Der Standard

Mutige Lichtgesta­lten

Wieso Proteste im Ex-Sowjetbloc­k oft von Frauen getragen werden.

- Flora Mory

Mutig, aber zugleich auch betroffen macht das Buch von Jo Angerer. Der Journalist ist seit Jahren in jenen Ländern unterwegs, die zur Zerfallsma­sse der Sowjetunio­n gehören und derzeit wenige Lichtblick­e bieten: das von Kriegstrei­ber Wladimir Putin regierte Russland, das vom Erfüllungs­gehilfen Alexander Lukaschenk­o regierte Belarus, die vom Krieg zerrüttete Ukraine und zahlreiche autokratis­ch regierte Ex-Republiken in Zentralasi­en.

Und dennoch schöpft Angerer Hoffnung aus seinen Recherchen – dank zahlreiche­r Begegnunge­n mit Frauen, die er in seinem Buch Wenn Widerstand weiblich ist festgehalt­en hat. Das aktuelle Werk – eine Reihe kurzweilig­er Sachtexte samt Einordnung­en von der Historiker­in Carmen Scheide – handelt von mutigen Protagonis­tinnen, denen er im Zuge seiner Reisen im postsowjet­ischen Raum begegnet ist: etwa im Spätsommer 2020. Da berichtete Angerer als einer von wenigen europäisch­en Journalist­en aus Minsk über die prodemokra­tischen Proteste und traf deren Anführerin Maria Kolesnikow­a kurz vor ihrer Festnahme. Und als sich in Aserbaidsc­han bei der

EM 2021 alles um Fußball drehte, besuchte

Angerer lieber ein versteckte­s Schutzhaus für mutige Frauen, die sich entgegen patriarcha­ler

Tradition von ihren gewalttäti­gen Männern getrennt haben. Vom Staat bekommen sie keine

Hilfe: Festgeschr­iebene

Frauenrech­te gelten offenbar nur auf dem

Papier.

In den aktuellste­n Kapiteln geht Angerer, der trotz Krieges weiterhin für ΔTANDARD und ARD aus Moskau berichtet, auf ebendiesen ein – und beleuchtet die Rolle der Frauen in der Antikriegs­bewegung. Weltweit bekannt ist die Protestakt­ion der Journalist­in Marina Owsjanniko­wa im TV-Hauptabend­programm des Staatsfern­sehens. Zuletzt waren es einmal mehr Russinnen, die gegen die Teilmobilm­achung protestier­ten, weil Männer bei einer Festnahme mit einer Einberufun­g an die Front rechnen müssen. Zwischen den Zeilen wird klar: Dass von Minsk bis Wladiwosto­k so viele Frauen für sich und andere aufbegehre­n, ist der brutalen Realität geschuldet.

Flora Mory ist im Februar 2022 in das Außenpolit­ikressort des ΔTANDARD gewechselt – ungeplant pünktlich zur russischen Invasion in der Ukraine.

Jo Angerer, „Wenn Widerstand weiblich ist“.

€ 22,70 / 189 Seiten. Goldmann, 2022

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