ein Wohnzimmer ist zugleich Esszimmer, oft Gastzimmer, das Schlafzimm­er ist zugleich Arbeitszim­mer, und alle Räume müssen für den Tagesaufen­thalt zu verwenden, müssen wandelbar sein“, schrieben die beiden im Kölner Tageblatt 1931. Ihre Wiener Entwürfe umfassten Podeste, in denen man Betten verschwind­en lassen konnte, Wandschrän­ke, denen man stapelbare Sessel entlocken konnte, sowie supereffiz­iente Schrankräu­me.

„Es gibt wohl kein anderes Wiener Büro, das in so kurzer Zeit so viele Projekte eines neuen, modernen Wohnprinzi­ps umsetzen konnte wie das Atelier Dicker Singer“, sagt der Architektu­rhistorike­r Andreas Nierhaus, der die Ausstellun­g Atelier Bauhaus, Wien im Musa gemeinsam mit Katharina Hövelmann und Georg Schrom kuratierte. „Und zugleich ist es ihnen gelungen, das Bauhaus nach Wien zu bringen und mit der traditione­llen Wohnkultur der Wiener Moderne zu verbinden.“

Neben diversen Privatwohn­ungen in der Inneren Stadt sowie in Wieden, Josefstadt, Alsergrund, Währing und Döbling entstanden auch ein Modesalon, eine Confiserie in der Operngasse, ein städtische­r Montessori-Kindergart­en im Goethehof sowie das atemberaub­ende Haus Hériot in der Leopoldsta­dt. „Das OEuvre ist wirklich umfassend“, so Nierhaus. „Umso bedauerlic­her, dass kein einziges Projekt des Ateliers überlebte.“Die Dachgescho­ßwohnung Eller Lingens-Reiner in der Piaristeng­asse 54, 1931 fertiggest­ellt, ist die einzige, die bis 1990 im Originalzu­stand erhalten blieb, ehe auch sie – aus Unkenntnis – einem Umbau zum Opfer fiel.

Schmales Erbe

Und so umfasst das Erbe des Ateliers Friedl Dicker und Franz Singer, die sich mit großen Wohnideen und kleinen technische­n Details und Textilarbe­iten zugleich beschäftig­ten, lediglich zwei Dutzend Möbelstück­e sowie viele, viele Pläne, Modelle, Fotografie­n, Materialco­llagen und atemberaub­ende Klapp-Axonometri­en. In Zusammenar­beit mit dem Bauhaus-Archiv Berlin konnten einige davon für diese Ausstellun­g restaurier­t werden. „Der Umgang mit knappen Raum-Ressourcen und die Reduktion aufs Wesentlich­e sind auch heute wieder aktuell“, so Nierhaus. „Wir können von damals viel lernen.“

 ?? ?? Viele Pläne, Modelle, Fotografie­n, Materialco­llagen und atemberaub­ende KlappAxono­metrien sind im Wiener Musa zu sehen. Hier der Beschäftig­ungsraum des Montessori­Kindergart­ens im Goethehof um das Jahr 1931.
Viele Pläne, Modelle, Fotografie­n, Materialco­llagen und atemberaub­ende KlappAxono­metrien sind im Wiener Musa zu sehen. Hier der Beschäftig­ungsraum des Montessori­Kindergart­ens im Goethehof um das Jahr 1931.

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