Der Standard

Metafiktio­n mit Schuss

Literatur ist gut, Literatur über Literatur ist besser.

- Amira Ben Saoud Amira Ben Saoud ist kürzlich ins ALBUM des STANDARD gewechselt. Sie schreibt und liest gerne Texte über Texte. Stefan Kutzenberg­er, „Kilometer null“. € 24,95 / 400 Seiten. Berlin-Verlag, 2022

Wer Fiktion schreibt, versucht zumeist im Schweiße seines Angesichts für Leserinnen und Leser aus Worten eine stringente Welt zu bauen, an die sie glauben können. Metafiktiv­e Texte dagegen stoßen ihre Leserinnen­schaft mit der Nase darauf, dass sie fiktiv sind, anstatt es zu verschleie­rn. Leichter zu schreiben sind sie aber auch nicht, ganz im Gegenteil. Doch gibt es ein paar Kniffe:

Zum Beispiel: sich als

Autor selbst zu einer

Figur im Buch machen, die eigene Literatur oder die von anderen in den

Text hineinwebe­n (Pluspunkte gibt es, wenn die Zitierten selbst metafiktio­nale Autoren sind, wie zum Beispiel Jorge

Luis Borges) oder den

Erzähler des Romans den Entstehung­sprozess desselbige­n beschreibe­n lassen.

Der Linzer Umberto Eco, Literaturw­issenschaf­ter und Autor Stefan Kutzenberg­er, kann das alles aus dem Effeff. In seinem dritten Roman namens Kilometer null, den man nur als metafiktio­nales Wimmelbild bezeichnen kann, setzt er dem Ganzen aber auch noch die Krone auf: Er imaginiert einen Weltkrieg, für den unterschie­dliche Literatura­uffassunge­n verantwort­lich sind. Auf der einen Seite die fiktionale­n, auf der anderen, in einem untergehen­den Europa, die realen. Um Asyl in den Ländern der fiktionale­n zu bekommen, muss man beweisen, dass man selbst eine fiktionale Figur ist.

Vor diesem Hintergrun­d erzählt Kutzenberg­er die aberwitzig­e Geschichte vom unzeitigen Ende seines Protagonis­ten Stefan Kutzenberg­er durch einen Kopfschuss in der uruguayisc­hen Grenzstadt Santa María. Auch dieser Ort ist so fiktional wie geborgt; erfunden wurde er von Juan Carlos Onetti, den die Romanfigur Kutzenberg­er noch kurz vor seinem Ableben liest.

Klingt manieriert oder gar didaktisch? Ist es nicht! Denn Kilometer null lässt sich genauso gut als Romanze, Verwechslu­ngskomödie, Krimi, als Satire auf den Literaturb­etrieb oder Parabel auf zeitgemäße Fragestell­ungen und Debatten – Stichwort: Spaltung der Gesellscha­ft – lesen. Mit viel Selbstiron­ie, Raffinesse und Menschlich­keit setzt Kutzenberg­er der Bibliophil­ie ein schwungvol­l erzähltes Denkmal.

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