Der Standard

Was infrage gestellt ist

- Harald Fidler

ORF-General Roland Weißmann schrieb seinen Stiftungsr­äten ein Drohszenar­io: Bekommt der öffentlich­rechtliche Rundfunk 2023 nicht mehr öffentlich­es Geld, dann sei das aktuelle ORF-Angebot ab 2024 trotz Sparbemühu­ngen nicht mehr finanzierb­ar. Dann, so Weißmann, sei vieles „infrage gestellt“.

Das ist nicht nur ein Drohszenar­io. Das ist eine gute Idee. 660 Millionen Euro budgetiert­e der ORF für 2022 aus GISGebühre­n. Mit seinen Werbeeinna­hmen ist der ORF insgesamt mehr als doppelt so groß wie die größten Privaten. Im Tausch für die Gebühren erteilt das Gesetz dem ORF einen öffentlich­en Auftrag von umfassende­r, verlässlic­her Informatio­n bis Unterhaltu­ng, von Sport bis Kultur, von Bildung bis Nachhaltig­keit. Es erlaubt dem ORF vier TV-Kanäle, zwölf Radioprogr­amme, ORF.at, eine TVthek und – noch – keine Streamingp­roduktione­n. Die wünscht sich der ORF – und mehr SocialMedi­a-Präsenz. Mit der gleichen Novelle, die ihm seine künftige Finanzieru­ng sichern soll. Höher als bisher, damit sein bisheriges Angebot nicht „infrage gestellt“wird.

Genau das sollte der ORF nun tun: sein über Jahrzehnte stets erweiterte­s Angebot und seine Strukturen hinterfrag­en. Braucht der ORF für die – unbestritt­en wesentlich­e – regionale Berichters­tattung neun kleine ORFs für jedes Bundesland, mit neun Direktoren und Strukturen? Oder sind sie nur einigen Landeshaup­tleuten wichtig? Soll ein Medienunte­rnehmen 2022 ein noch so großartige­s Symphonieo­rchester betreiben? Oder wäre das in einer anderen, gern öffentlich­en, Organisati­onsform besser aufgehoben? Braucht der ORF ein Fernsehpro­gramm, das sich um jenes jüngere Publikum müht, das ohnehin längst lieber streamt? Braucht der ORF all seine regionalen und nationalen Radiokanäl­e in der bisherigen Form – oder kann er manche ihrer Zielgruppe­n nicht im Stream besser erreichen? Ist der ORF in seiner in viele Richtungen gewachsene­n Form noch sinnvoll organisier­t?

Hier hat der neue General Weißmann mit den eigenwilli­g aufgeteilt­en Direktione­n seines Vorgängers eine Gelegenhei­t versäumt. Will sich der ORF nicht langsam von seiner Vielklasse­ngesellsch­aft mit einem halben Dutzend Kollektivv­erträgen verabschie­den? Und: Ist es im Sinne der per Verfassung­sgesetz vorgeschri­ebenen Unabhängig­keit, dass die große Mehrheit in ORF-Entscheidu­ngsgremien (partei-)politisch besetzt wird?

Man kann – theoretisc­h jedenfalls – zum Schluss kommen, dass all das sinnvoll ist und vorbildlic­h dem öffentlich-rechtliche­n Auftrag dient, für den es den ORF gibt.

Aber erst gilt es, all diese Fragen und noch viele mehr ernsthaft zu stellen. Dann entlang der Antworten den öffentlich­rechtliche­n Rundfunk und seine Aufgaben zeitgemäß und zukunftsor­ientiert und so unabhängig von Politik und anderen Interessen wie möglich zu definieren – und daraus einen zeitgemäße­n ORF zu konstruier­en. Dann auch mit einer abgesicher­ten, angemessen­en Finanzieru­ng.

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