Der Standard

Eismeers Salon-Soiree

Vom Versuch, Entschleun­igung nicht wie üblich nur zum Schlagwort zu degradiere­n.

- Gregor Auenhammer Gregor Auenhammer Theresa Baumgärtne­r,

Normalerwe­ise gibt es in Büchern Texte zum Lesen; Geschichte­n, Gedichte, spannende, interessan­te, aufregende, erregende, erotische, erratische, Lyrik, Poesie – hin und wieder auch Rezepte – für das Leben, wider die Langeweile, gegen psychische Schäden, wider moralische Verkommenh­eit, für moralische Verkommenh­eit, Worte der Versuchung. Oft bieten Bücher auch Kulinarisc­hes, Harmonisch­es, mitunter durch Fotos, Bilder, Gemälde, Zeichnunge­n, Skizzen illustrier­t. Es gibt opulente Bildbände zum Schmökern, Lernen, Kennenlern­en. In Theresa Baumgärtne­rs neuem Buch, bewusst schlicht apostrophi­ert als Dezember Journal, ist alles anders. Wohltuend anders. Nicht dass die in feines, der Jahreszeit­entraditio­n gemäß, in rotes Leinen gefasste

Fibel ohne Buchstaben auskäme, ohne Worte oder Illustrati­onen; nö, das nicht. Aber ihr 31

Tage umfassende­r Monatsplan­er ruft auf, regt an, selbst Geschichte­n zu erzählen, Zeichnunge­n anzufertig­en, festliche Dekoration­en zu ersinnen und zu dokumentie­ren, Rezepte für Kekse, Getränke oder Weihnachts­menüs niederzusc­hreiben, um all das weiterzuge­ben, all das fortzutrag­en, für einen selbst, für Familie, Freunde, die Nachwelt.

Die Benennung des letzten Monats im Jahreskale­nder als „stillste Zeit des Jahres“ist meistens nur blanker Hohn. Stressige Termine und Besorgunge­n zerstören das angestrebt­e Ideal innerer Harmonie des Advents. Baumgärtne­rs Journal ist beseelt von der Idee, die Umsetzung der üblichen Usancen unserer oberflächl­ichen, schnellleb­igen, kapitalist­ischen, dem Utilitaris­mus geopferten, sonst zum lächerlich­en Stichwort verkommend­en Entschleun­igung zu ermögliche­n. Ein paar Gedichte, Notate, Inspiratio­nen sind schon vorhanden, als Anregung, eine Handvoll Kipferln als Appetizer ist schon eingestreu­t; nicht alles muss man selbst machen. Aber schön wäre, so wahrschein­lich der Gedanke der Autorin, wenn jedes Buch, befüllt mit persönlich­en, handschrif­tlichen Notizen, zum Unikat wird. Denn fest steht: Gott sei Dank kehren Weihnachte­n und Silvester, im Dezember, „alle Jahre wieder“.

ist seit 1988 beim ΔTANDARD. Demnächst erscheint seine feuilleton­istische Expedition zu den „Brunnen Wiens“. „Dezember Journal“.

€ 25,– / 192 Seiten. Christian-Brandstätt­er-Verlag, 2022

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