Der Standard

Coming of Age in Linz

Margit Schreiner hat ein einfühlsam­es Porträt ihres jungen Ich geschaffen.

- Petra Stuiber

Wie ein Baby liege sie am Boden, meckert die Mutter, und dann krieche sie noch auf allen Vieren ins Badezimmer. Für sie, die Tochter, die gerade erfolglos versuchte, den Widrigkeit­en ihrer Pubertät zu entkommen, ist das der letztgülti­ge Beweis, dass diese Frau überhaupt nichts verstand. Schon gar nicht sie, ihr eigenes Kind. Denn das war kein Kriechen auf allen Vieren, es ist ein Schleichen auf vier samtigen Tatzen. Sie ist ein Panther, und wenn es ihr gefällt, liegt sie zu Füßen ihres schönen jungen Maharadjas, den nur sie sehen kann.“

So beginnt Margit

Schreiner ihre neue Erzählung über ihre Jugend im Linz der 1960erJahr­e. Sie beschreibt ihr junges Ich mit einer Mischung aus tiefer Sympathie und schwarzem

Humor, die Autorin beobachtet die Schlachtfe­lder Familie, Freundscha­ften, erster Sex und politische­s Erwachen aus der Sicht dieser Zwölf- bis 18-Jährigen, die ihre Eltern erst als peinlich und dann als vom Kapitalism­us rettungslo­s verblendet empfindet. Sie beschreibt die Zerrissenh­eit einer pubertiere­nden, die eigentlich in Ruhe gelassen werden muss, weil gerade so viel in ihr und mit ihr passiert. Und die am Ende doch dasitzt und Rechenaufg­aben löst, weil die Alternativ­en nicht gerade verlockend sind.

Mütter. Väter. Männer. Klassenkäm­pfe ist der zweite Erinnerung­sband dieser das Private virtuos sezierende­n Autorin. Er knüpft an den ersten Band Vater. Mutter. Kind. Kriegserkl­ärungen an, in dem die siebenjähr­ige Margit eine anhänglich­e Dackeldame erfindet, die nur sie sieht. Dass aus dem Dackel im zweiten Band ein eleganter Panther wird, ist aus Sicht der jugendlich­en Margit natürlich logisch.

Man erfährt in Schreiners neuem Werk auch viel über den Mief der 60er-Jahre in der Arbeiterst­adt Linz. Wer jung war, wurde schief angeschaut, wer links war, galt als schlechter Einfluss. Wer im als liberal geltenden Café Central saß und gesehen wurde, den prüften die Lehrer tags darauf gerne auf ein Nicht genügend. Irgendwann kam sie dann doch raus, die junge Margit. Und man freut sich sehr mit ihr.

Petra Stuiber ist seit 2018 stellvertr­etende Chefredakt­eurin des ΔTANDARD und fand die Sache mit den Eltern schon immer schwierig – noch bevor ihr Sohn zum Teenager wurde. Margit Schreiner, „Mütter. Väter. Männer. Klassenkäm­pfe. Über das Private“. € 22,95, 216 Seiten. Schöffling & Co, 2022

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