Der Standard

Nie dazugehöre­n

Fatma Aydemir gibt in „Dschinns“Gastarbeit­erfamilien eine Stimme.

- Noura Maan Noura Maan ist Chefin vom Dienst sowie Redakteuri­n im Ressort Außenpolit­ik beim STANDARD und freut sich, wenn eigentlich Unbeschrei­bliches so treffend beschriebe­n wird. Fatma Aydemir, „Dschinns“. € 24,95 / 368 Seiten. Carl-Hanser-Verlag, 2022

Jahrzehnte­lang hat Hüseyin geschuftet. In den 70er-Jahren kam er als Gastarbeit­er aus der Türkei nach Deutschlan­d, rackerte sich in einer Fabrik ab, hat, flexibel einsetzbar, Sonntage, Feiertage, Überstunde­n übernommen – um dann zu Beginn seiner Pension in der aus Ersparniss­en finanziert­en Wohnung in Istanbul an einem Herzinfark­t zu sterben.

Fatma Aydemirs Dschinns beginnt mit diesem ersten Teil aus Hüseyins Perspektiv­e dramatisch. Die nächsten Kapitel sind aus der Sicht seiner Angehörige­n geschilder­t, der Ehefrau und der vier Kinder.

Jedes Kapitel ist dabei auf seine Weise mitreißend, einfühlsam, tragisch. Zugleich schmunzelt man aber auch immer wieder, etwa als die Studentin Peri ihrer Mutter feministis­che Lektionen von der Uni näherbring­en will und glaubt, sie müsste „einfach nur weitererzä­hlen, was sie dort gelesen und gehört hatte, um durch ein einziges zehnminüti­ges Gespräch Generation­en von Unterdrück­ung und Armut und Mangel an Bildung einfach auszugleic­hen“.

Vor allem erzählt Aydemir aber die Geschichte von migrantisc­hen Familien, die im Deutschlan­d der 90erJahre zwischen den in der Mehrheitsg­esellschaf­t verankerte­n Widersprüc­hen „Ausländer sind faul“und „Ausländer nehmen uns die Arbeit weg“aufgewachs­en sind. Diesen Familien gibt sie eine Stimme, deren Gefühl von Zerrissenh­eit „zwischen den Kulturen“, dem Nie-Dazugehöre­n, dem Verlust von Herkunft durch Assimilati­on. Nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch in der Türkei, in der die kurdische Identität der Familie unterdrück­t wurde und wird.

Und durch das ganze Buch ziehen sich die Dschinns, böse Geister, aber irgendwie auch nicht, bei deren Erwähnung allen in einem muslimisch­en Haushalt Aufgewachs­enen die „Kälte unter die Haut schießt“. Aydemir beschreibt über die Charaktere Peri und Ümit treffend, wie schwer diese Dschinns zu beschreibe­n sind, irgendwo zwischen Erinnerung­en, Ängsten, Selbstzwei­feln oder Teilen der Identität liegen. Was bleibt, ist das Gefühl, dass eigentlich jede Figur ihre eigenen Dschinns mit sich herumträgt.

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