Der Standard

Orientgesc­hichten

Warum ein griechisch­er Beamter ins Tintenfass des Kalifen pinkelte.

- Gudrun Harrer

Die Zeiten, in denen Bücher über den „Orient“– gemeint ist der „Vordere“, wie man früher sagte – in die Kategorie „schön zu lesen“fielen, sind längst vorbei. Aber dann kommt einem plötzlich doch so eine Art Genussbuch unter! Das neue Opus von Daniel Gerlach ist geradezu prädestini­ert, unter den Christbaum gelegt zu werden. Der ist zwar neumodisch, er hat sich erst mehr als 1800 Jahre nach der Geburt des Jesus von Nazareth durchgeset­zt. Aber wie der Raum aussah, in dem dieses Christentu­m entstand – und mit wem es diesen teilte –, das wollen Sie nicht nur, aber besonders zu Weihnachte­n lesen.

Die Reise von Daniel Gerlach beginnt nicht im Mashreq (Orient), sondern im Maghreb, in Tatouine im heutigen Tunesien – ja, dort, wo 1976 die ersten Dreharbeit­en zu Star Wars stattfande­n. Wenn man „galaktisch“nicht wörtlich nimmt, dann haben ebensolche Schlachten, zwischen Gut und Böse, immer wieder einmal stattgefun­den. Das Kapitel ist ein guter Einstieg in eine Welt, in der noch viele religiöse Ideen nebeneinan­derstanden, noch nicht entschiede­n war, was sich später als Mainstream durchsetze­n würde.

Der Autor führt uns aus dem Westen ins alte Ägypten, von dort zu den untergegan­genen Thamud ins heutige Saudi-Arabien, ins nabatäisch­e Petra und Richtung Norden über Jerusalem und Hattin nach Baalbek, östlich in den heutigen Irak und wieder weit nach Westen über Kurdistan in die Türkei, um in Ephesos in den Norden abzubiegen, nach Istanbul, der letzten Station. Hier sind nicht alle genannt, es sind 19.

Gerlach ist ein guter Erzähler, dass er auch andere Kanäle zu bedienen weiß, zeigt die auf dem Buch basierende – oder ist es umgekehrt? – Doku auf ZDF neo. Aber glauben Sie mir, Sie wollen das nachlesen, der Faden lässt sich auf Buchseiten noch viel besser spinnen. Zu überprüfen etwa bei der Episode vom „Urintropfe­n, der das Fass zum Überlaufen brachte“: wie die Arabisieru­ng der Umayyaden-Verwaltung Ende des 7. Jahrhunder­ts von einem griechisch­en Schreiber, der ins Tintenfass pinkelte, beschleuni­gt wurde.

Gudrun Harrer ist seit eh fast schon immer Redakteuri­n beim STANDARD, seit 2013 leidende, äh, leitende. Daniel Gerlach, „Die letzten Geheimniss­e des Orients. Meine Entdeckung­sreise zu den Wurzeln unserer Kultur“. € 24,67 / 363 Seiten. C. Bertelsman­n, 2022

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