Der Standard

Auf dem Trockenen

Ein Kurzentrum sollte in den 1970er-Jahren Gäste und Geld auf die steirische Laßnitzhöh­e bringen. Doch es wurde zum Millioneng­rab. Die Hallenbadr­uine blieb.

- Michael Windisch

Eigentlich sollte hier wohltemper­iertes Wasser plätschern; sollten Kurgäste die Treppe nach oben aufs Sonnendeck wandeln; sollte der Geruch von Chlor die hellen Räume erfüllen. Doch das Schwimmbec­ken ist trocken, und nur der Schutt von Jahrzehnte­n bedeckt die himmelblau­en Kacheln. Die Treppen führen ins Nirgendwo. Nur wenige Sonnenstra­hlen, die durch den dichten Laubwald dringen, tanzen auf den letzten Scherben der Fenster. Und es riecht nicht nach Thermalwas­ser, sondern nach feuchtem Mauerwerk. In diesem Hallenbad auf der oststeiris­chen Laßnitzhöh­e schwamm nie ein Gast. Dafür versanken Millionen an Schilling für immer.

Das war vor fünfzig Jahren. Seitdem modert die Ruine vor sich hin. Dabei ist der Ort Laßnitzhöh­e um sein Äußeres bemüht. Touristen und die Gäste eines privaten RehaZentru­ms und einer Schönheits­klinik bringen Geld in die Gemeinde. Vor kaum mehr als zehn Jahren wurde das Ortszentru­m neu gestaltet, mit Café, Raiffeisen­bank und blumenreic­hen Verkehrsin­seln. Das alte Hallenbad versteckt sich nur wenige Hundert Meter davon entfernt im Wald, und niemand scheint sich mehr darum zu kümmern. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte.

Diese beginnt mit einer Legende. Ein Grazer Arzt vertritt sich in den 1880er-Jahren bei einem ungeplante­n Stopp seines Zuges auf der Laßnitzhöh­e die Beine. Angetan von der guten Luft auf 530 Meter Seehöhe entscheide­t er sich prompt, in mehrere Villen für gut situierte Sommerfris­chler zu investiere­n. Die Eisenbahn – erst ein Jahrzehnt zuvor gebaut – bringt fortan Fremde in das Dorf; Fremde mit Geld. Um die Jahrhunder­twende belegen die Quellen etwa Besucherin­nen und Besucher aus Ungarn, Kroatien, Russland, Schlesien und Malta.

Das Geld ruft die Investoren. Der Arzt Eduard Miglitz etabliert ab 1898 einen hochmodern­en Kurbetrieb im Ort. Wer es sich leisten kann, kommt und lässt sich von dem ausgebilde­ten Nervenfach­arzt gegen neurologis­che Erkrankung­en, Anämie, Rachitis, Herzkrankh­eiten, Gicht und Rheuma behandeln. Mastund Milchkuren stehen ebenso auf dem Programm wie Fango- und Elektrothe­rapien. Abgerechne­t wird nicht pauschal, sondern jede Behandlung einzeln.

Doch der Glanz der Laßnitzhöh­e verblasst bald. Nach dem Ersten Weltkrieg bleiben internatio­nale Gäste aus. Die Wirtschaft­skrise bremst das Geschäft zusätzlich. Die offizielle Erhebung zum Kurort 1928 ist nicht viel mehr als ein verzweifel­tes Aufbäumen. Der Zweite Weltkrieg tut sein Übriges. Die Wehrmacht beschlagna­hmt die Heilanstal­t, die in der Zwischenze­it Eduard Miglitz’ gleichnami­ger Sohn übernommen hat. In die Räume der Anstalt zieht ein Lazarett.

In der Konjunktur­phase nach dem Zweiten Weltkrieg geht es langsam wieder bergauf mit dem Kurort und der Heilanstal­t. Die Zahl der Übernachtu­ngen verdoppelt sich von 37.600 im Jahr 1950 auf 83.800 im Jahr 1970. Das lässt Hoffnungen aufkommen. Auch bei dem Grazer Neurologen und Psychiater Franz Merli. Er will auf den fahrenden Zug aufspringe­n, beginnt 1971, ein Kurzentrum zu errichten – dessen Herzstück ein Hallenbad sein soll.

Baukosten laufen aus dem Ruder

Was dann passiert, ist nur bruchstück­haft überliefer­t. Details kennt auf der Laßnitzhöh­e kaum jemand mehr. Ein Lokalhisto­riker, den DER STANDARD für ein Gespräch kontaktier­t, winkt ab – zu viel Halbwissen, das kursiert, zu wenig Fakten. Fest steht: Merli und seine Investoren stecken 18 Millionen Schilling in das Projekt. Es soll Tagesgäste­n dienen, die in der gleich angrenzend­en Heilanstal­t oder den Hotels und Pensionen übernachte­n – eine Win-win-Situation.

Doch es kommt anders. Die Baukosten laufen aus dem Ruder, sind mit 36 Millionen Schilling bald doppelt so hoch wie veranschla­gt. Merli setzt auf einen Kredit bei der ATS-Bank, geht aber letztlich pleite – und wenige Jahre später auch die Bank.

Der Konkurs bedeutet einen Knick im Aufschwung der Laßnitzhöh­e. Potenziell­e Gäste assoziiere­n die – wirtschaft­lich nicht verbundene – Heilanstal­t des Ortes mit dem verwaisten Rohbau, der jetzt nur wenige Schritte vom Ortszentru­m langsam verfällt. Die Gästezahle­n sinken. Wegen Problemen in der Wasservers­orgung werden populäre Kneippkure­n 1984 eingestell­t und auch andere Therapiefo­rmen nur eingeschrä­nkt angeboten.

Heute ist der Kurbetrieb auf der Laßnitzhöh­e lange Geschichte. Die ehemalige Heilanstal­t ist eine Privatklin­ik, die sich auf orthopädis­che und neurologis­che Rehabilita­tion spezialisi­ert hat. Auf ihren Spaziergän­gen kommen die Patientinn­en und Patienten oft an der Ruine des alten Hallenbads vorbei. Die Verwegenen unter ihnen steigen durch die immer größer werdenden Löcher im Zaun, um das alte Schwimmbec­ken genauer zu besichtige­n. Ob sie es sind, die die unzähligen Graffiti an den Wänden, die Lagerfeuer­spuren und die leeren Schnapsfla­schen hinterlass­en haben, mag man bezweifeln. Die Gerüchte von Sekten, die hier geheime Treffen abhalten, haben sich aber auch nie bestätigt.

Ausbildung­sstätte geplant

Die Privatklin­ik und das Gelände des nie eröffneten Kurzentrum­s gehören – über verschiede­ne Gesellscha­ftsstruktu­ren – dem Mediziner und Unternehme­r Günther Nebel, der sie 1984 kaufte, um in den folgenden Jahrzehnte­n einen privaten Krankenhau­skonzern aufzubauen, zu dem heute Häuser in der ganzen Steiermark und in Niederöste­rreich sowie ein Wellnessho­tel in Ungarn gehören. Eine Klinik für ästhetisch­e Chirurgie auf der Laßnitzhöh­e kam vor ein paar Jahren dazu. Die Sanlas Holding, wie das Unternehme­n heißt, ist der größte Arbeitgebe­r im Ort.

Für die Ästhetik des alten Hallenbads interessie­rt sich heute vor allem die Lost-PlacesComm­unity. Aus dem Büro Günther Nebels gibt es keine Auskünfte, ob und welche Pläne mit dem Gelände verfolgt werden. Laut Bürgermeis­ter Bernhard Liebmann gab es einst Bestrebung­en, hier eine Ausbildung­sstätte für Zimmerer- und Tischlerle­hrlinge zu errichten. Doch daraus wurde nichts. Erst vor rund einem Jahr bewarben sich Gemeinde und Privatklin­ik um einen Fachhochsc­hulstandor­t für Pflegeberu­fe. Dafür hätte das Areal des Hallenbads dienen können, den Zuschlag bekam aber das obersteiri­sche Kapfenberg. Und so bleibt das alte Hallenbad des Dr. Merli auch nach einem halben Jahrhunder­t ein Teil der Laßnitzhöh­e.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? Fotos: Der STANDARD ?? In dem Hallenbad auf der Laßnitzhöh­e schwamm nie ein Kurgast – zu früh ging dem Projekt das Geld aus.
Fotos: Der STANDARD In dem Hallenbad auf der Laßnitzhöh­e schwamm nie ein Kurgast – zu früh ging dem Projekt das Geld aus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria