An Madeira nippen
Man kann, muss aber kein Banause sein, um mit Eckhart Nickel sehen zu lernen.
Wie schlau, den Roman nach einem berühmten deutschen Maler der Spätromantik zu benennen und dann einen solchen Einstieg zu kredenzen: „Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.“So erklärt sich der namenlose Erzähler, der in Spitzweg den Banausen gibt. Obwohl er erste Lektionen einer Schule des Sehens längst absolviert hat, beiläufig, über die „Finde den Fehler“-Bilderrätsel in Programmheften. Den Ansprüchen des von ihm bewunderten neuen Mitschülers genügt das ja nicht. Carl heißt dieser, eine (zu)fällige Vornamensanalogie zum titelgebenden Künstler, der erst ab Seite 107 eine Rolle zu spielen beginnt. Da ist man dann schon mittendrin in diesem mit
Bildern opulent bestückten Vexierstück, das heuer für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Ausgehend von einem Eklat im Unterricht an einem humanistischen Gymnasium, genauer dem über das Selbstporträt der Mitschülerin Kerstin gefällten „Mut zur Hässlichkeit!“Urteil der Kunstlehrerin. Ein ungerechtfertigter Affront, befinden die beiden jungen Galane und sinnen auf Vergeltung. Dufflecoat-Trägerin Kirsten, familiäres Umfeld Kategorie Sozialsibirien, ist die Außenseiterin in diesem Topos, dem der Mief des Elitären anhängt. Befeuert von Carl, dem aus der Zeit gefallenen Dandy-Typen, mit dem man im geheimen Kunstversteck auf Ottomanen lümmelt, an Madeira nippt und sich von Bildbeschreibungen betören lässt, die wie Plädoyers klingen.
Kein Wunder: Autor Eckhart Nickel hat Kunstgeschichte studiert, auch Literatur, wovon die da und dort eingestreuten Zitate zeugen. Dem Kauz in Gestalt des Deutschprofessors hat er nur eine Nebenrolle zugedacht. Dieser Bücherwurm (ja, auch das bekannteste Spitzweg-Motiv) spendiert den Anlass für die unterhaltsamste Sequenz des Romans. Bei einem Besuch in dessen Heim schockverliebt sich der Erzähler und endet die Visite des mit technischem Firlefanz ausgestatteten Bücherbunkers im Keller mit erotischen Fantasien der amüsanten Sorte.