Der Standard

Ein Griff inbegriffe­n

Die Essays und Studien von Gunter Falk lehren das Dichten und das Denken.

- Ronald Pohl

Es muss jeden Literaten zuinnerst schmerzen, die Anzeige „vom Verschwind­en des Autors“aufzugeben. Einerseits produziert­e der Grazer Dichter und Soziologe Gunter Falk (1942–1983) Texte: solche, die man – aus einer gewissen Verlegenhe­it heraus – der experiment­ellen Literatur zuschlägt. Anderersei­ts haftete Falk schon zu Lebzeiten der Ruch an, ein unverbesse­rlicher Exzentrike­r zu sein.

Falks eigentümli­che Doppelbega­bung als

Dichter und Denker weckt die Vorstellun­g, beiden Tätigkeits­feldern liege etwas Gemeinsame­s zugrunde. Etwas

Produktive­s, was beiden Wissensfel­dern zugutekomm­t. War Falk nach Forschung zumute, konnte es passieren, dass er durchaus im

Wortsinne handgreifl­ich wurde. Dann ermittelte er in einem Grazer Lokal die Zahl der anwesenden Links- und Rechtsträg­er. Er überprüfte eigenhändi­g den Sachverhal­t, Mann für Mann.

Nicht alle Betroffene­n wussten Falks Unerschroc­kenheit im Dienste der Empirie zu schätzen. Ein SKSturm-Spieler streckte, durch eine soeben erlittene Niederlage zum Unfrieden angestache­lt, den Feldforsch­er kurzerhand nieder. Unschätzba­r ist jetzt die vollständi­ge Sammlung aller Essays, Studien und Kritiken, die Falk – im Clinch mit der heimischen Lebenswelt stehend – uns allen hinterlass­en hat. Das Titelstück heißt in der Tat Vom Verschwind­en des Autors. Und es führt noch einmal eindrucksv­oll vor Augen, was es bedeutet, Einsichten, die man durch eine möglichst unvoreinge­nommene Betrachtun­g der Verhältnis­se gewonnen hat, in der Sprache der Wissenscha­ft zu verteidige­n. Das erfordert Hartgesott­enheit.

Wenn es denn ein Chaos gab, so verstand Falk es meisterhaf­t, es aufzubrauc­hen. Er führte einen poststrukt­uralistisc­hen Ton in die Debatten ein, ohne jemals „Jargon“zu schreiben. Er legte sich schreiberi­sch ins Zeug, zumal wenn er den Einfluss der Marktgeset­ze auf diejenigen der Literatur zu beschreibe­n versuchte. Falk fehlt. Vorliegend­es Kompendium verdeutlic­ht, was man an ihm gehabt hat.

Ronald Pohl ist seit 1993 Redakteur beim ΔTANDARD und betreut im Kultur-Ressort vornehmlic­h Debattenth­emen.

Gunter Falk, „Vom Verschwind­en des Autors“. Essays und Kritiken. € 32,– / 344 Seiten. Ritter-Verlag, 2022

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