ORF kann sich nicht mehr alles leisten
130 Millionen Euro Verlust prognostiziert Österreichs größter, gebührenfinanzierter Medienkonzern für 2026. Bekomme er nicht mehr öffentliches Geld, könne er sein heutiges Angebot nicht mehr finanzieren.
Müssen wir Landesstudios zusperren?“, fragt sich ORF-Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) nach einem dramatischen Warnschreiben des ORF-Generals an seine Aufsichtsräte. „Müssen wir Verträge mit Filmproduzenten kündigen?“, grübelt Lederer, und: „Müssen wir Mitarbeiter abbauen?“
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hat Lederer auf diese Fragen gebracht. Der ORF-Chef hat die Stiftungsräte in der Nacht auf Freitag mit einem Schreiben auf „eine der größten Finanzierungskrisen des ORF in seiner Geschichte“eingestimmt.
„Finanzierung nicht garantiert“
70 Millionen Euro Verlust drohten Österreichs größtem Medienkonzern mit rund einer Milliarde Umsatz 2024, hochgerechnet aus der heutigen Inflation, den aktuellen Energiekosten und den aktuellen Abmeldungen von der GIS. 2025 würde der ORF in diesem Szenario schon 90 Millionen Euro Minus machen, 2026 dann rund 130 Millionen Euro.
Der ORF „kann auf Basis des bestehenden Finanzierungsmodells sein umfangreiches Leistungsangebot nicht uneingeschränkt fortschreiben, die Finanzierung der gesetzlichen Aufträge ist dadurch nicht mehr garantiert“, schreibt Weißmann.
Der ORF-General will die Stiftungsräte, aber auch die Länder, die Produktionsbranche, Kunst- und Kulturschaffende und Interessenorganisationen von Religion über Sport bis Barrierefreiheit mobilisieren. All diese Bereiche „stehen auf dem Spiel“.
Das Ziel: Beschließen die Regierungsparteien 2023 ein neues Finanzierungsmodell für den ORF, dann solle es mehr öffentliches Geld für den Medienkonzern bringen. 660 Millionen Euro aus GIS-Gebühren sind für heuer budgetiert, die aber nicht für Streamingnutzung anfallen; mit rund 720 Millionen pro Jahr könnte der ORF seine Drohszenarien für 2024 bis 2026 zurücknehmen, sagen Kenner der ORF-Finanzen. Der Verfassungsgerichtshof verlangt, dass die ORF-Finanzierung auch Streamingnutzung einschließen müsse.
Die jüngste GIS-Erhöhung um acht Prozent, geplant für fünf Jahre, sei schon im laufenden Jahr von der Inflation überholt worden, argumentiert der ORF-General.
Lederer verlangt nun von Weißmann ein konkretes Szenario, wenn die Republik nicht wie erhofft aufstockt. „Wir brauchen, schon aus rechtlicher und kaufmännischer Verantwortung, einen Plan B“, sagt Lederer. Also: Welche Leistungen müsste der ORF sonst tatsächlich streichen? Lederer: „Müssen wir 2023 das Licht abdrehen?“
„Situation ist besorgniserregend“
„Die Situation ist besorgniserregend“, sagt Stiftungsratsvorsitzender Lothar Lockl (Grüne): „Die Politik muss nun mit der Frage einer nachhaltigen Finanzierung darüber entscheiden, ob der ORF-Auftrag in bisheriger Form aufrechterhalten werden kann.“
Stiftungsrat Niki Haas (FPÖ) sieht das als Anlass, das Angebot zu überdenken – etwa die aktuelle Senderflotte und die ORF-Struktur.
Kommende Woche berät der Stiftungsrat die Lage und den Finanzplan für 2023. Mit Einmalmaßnahmen soll der ORF heuer und 2023 noch ausgeglichen abschließen.