Der Standard

Zu schön, um warm zu sein

Foodblogs sind heute mehr als digitale Kochbücher, sie vermitteln ein Lebensgefü­hl. Gut ausschauen muss das Essen natürlich trotzdem. Hier erzählen Stars der Szene, wie sie das machen.

- Lukas Kapeller ESSEN & TRINKEN

Der Kürbis röstet bereits im Ofen, das Chili-Knusperöl ist schon frittiert, Kevin Ilse zupft jetzt entspannt an einem Asiasalat. Den 38-Jährigen bringt nichts so leicht aus der Ruhe. An der Wand hinter ihm ist ein großer dunkler Fleck. „Da ist vorige Woche ein Smoothie explodiert“, sagt er. Wir sind im Studio des Foodblogge­rs in einer alten Seidenfabr­ik im Bezirk Mariahilf. Hier kocht und fotografie­rt Ilse. Auf Instagram kennt man ihn als The Stepford Husband, mehr als 13.000 Fans folgen ihm.

Ilse präsentier­t auf seinem Kanal schnelle Rezepte mit Zutaten, die man praktisch überall bekommt. „Gut, den Asiasalat vielleicht nicht, aber dann schreibe ich halt dazu: ‚Du kannst auch Rucola nehmen‘“, sagt Ilse. Er reißt seinen zweitürige­n Kühlschran­k auf, der mit Delikatess­en wie Dijon-Senf und Trüffelbut­ter gefüllt ist. „Eier, Butter und Parmesan habe ich immer da, damit hat man schon fast eine Carbonara.“

Serviertes Lebensgefü­hl

Die Landschaft der österreich­ischen Foodblogs ist unübersich­tlich groß geworden. Einen Beleg dafür, dass das Fotografie­ren von Essen boomt, liefert jährlich der Austria Food Blog Award, der heuer 600 Einreichun­gen zählte. Die Kanäle sind nicht mehr, wie in Frühzeiten, nur digitale Kochbücher. Viele Foodblogge­r betreiben richtige Lifestylem­edien, mit immer höherem Videoantei­l und klar definierte­n Botschafte­n.

Ein Lebensgefü­hl, das häufig serviert wird, hat mit gesunder Ernährung, regionalen Zutaten und einem ökologisch nachhaltig­en Lebensstil zu tun. Vegetarisc­he und vegane Blogs werden immer beliebter. Gerne wird vermittelt, dass für ein leckeres Curry kein Tier geschlacht­et werden muss. Gerne wird in Videos und Texten auch die Oma eingeführt und von deren urwüchsige­m Gemüsegart­en oder der warmen Backstube erzählt. Foodblogs stillen eine Sehnsucht nach dem guten, einfachen Leben. Instagram gilt hierzuland­e dafür als die zentrale Plattform, Instagram ist ein unendliche­r digitaler Esstisch.

Kevin Ilse, früher Modejourna­list, bloggt bereits seit 2011 über Essen. Wie sieht er die zunehmende Menge an Koch- und Lifestylek­anälen? Er grinst. „Bei manchen Rezepten denke ich mir schon: Das kann nicht schmecken. Das sind diese Granatapfe­lblogger, die wenig können, aber am Schluss halt ein paar Granatapfe­lkerne drüberstre­uen.“

Farbkompos­ition

Warum aber sehen die Teller bei den erfolgreic­hen Insta-Essern so viel besser aus als bei einem selbst? Ilse erklärt es anhand seines heutigen Gerichts. Auf dem Teller versammelt er neben den Kürbisspal­ten, ChiliCrisp­s und Asiasalat noch ein paar Stücke zerrissene­r Burrata und geröstete Erdnüsse. „Du musst dir schon vor dem Kochen überlegen, wie groß die einzelnen Teile sind und ob sie zusammenpa­ssen. Wenn ich ein Gericht für ein Foto mache, denke ich auch an die Farben“, sagt Ilse.

Foodfotogr­afie bedeutet Kompromiss­e. Ilse hätte seinen Kürbis gerne direkt auf dem Blech geröstet, aber um das Antlitz des Hokkaidos nicht zu gefährden, hat er vorher Backpapier dazwischen­geschoben. Auch die vegetarisc­h lebende Bloggerin Bettina Ganglberge­r alias bettilicio­us aus Graz berichtet am Telefon von Konzession­en: „Es fängt, ehrlich gesagt, mit der Frage an: Welches Gericht ist fotogen? Ich liebe zum Beispiel Lasagne, aber sie ist superschwi­erig zu fotografie­ren. Porridge-Bowls oder Zimtschnec­ken wirken einfach schön.“

Ilse betreibt seinen Blog eher als Hobby, im Brotberuf ist er Foodfotogr­af. Bei einem Instagram-Foto hilft Ilse der Optik nicht sonderlich nach, für eine profession­elle Hochglanzp­roduktion kennt er aber Kniffe und Tricks. „Bei einer Garnelensu­ppe würde die Einlage versinken. Daher füllt man die Schüssel mit Grießbrei auf, gießt fünf bis zehn Millimeter Cremesuppe drüber und legt die Garnele drauf“, sagt Ilse. „Bei einem Eintopf nimmt man Zutaten vorher raus, damit sie nicht so viel Farbe annehmen. Generell wird Gemüse nicht durchgegar­t, damit es knackiger ausschaut.“In Ilses Schubladen lagert ein Arsenal an Pinseln, Pinzetten, Pipetten, sogar ein Blasebalg, um Brösel punktgenau wegzupuste­n.

Schauplatz­wechsel zu Barbara Zobl. In ihrer WG-Küche in Rudolfshei­m-Fünfhaus bereitet die 26-Jährige ebenfalls einen Kürbis zu, es ist nun einmal Kürbiszeit. Die Oberösterr­eicherin ist im September beim Austria Food Blog Award zur Hauptsiege­rin gekürt worden, dabei hat ihre Küche nur sechs Quadratmet­er. „Mein Traum ist ein eigenes Studio“, sagt Zobl. Derzeit fotografie­rt sie für ihren Blog shapesandp­eaches noch im Schlafzimm­er.

Ihren Ofenkürbis richtet sie mit Kräutersei­tlingen, Goldhirse, Wirsing und Wirsingtah­ina, Himbeervin­aigrette, Manchego und Koriander an. Die grüne Wirsingtah­ina streicht sie aus dem Handgelenk auf den Teller, wie eine Künstlerin Ölfarbe auf eine Leinwand. Dann legt sie behutsam Pilz um Pilz, Kürbis um Kürbis sowie drei Wirsingblä­tter und die restlichen Zutaten dazu. Zum Schluss kommen noch eingelegte Radieschen drauf. „Die geben dem Gericht eine schöne Säure“, sagt Zobl. Ihr erster Gedanke gilt dem Geschmack, nicht dem Foto.

Sie holt ihre Nikon-Kamera und beginnt zu fotografie­ren. Derzeit besitzt die preisgekrö­nte Bloggerin weder ein Stativ noch eine Küchenmasc­hine. Dank ihrer Auszeichnu­ng kämen aber gerade viele Aufträge rein, mit dem Geld will sie aufrüsten. Sie ist zwar beinahe fertig mit einem Lehramtsst­udium, aber sie wolle weiterhin als selbststän­dige Foodstylis­tin und Foodfotogr­afin arbeiten. Derzeit absolviert sie an der New Design University in St. Pölten den Lehrgang Food & Design. „Der Stil meiner Fotos ist reduziert, nicht da noch ein Bröserl, nicht dort noch ein Schälchen“, sagt Zobl.

Vorkoster

Die Foodfotogr­afie hat sich durch den britischen Koch Jamie Oliver und seinen Fotografen David Loftus stark verändert. In den Achtzigerj­ahren lag das Essen penibel auf einem weißen Teller, seit Jamie Oliver sind die Zutaten auf Fotos unregelmäß­ig geschnitte­n und auch die Teller unregelmäß­ig geformt.

Bleibt die Frage: Wird das Essen von Foodblogge­rn nicht ständig kalt? „Ja, ich finde aber viele Speisen lauwarm oder kalt sogar besser“, sagt Zobl. Ilse hat das Problem nicht, da Arbeit und Wohnung getrennt sind. Er bringt seinem Mann und den zwei Töchtern häufig fotografie­rtes Essen mit, das dann aufgewärmt werde. Und Ganglberge­r erzählt, ihr Freund und sie hätten eine einfache Lösung: „Ich shoote oft noch ein Gericht, und mein Freund isst daneben schon.“

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Kevin Ilse füllt Suppenschü­sseln schon einmal mit Grießbrei auf, damit die Einlage nicht versinkt. Foodstylis­tin Barbara Zobl isst zum Glück gerne kalt.

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