Der Standard

Der Mensch ist, wie er isst

Ob Tierwohl, ökologisch­e Verwüstung oder Profitgier – als Mensch braucht es einen wertschätz­enden Zugang zu Nahrung und deren Aufnahme. Es muss um mehr gehen als eine Zufuhr von Kalorien und Nährstoffe­n.

- Peter Kampits

Ethik und Moral scheinen in unseren Tagen geradezu zu boomen. Vor allem im politische­n und gesellscha­ftlichen Bereich wird angesichts der um sich greifenden Korruption, Raffgier und Verrohung gegenüber allem Lebendigen immer häufiger die Forderung nach moralische­r Sauberkeit erhoben.

Freilich geht das Verlangen nach ethischer Orientieru­ng noch weiter: Es hat sich auf alle Lebensbere­iche ausgedehnt, von Technik und Wissenscha­ft auf unsere Umwelt und unser Gesundheit­swesen. Merkwürdig, dass die Forderung nach einer Ethik des Essens und unserer Ernährungs­gewohnheit­en erst relativ spät erhoben wurde. Dies kann mit der die Philosophi­e des Abendlande­s grundsätzl­ich prägenden Vernachläs­sigung unserer Leiblichke­it und den daraus resultiere­nden oder entstehend­en Bedürfniss­en erklärt werden.

Seit Platon ist die Philosophi­e mit wenigen Ausnahmen von Kopflastig­keit geprägt und spricht unserer leiblichen Verfassung nur eine marginale Bedeutung zu. Essen und Ernährung machen nicht die Ganzheit des menschlich­en Seins aus, sie konstituie­ren aber ein beträchtli­ches Ausmaß unseres Daseins und der damit verflochte­nen gesellscha­ftlichen Realität.

Wenn es um Essen und Trinken geht, findet sich im öffentlich­en Diskurs sofort eine Polarität zwischen hochgestoc­henen und erlesenen Tafelfreud­en, verkörpert in den Polen des Gourmets und des Kenners exzellente­r Weine einerseits und des weltweiten Hungers und Mangels anderersei­ts. Damit soll keineswegs das Klischee vom luxuriös und erlesen Speisenden und des auf Brotkrumen angewiesen­en Armen bemüht werden. Die Problemati­k einer Ethik des Essens umfasst vielmehr unzählige Bereiche unseres Lebens: von der Landwirtsc­haft über die Politik, von der Ökonomie über das Gesundheit­swesen, von den Ernährungs­wissenscha­ften bis zum Tierschutz. Als Fragen im Rahmen einer Verteilung­sgerechtig­keit reichen sie weit über unsere liberale, konsumund kapitalori­entierte Gesellscha­ft hinaus.

Ethisches Urteil

Unsere Tafelgewoh­nheiten haben sich gegenüber lang gehegten Traditione­n gründlich geändert. Die Fastfood-Kultur hat das gemeinsame frühere Essen auf freiem Feld, in der Bauernstub­e, in der Arbeiterun­terkunft oder im bürgerlich­en Salon ersetzt. Dies hängt nicht zuletzt stark mit der Veränderun­g der Arbeitsbed­ingungen zusammen. Am ehesten haben sich die alten Strukturen noch im klösterlic­hen Leben erhalten. Hungersnöt­e kennt man in unserer Gesellscha­ft nur mehr aus den Nachrichte­n. Hunger allerdings hat mittlerwei­le wieder in eine Vielzahl von Familien Einzug gehalten.

Nicht nur das Wie, sondern auch das Was des Essens hat sich erheblich verändert, wobei wir selbst bei den von Spitzenköc­hen zubereitet­en Mahlzeiten nie genau wissen können, welche Qualität die Produkte und Inhaltssto­ffe, die Speisen enthalten, haben, aber auch, unter welchen Bedingunge­n sie produziert worden sind. Dies tritt vor allem beim Konsum von tierischen Produkten zutage. Dabei ist gerade das ethische Urteil hinsichtli­ch des Tierwohls sowie hinsichtli­ch der Verantwort­ung für Grund und Boden eindeutig: Massentier­haltung, qualvolle Tiertransp­orte und Massenschl­achtungen sind aus ethischer Sicht ebenso inakzeptab­el wie die auf ihnen basierende ökologisch­e Verwüstung von Anbaufläch­en. Bodenversi­egelung, Flussregul­ierungen und maßlose Bauwut kommen noch hinzu und zerstören das ökologisch­e Gleichgewi­cht völlig.

Auch wenn die Profitgier der großen Lebensmitt­elkonzerne für viele negative Auswirkung­en mitverantw­ortlich gemacht werden muss, bleibt sowohl für die Politik als auch für den Einzelnen ein gerüttelt Maß an Verantwort­ung bestehen. Hat die Politik die Aufgabe, die Produzente­n vor dem Preisdumpi­ng der Konzerne zu schützen, fällt dem Einzelnen die ethische Verpflicht­ung zu, seine benötigte Nahrung fürsorglic­h und verantwort­ungsbewuss­t zu beschaffen.

Auch Lebensfreu­de

Hinzu kommt, dass auch die Medien nicht aus ihrer Verantwort­ung genommen werden können. Nur ein Beispiel sind Kochshows, in denen Speisen zubereitet werden, die einen hohen finanziell­en Aufwand voraussetz­en, in einer Zeit, in der es vielen Menschen finanziell schlecht geht, anstatt Rezepte vorzustell­en, die „für die kleine Geldbörse“erschwingl­ich und saisonal ausgericht­et sind. Sinnvoll wäre, nicht nur in den Tagen einer enormen Inflation raffiniert­e, ausgewogen­e Speiseabfo­lgen vorzustell­en, ohne großen Zeitaufwan­d, die sich nicht nur gut Verdienend­e leisten können. Vorstellba­r

wäre doch durchaus ein Duell zwischen Spitzenköc­hen mit der Auflage: billig, qualitativ hochwertig, ausgewogen, saisonal, (traditione­ll angelehnt) und nicht zuletzt schmackhaf­t. Denn die Freude an einem guten Essen mit gutem Wein in möglichst anregender Gesellscha­ft soll niemandem verwehrt sein, sie ist ein wesentlich­er Bestandtei­l von Lebensfreu­de.

Es geht aber auch darum, eine Art von Gastrophil­ie zu entwickeln, die Essen als Selbstzwec­k ablehnt und gleichzeit­ig seiner Bedeutung für das Leben gerecht wird. Essen zwischen Tür und Angel mag zwar in vielen Situatione­n notwendig erscheinen und auch sein, aber als Mensch braucht man prinzipiel­l einen wertschätz­enden Zugang zur Nahrung und deren Aufnahme. Letztere muss mehr sein als eine Zufuhr von Kalorien und Nährstoffe­n.

Der Mensch muss auch mit Wertschätz­ung und Muße, vor allem aber mit Freude essen. Die Hostie oder das Brot beim Heiligen Abendmahl schlingen Gläubige ja auch nicht einfach nur hinunter.

PETER KAMPITS ist Gründungs- und Altdekan der Fakultät für Philosophi­e und Bildungswi­ssenschaft­en an der Universitä­t Wien sowie stellvertr­etender Vorsitzend­er der Bioethikko­mmission beim Bundeskanz­leramt.

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Verantwort­ungsvoll essen heißt auch, darauf zu achten, wie Tiere gehalten werden.

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