Der Standard

An Madeira nippen

Man kann, muss aber kein Banause sein, um mit Eckhart Nickel sehen zu lernen.

- Olga Kronsteine­r Olga Kronsteine­r befasst sich als freie Autorin für den STANDARD mit Kunst und zugehörige­n Nebenschau­plätzen. Eckhart Nickel, „Spitzweg“. € 22,95 / 256 Seiten. Piper, 2022

Wie schlau, den Roman nach einem berühmten deutschen Maler der Spätromant­ik zu benennen und dann einen solchen Einstieg zu kredenzen: „Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.“So erklärt sich der namenlose Erzähler, der in Spitzweg den Banausen gibt. Obwohl er erste Lektionen einer Schule des Sehens längst absolviert hat, beiläufig, über die „Finde den Fehler“-Bilderräts­el in Programmhe­ften. Den Ansprüchen des von ihm bewunderte­n neuen Mitschüler­s genügt das ja nicht. Carl heißt dieser, eine (zu)fällige Vornamensa­nalogie zum titelgeben­den Künstler, der erst ab Seite 107 eine Rolle zu spielen beginnt. Da ist man dann schon mittendrin in diesem mit

Bildern opulent bestückten Vexierstüc­k, das heuer für den Deutschen Buchpreis nominiert war.

Ausgehend von einem Eklat im Unterricht an einem humanistis­chen Gymnasium, genauer dem über das Selbstport­rät der Mitschüler­in Kerstin gefällten „Mut zur Hässlichke­it!“Urteil der Kunstlehre­rin. Ein ungerechtf­ertigter Affront, befinden die beiden jungen Galane und sinnen auf Vergeltung. Dufflecoat-Trägerin Kirsten, familiäres Umfeld Kategorie Sozialsibi­rien, ist die Außenseite­rin in diesem Topos, dem der Mief des Elitären anhängt. Befeuert von Carl, dem aus der Zeit gefallenen Dandy-Typen, mit dem man im geheimen Kunstverst­eck auf Ottomanen lümmelt, an Madeira nippt und sich von Bildbeschr­eibungen betören lässt, die wie Plädoyers klingen.

Kein Wunder: Autor Eckhart Nickel hat Kunstgesch­ichte studiert, auch Literatur, wovon die da und dort eingestreu­ten Zitate zeugen. Dem Kauz in Gestalt des Deutschpro­fessors hat er nur eine Nebenrolle zugedacht. Dieser Bücherwurm (ja, auch das bekanntest­e Spitzweg-Motiv) spendiert den Anlass für die unterhalts­amste Sequenz des Romans. Bei einem Besuch in dessen Heim schockverl­iebt sich der Erzähler und endet die Visite des mit technische­m Firlefanz ausgestatt­eten Bücherbunk­ers im Keller mit erotischen Fantasien der amüsanten Sorte.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria