Nie dazugehören
Fatma Aydemir gibt in „Dschinns“Gastarbeiterfamilien eine Stimme.
Jahrzehntelang hat Hüseyin geschuftet. In den 70er-Jahren kam er als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland, rackerte sich in einer Fabrik ab, hat, flexibel einsetzbar, Sonntage, Feiertage, Überstunden übernommen – um dann zu Beginn seiner Pension in der aus Ersparnissen finanzierten Wohnung in Istanbul an einem Herzinfarkt zu sterben.
Fatma Aydemirs Dschinns beginnt mit diesem ersten Teil aus Hüseyins Perspektive dramatisch. Die nächsten Kapitel sind aus der Sicht seiner Angehörigen geschildert, der Ehefrau und der vier Kinder.
Jedes Kapitel ist dabei auf seine Weise mitreißend, einfühlsam, tragisch. Zugleich schmunzelt man aber auch immer wieder, etwa als die Studentin Peri ihrer Mutter feministische Lektionen von der Uni näherbringen will und glaubt, sie müsste „einfach nur weitererzählen, was sie dort gelesen und gehört hatte, um durch ein einziges zehnminütiges Gespräch Generationen von Unterdrückung und Armut und Mangel an Bildung einfach auszugleichen“.
Vor allem erzählt Aydemir aber die Geschichte von migrantischen Familien, die im Deutschland der 90erJahre zwischen den in der Mehrheitsgesellschaft verankerten Widersprüchen „Ausländer sind faul“und „Ausländer nehmen uns die Arbeit weg“aufgewachsen sind. Diesen Familien gibt sie eine Stimme, deren Gefühl von Zerrissenheit „zwischen den Kulturen“, dem Nie-Dazugehören, dem Verlust von Herkunft durch Assimilation. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei, in der die kurdische Identität der Familie unterdrückt wurde und wird.
Und durch das ganze Buch ziehen sich die Dschinns, böse Geister, aber irgendwie auch nicht, bei deren Erwähnung allen in einem muslimischen Haushalt Aufgewachsenen die „Kälte unter die Haut schießt“. Aydemir beschreibt über die Charaktere Peri und Ümit treffend, wie schwer diese Dschinns zu beschreiben sind, irgendwo zwischen Erinnerungen, Ängsten, Selbstzweifeln oder Teilen der Identität liegen. Was bleibt, ist das Gefühl, dass eigentlich jede Figur ihre eigenen Dschinns mit sich herumträgt.